Gefechtslinien im Schatten von Corona
Immer, wenn sich das öffentliche Interesse fast gänzlich auf ein Thema fokussiert, wie es gerade bei COVID-19 passiert, werden scheinbar abseits davon kleinere und größere Feuerchen entzündet. Merkt ja keiner. Und plötzlich werden auf vermeintlichen Nebenkriegsschauplätzen Siege zu unseren Lasten eingefahren. (Wie etwa bei der Verabschiedung des Antikorruptionsgesetzes. Die KBV hätte es verhindern müssen. Aber sie war damals zu sehr mit sich selbst beschäftigt.)
Aktuell ist dieses Phänomen gut zu beobachten. Zum Beispiel am „Kriegsschauplatz“ PKV/GKV versus Bürgerversicherung. In der Coronakrise ist das Volumen der Privatliquidationen um ein Drittel zurückgegangen. Ein Gewinn also für die Privatversicherer. Die aber zeigen so gar kein Interesse an einem Ausgleich von Verdienstausfällen, wie das über den Schutzschirm für die Ausfälle bei GKV-Patienten erfolgen soll.
Ärzteverbände kontern daraufhin mit berechtigter Empörung, dass wir uns dann auch nicht mehr für einen Erhalt des dualen Systems von gesetzlichen und privaten Versicherungen einsetzen müssen.
Das aber spielt natürlich der Bürgerversicherung in die Hände. Und kurz darauf titelt auch schon die FAZ: „Fachärzte geben Privatversicherten schneller einen Termin als Kassenpatienten.“ Dabei beruft sie sich auf eine Studie, deren Daten vor dem TSVG erhoben wurden. Das Terminservice- und Versorgungsgesetz, wir erinnern uns, verpflichtet uns aber, mehr Sprechstunden anzubieten. Die Bedingungen sind also längst überholt.
So funktioniert Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen. In der Coronakrise sind wir, die Helden, viel zu gut weggekommen. Da muss doch schnell die gute alte Neiddebatte angefacht werden! Dabei ist bekannt, dass ein Vorziehen von Privatpatienten für GKV-Patienten nur einen Tag mehr Wartezeit bedeutet.
Wir sollten meines Erachtens also nicht über dieses Stöckchen springen. Wir sollten auf die wohl sowieso nicht ernstgemeinte Drohung, auf das duale System zu pfeifen, verzichten und stattdessen ganz einfach mit größter Dringlichkeit auf Ausgleichszahlungen der PKV drängen.
Der nächste Schauplatz: die Coronaimpfung in der Apotheke. Die uralte Forderung von Apotheker-Funktionären nach ärztlicher Tätigkeit in der Apotheke wird hier im Windschatten der Pandemie reaktiviert. Wir können das, wird argumentiert. Tja. Und wir Ärzte können Medikamente in der Praxis verkaufen. Dispensierrecht nennt sich das und geht schließlich auch in Österreich.
Warum diese Forderung jetzt? Ist die Situation in der Offizin nicht angespannt genug? Derzeit empfehlen wir unseren Patienten nicht die Online-Apotheken. Wir wollen trotz möglicher Einsparmöglichkeiten nicht auf die gute Beratung unserer Patienten in der Apotheke verzichten. Übergriffe auf ärztliche Bereiche dürfen wir aber nicht akzeptieren. Wenn die Politik dies gesetzlich pro Apotheker regelt, müssen wir das Dispensierrecht fordern. Weil zwar dort, wo kein Arzt ist, auch keine Apotheke ist. Aber umgekehrt gilt das nicht.
Und wir haben noch einen Schauplatz: die Bezahlung der Coronatests. Gegen die Stimmen der KBV hat der Erweiterte Bewertungsausschuss (jenes Schiedsgremium, das zusammentritt, wenn GKV-Spitzenverband und KBV im Bewertungsausschuss keinen Konsens erzielen) entschieden, die Vergütung der PCR-Tests ab dem 1.7.2020 von 59 € auf 39,40 € zu senken.
Da ist es wieder: das Pfennigfuchser-Gesicht der Krankenkassen. Gerade jetzt, wo die Infektionsraten, bedingt durch die Vorkommnisse in Schlachthöfen und Fleischverarbeitungsbetrieben, wieder ansteigen, müssen wir uns zu Wort melden und unseren Patienten mitteilen, wer hier zu ihren Lasten sparen will.
Gespannt sein dürfen wir, wie sich die „Corona-Testoffensive“ in Bayern weiter entwickeln wird. Dort dürfen sich alle, auch Menschen ohne Symptome, in den Praxen testen lassen, die dann wie gewohnt mit der KV abrechnen. Diese gibt nach aktuellen Informationen die Kosten für die Tests an asymptomatischen Menschen an den Freistaat ab. Zu welchem Honorar ist allerdings noch unklar.
Zu guter Letzt: Gerade jetzt, wo wir bewiesen haben, dass wir u.a. mit unseren Hausbesuchen zu frühe Einweisungen von COVID-19-Patienten verhindert haben, müssen wir tatsächlich immer noch für die bessere Vergütung von Hausbesuchen kämpfen. Und am Ende auch noch gegen Zwangsverpflichtung und Versorgungsärzte à la Markus Söder. Das sind keine netten Schattenspiele der Politik mit ihren „Helden“.