Ältere Patienten mit Typ-1-Diabetes stellen besondere Anforderungen an die Therapie

Dr. Dorothea Ranft

Die Art der Stoffwechselentgleisung hängt vom Alter ab. Die Art der Stoffwechselentgleisung hängt vom Alter ab. © iStock/STEEX

88 Jahre alt, davon mindestens 70 mit Typ-1-Diabetes gelebt. Heute ist das kein Einzelfall mehr. Patienten fällt es dann oft schwer zu akzeptieren, dass sich mit dem Alter auch die therapeutischen Strategien ändern – z.B., wenn es um das HbA1c-Ziel geht.

Noch weitgehend selbstständig hatte eine fast 90-jährige Typ-1-Diabetikerin trotz ihres Alters und der Stoffwechselerkrankung im betreuten Wohnen gelebt. Doch dann häuften sich die Gesundheitsprobleme. Zuerst musste die alte Dame wegen einer dekompensierten Herzinsuffizienz ins Krankenhaus. Zwei Monate später wurde sie erneut stationär aufgenommen – dieses Mal wegen Hyponatriämie, Delir und Harnwegsinfekt.

Dabei fielen stark schwankende Blutzuckerwerte auf, wie Privatdozent Dr. Daniel Kopf vom Marienkrankenhaus Hamburg berichtete. Trotz eines HbA1c von 9,9 % waren Hypoglykämien häufig und möglicherweise auch der Grund für zwei Grand-mal-Anfälle. Hyperglyk­ämien schien die Patientin dagegen gut zu tolerieren, weshalb sie mit einem hohen Blutzucker-Ziel entlassen wurde. Eine Fehleinschätzung, denn sie entwickelte prompt eine Ketoazidose.

Kardiovaskuläre Ziele

Ältere Patienten mit Typ-1-Diabetes haben ein hohes bis sehr hohes kardiovaskuläres Risiko. Frauen sind stärker gefährdet als Männer, erklärte Professor Dr. Nikolaus Marx von der Uniklinik der RWTH Aachen. Das Ausmaß der Blutzuckereinstellung sollte sich nach den individuellen Erfordernissen richten. Bei Patienten mit hohem Risiko ist ein LDL-Cholesterin unter 100 mg/dl anzustreben, bei sehr hohem Risiko (Organschäden) sind < 70 mg/dl das Ziel. Beim Blutdruck sollten es im Allgemeinen Werte < 130/80 mmHg sein, für Patienten ab 65 Jahren genügen 130 bis 140 mmHg systolisch. ASS sollte nur in der Sekundärprävention eingesetzt werden. Bei Mehrgefäßerkrankungen, die bei Patienten mit Typ-1-Diabetes häufig auftreten, ist eine Bypassoperation der Angioplastie meist überlegen.

„Solche Diabetiker sehen wir in letzter Zeit häufiger“, erklärte Dr. Kopf. Die Prävalenz des Typ-1-Diabetes verteile sich inzwischen gleichmäßig über alle Altersstufen hinweg. Man müsse also auch im Senium mit einem Neuauftreten dieser Stoffwechselstörung rechnen. Deshalb sollte man bei älteren Diabetikern ohne klassische Risikofaktoren für einen Typ 2 vorsichtshalber Antikörper und C-Peptid bestimmen.

Junge Männer büßen 11 Jahre ein, junge Frauen 13 Jahre

Infolge der besseren Therapie hat sich die Lebenserwartung der Typ-1-Diabetiker deutlich verlängert. Sie ist jedoch im Vergleich zu Personen ohne diese Stoffwechselerkrankung immer noch verkürzt. Ein 20-jähriger Mann mit Typ 1 hat noch etwa 46 Jahre zu leben, also 11 Jahre weniger als ohne die metabolische Störung. Eine 20-jährige Frau hat im Mittel noch 48 Jahre vor sich und büßt 13 Jahre ein. Die häufigste Ursache für die geringere Lebenserwartung ist bei Patienten unter 50 Jahren die akute Stoffwechselentgleisung, v.a. die Ketoazidose, seltener die Hypoglyk­ämie. Bei über 50-Jährigen dominiert die koronare Herzerkrankung. Die klassische Vorstellung, dass Typ-1-Diabetiker vor allem mikrovaskuläre Komplikationen entwickeln, gelte dank intensivierter Insulintherapie heute nicht mehr, so Dr. Kopf. Die Art der Stoffwechselentgleisung hängt vom Alter ab. Bei 65- bis 74-Jährigen sind hypo- und hyperglykämische Notfälle etwa gleich häufig, bei den 75- bis 84-Jährigen verlieren die Hyperglykämien an Bedeutung, während die Hypoglyk­ämien massiv zunehmen. Bei über 85-Jährigen Typ-1-Diabetikern sind sie die Hauptursache für eine stationäre Aufnahme. Ein wichtiger Risikofaktor für häufige Unterzuckerungen bei älteren Typ-1-Diabetikern sind Hypoglyk­ämie-Wahrnehmungsstörungen. Auch stark schwankende Blutzuckerwerte fördern hypoglykämische Entgleisungen, Betablocker verschleiern die Symptome. Patienten mit kardialer autonomer Neuropathie entwickeln ebenfalls vermehrt Hypoglykämien. Als Folgen der Unterzuckerungen drohen kardiale Komplikationen, Krampfanfälle und Stürze. Zudem entwickeln viele Patienten eine ausgeprägte Hypoglykämie-Angst.

Vorsicht, Neuropathie!

  • Die kardiale autonome Neuropathie tritt vor allem bei Typ-1-Diabetes auf. Sie ist mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden.
  • Die Gastroparese findet man häufig bei hochbetagten Typ-1-Diabetikern, oft zusammen mit einer kardialen Neuropathie.
  • Gerade im hohen Alter muss man auch mit Komplikationen am Binde- und Stützgewebe rechnen, wie etwa der Frozen Shoulder.

Kognitive Einschränkungen manifestieren sich bei Typ-1-Diabetikern oft mit einer besonderen Variante, bei der weniger die Gedächtnisstörungen im Vordergrund stehen. Stattdessen dominiert ein umständliches, „haftendes“ Verhalten. Die Patienten kommen z.B. bei der Anamnese nicht so richtig auf den Punkt. Sie haben Probleme mit dem Selbstmanagement, gleichzeitig können sie ärztliche Ratschläge oft nur schwer annehmen.

Bei Hypo-Gefahr darf das HbA1C-Ziel über 7 % liegen

Außerdem fällt es ihnen nach 50 Jahren normnaher Einstellung häufig schwer zu akzeptieren, dass das Vermeiden von Hypoglykämien wichtiger ist als das von Hyperglykämien. Ein sensibler Umgang mit ihren kognitiven Defiziten erleichtert es den Patienten, Verantwortung abzugeben, erklärte Dr. Kopf. Als Zielwert für ältere Typ-1-Diabetiker empfiehlt er einen HbA1c-Wert von 7 %, bei Hypoglykämien gegebenenfalls auch höher.

Quelle: 125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

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Die Art der Stoffwechselentgleisung hängt vom Alter ab. Die Art der Stoffwechselentgleisung hängt vom Alter ab. © iStock/STEEX