Hausarzt oder Erfüllungsgehilfe der Kollegen?
„Der HNO-Arzt sagt, Sie sollen mich zur Magenspiegelung schicken und mir dann auch alles erklären, er habe dafür keine Zeit!“. Erwartungsvoll schaut mich die Patientin an, während meine linke Augenbraue langsam nach oben wandert. Er hat keine Zeit? Hat er sich mal meinen Terminkalender angeschaut und einen Blick in mein Wartezimmer geworfen? Natürlich nicht. Als Facharzt geht er anscheinend davon aus, dass der Hausarzt als sein Erfüllungsgehilfe tätig wird.
Dass dieser ebenso Facharzt ist (in meinem Fall mit fünfjähriger Weiterbildung im Gegensatz zu seinem kürzeren Teilgebietsfacharzt), interessiert ihn nicht, und selbstverständlich muss man Dorfdeppen wie mir auch keinen Brief schreiben. Natürlich lasse ich meine Patientin nicht im Stich und erkläre ihr das Nötige, knirsche dabei aber leise mit den Zähnen.
Keine zwei Stunden später sitzt eine schmerzgeplagte Dame vor mir, die soeben vom Termin bei ihrem Orthopäden kommt: „Er hat mir eine Überweisung in die Schmerzklinik gegeben“, berichtet sie.
„Ich habe ihm gesagt, dass ich nachher einen Termin bei Ihnen habe, und er hat gemeint, das wäre ja praktisch, Sie könnten das dann eben für mich arrangieren.“ Wie bitte?! Auf ihrer Einweisung steht schlicht „Dorsalgie“, für mich ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Kollege weder Zeit noch Lust hatte, die Dame zu untersuchen, und sie möglichst schnell wieder loswerden wollte.
„Nein, das kann ich nicht und das werde ich auch nicht!“, sage ich ihr. „Ich bin nicht der nickende Wackeldackel, der sich willfährig für den Kollegen ans Telefon hängt, um ein Bett zu besorgen. Und eine Einweisung erfordert immer eine Begründung, die auf einer sorgfältigen fachärztlichen Einschätzung beruht. Die kann nur der Kollege liefern – und das muss er auch. So leid es mir tut, Sie müssen ihn noch einmal aufsuchen.“ Ich warte auf Protest, aber der begleitende Ehemann stimmt mir sofort zu: „Ich habe mich gleich gefragt, was das soll!“ Und auch seine Frau meint: „Dann gehen wir halt noch mal hin.“
Am nächsten Tag steht eine Dame in meinem Sprechzimmer, deren Mann wegen neu aufgetretener Doppelbilder zur Augenärztin gegangen war. Sie winkt mit einem Zettel: „Sie möchten bitte zum MRT überweisen, sagt die Ärztin.“ Nein, das möchte ich nicht! Ich habe den Mann nicht untersucht, ich hätte ihn, wenn, dann direkt in die Neurologie eingewiesen, und ich bin auch heute nicht bereit, hier irgend etwas zu arrangieren, für das ich nicht die Indikation gestellt habe. „Das dachte ich mir schon“, sagte die Gattin zum Glück verständnisvoll. „Ich geh’ dann noch mal zurück.“ Diesmal habe ich in der betroffenen Facharztpraxis angerufen und der MFA die Lage erklärt. Ich hoffe, dass mein Ton angemessen sachlich war, denn sie kann ja nichts dafür.
Später ereifere ich mich beim Kaffee über die zunehmende Häufung solcher Ansinnen. Unsere Weiterbildungsassistentin kommentiert trocken: „Kenne ich. Das Erste, das ich hier gelernt habe, ist, dass man anscheinend der Trottel ist, der alles für andere erledigen soll. Ich sollte gerade auch eine MRT-Überweisung für einen Neurochirurgen klarmachen. Hab’ ich aber abgelehnt.“ Sicherheitshalber rufe ich gleich nochmal die KV an. Deren Aussage ist eindeutig: „Wer die Indikation zum MRT stellt, muss auch überweisen. Punkt.“ So werden wir es auch weiterhin halten. Und wenn jemand zukünftig Hausarzt und Facharzt gegenüberstellt, werde ich weiterhin darüber informieren, dass auch wir Fachärzte sind – wenn auch für ein deutlich größeres Gebiet als die anderen.