
Aktualisierte S3-Leitlinie berücksichtigt genetische Veränderungen für die Therapieentscheidung

Rund 4,5 Jahre ist es her, seit die Version 1.0 der S3-Leitlinie Endometriumkarzinom veröffentlicht wurde. Jetzt gibt es ein Update: Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. und der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie entstand jetzt Version 2.0, die neben zahlreichen modifizierten Textpassagen einige gänzlich neue Empfehlungen enthält.
Pathologie
Die erste Neuerung bezieht sich auf die Pathologie. So ergibt sich laut den Autor:innen die histopathologische Diagnostik aus der Kombination von histomorphologischen und immunhistochemischen Parametern sowie ggf. ergänzenden molekularpathologischen Befunden. Zwar habe ein auf klinisch-pathologischen Kriterien beruhendes dualistisches Pathogenesemodell, das zwei unterschiedliche Typen des Endometriumkarzinoms unterscheidet, noch immer edukative Bedeutung – es werde aber zunehmend durch eine immunhistochemische bzw. molekulare Klassifikation abgelöst.
„Alle histologisch diagnostizierten Endometriumkarzinome sollen molekular klassifiziert werden in POLE-mutiert, p53-abnorm, MMR*-defizient oder no special molecular profile“, erläutert der Koordinator der S3-Leitlinie Prof. Dr. Günter Emons, Georg-August-Universität Göttingen (Details siehe Kasten). „Für die endometrioiden Tumoren wird nur noch zwischen low grade – bisher G1 und G2 – und high grade – bisher G3 – unterschieden. Für seröse Karzinome wird die Bestimmung der HER2-Expression empfohlen, da sich hieraus therapeutische Konsequenzen – die Anwendung von Trastuzumab – ergeben können“, so der Experte.
Neu ist ebenfalls die Aussage, dass im histopathologischen Befundbericht eine Quantifizierung der Lymphgefäßinfiltration erfolgen sollte. Die fokale Infiltration sei definiert als Befall von weniger als drei Lymphgefäßen und bei der extensiven („substantial“) seien mindestens drei Lymphgefäße involviert, schreibt das Leitlinienkomitee. Weiter seien isolierte Tumorzellen im Sentinel-Lymphknoten (< 0,2mm) (pN0 (i+) per se keine Indikation für eine adjuvante Strahlen- und/oder Chemotherapie. Diese werde nur empfohlen, wenn entsprechende zusätzliche Risiken (z.B. p53-Mutation, Typ-II-EC, LVSI) vorliegen. Im Fall von Mikrometastasen (≥ 0,2 mm–2 mm; pN1mi) sollte aber eine adjuvante Strahlen- und/oder Chemotherapie durchgeführt werden.
Präkanzerosen und frühe Stadien
Hinsichtlich der Behandlung von Endometriumhyperplasien ohne Atypien unterscheidet die Leitlinie im Gegensatz zur Vorgängerversion nun zwei Arten: Liegt eine einfache Hyperplasie ohne Atypien vor, sollte keine Hysterektomie zum Einsatz kommen. Es handele sich dabei um eine benigne Veränderung, die konservativ behandelt werde, so die Autor:innen der Leitlinie. Das Risiko für die Entstehung eines invasiven Karzinoms betrage 1 %. Ist die Endometriumhyperplasie komplex und ohne Atypien, kann eine Hysterektomie erwogen werden. Das Risiko für die Entstehung eines invasiven Karzinoms betrage hier bis zu 12 %.
Operation
Für Frauen mit Endometriumkrebs besteht eine 15%ige Wahrscheinlichkeit, zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen in den Lymphknoten aufzuweisen – und das unabhängig vom Stadium. Wird ein operatives Lymphknoten-Staging durchgeführt, soll dies laut dem Leitlinien-Update nicht als Sampling erfolgen, sondern als systematische Lymphonodektomie oder Sentinel-Node(SN)-Biopsie.
Weitere neue Kann/Sollte-Empfehlungen beziehen sich auf die SN-Biopsie bei Vorliegen einer p53-Mutation oder L1CAM-Überexpression bzw. in den verschiedenen Risikogruppen. Auch haben die Expert:innen einen Algorithmus für die SN-Biopsie erarbeitet (Details siehe Leitlinie). Liegen bulky nodes vor, so sei die SN-Biopsie jedoch nicht mehr aussagekräftig, betonen die Autor:innen. Zur neoadjuvanten Chemotherapie gibt es ebenfalls eine neue Empfehlung: Sie kann bei fortgeschrittenen primär inoperablen Endometriumkarzinomen mit anschließender zytoreduktiver Operation erwogen werden.
Molekulare Klassifikation und Bestimmung der MMR-Proteine
Eine routinemäßige immunhistochemische Analyse der MMR-Proteine soll bei einer Endometriumhyperplasie zwar nicht erfolgen, aber: „Am Abradat oder Biopsiematerial soll bei der Diagnose Endometriumkarzinom eine immunhistochemische Analyse von p53 und den MMR-Proteinen durchgeführt werden; bei Tumoren mit mittlerem und höherem Risiko zusätzlich eine Mutationsanalyse der Polymerase Epsilon (POLE)“, erklärt Prof. Emons.
Laut der Leitlinie kann die POLE-Mutationsanalyse alternativ auch postoperativ erfolgen; beim Low-risk Endometriumkarzinom kann eine IHC-Bestimmung von L1CAM durchgeführt werden. „Diese Untersuchungen ermöglichen eine Einordnung in eine der molekularen Klassen. Hierdurch kann die Prognose präziser definiert und die operative sowie die adjuvante Therapie spezifischer indiziert werden“, so der Experte.
Zur Prognose sagt er: „MMR-defiziente Endometriumkarzinome haben eine intermediäre Prognose, d.h. schlechter als POLE-mutierte, aber deutlich besser als p53-abnorme. Es ist noch nicht geklärt, ob das Fehlen von MMR-Proteinen das Ansprechen auf eine adjuvante Strahlen- und/oder Chemotherapie beeinflusst. Gesichert ist, dass MMR-defiziente Tumoren besonders gut auf eine Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren ansprechen. In 10–30 % der Fälle liegt einer Defizienz der MMR-Proteine ein Lynch-Syndrom zugrunde, das auf einer entsprechenden Keimbahnmutation beruht. Durch die immunhistochemische Bestimmung der MMR-Proteine bei allen Endometriumkarzinomen wird die Detektion von unerkannten Lynch-Syndromen deutlich verbessert.“
Adjuvante Strahlen- und Chemotherapie
„Die Präzisierung der Risikoeinteilung durch die molekulare Klassifikation ermöglicht eine genauere Indikationsstellung für die verschiedenen Formen der Strahlentherapie, d.h. Brachytherapie und perkutane Bestrahlung“, erläutert Prof. Emons. Neu ist u.a. die Aussage, dass bei Tumoren im Stadium I/II mit POLE-Mutation in der R0-Situation auf eine adjuvante Radio- und/oder Chemotherapie verzichtet werden kann – auch wenn Risikofaktoren vorliegen.
Für die adjuvante Chemotherapie finde die molekulare Klassifikation bei der Indikationsstellung ebenfalls Berücksichtigung. Prof. Emons: „Durch neue, große randomisierte Studien wurde belegt, dass auch eine adjuvante Chemotherapie, i.d.R. kombiniert mit einer Form der Strahlentherapie beim Endometriumkarzinom mit höherem Risiko sehr wirksam sein kann.“
Dies gelte insbesondere für seröse Tumoren und solche mit abnormem p53 sowie für höhere Stadien. „Die neue Risikoklassifikation erlaubt hier eine sehr differenzierte Indikationsstellung, die Unter-, aber auch Übertherapien vermeiden soll“, ergänzt der Experte (Details siehe Leitlinie). Neu sind unter anderem folgende Empfehlungen:
- Patientinnen mit Typ-I-Endometriumkarzinom G3 pT1b oder Stadium pT2 (jeweils pN0) mit POLE-Mutation sollten keine adjuvante Chemotherapie erhalten.
- Frauen mit serösen Tumoren im FIGO Stadium I–III sollten mit einer adjuvanten Therapie nach dem PORTEC-III-Schema behandelt werden. Bei serösen Endometriumkarzinomen im Stadium III kann alternativ eine alleinige adjuvante Chemotherapie mit Carboplatin/Paclitaxel zum Einsatz kommen.
- Erkrankte mit Endometriumkarzinom Typ1 und abnormem p53-Status in der Immunhistochemie (Typ-I-Endometriumkarzinome Stadium 1a oder höher, mit Infiltration in das Myometrium oder klarzelliges Endometriumkarzinom) sollten behandelt werden wie solche mit serösen Endometriumkarzinomen.
Auch in den modifizierten Statements findet die molekulare Klassifikation, ebenso wie in den anderen Kapiteln, Berücksichtigung.
Immuntherapie bei Rezidiven
Grundlegende Änderungen finden sich im Leitlinien-Update in Bezug auf die Immuntherapie im Fall eines Rezidivs. Die Expert:innen sprechen nun eine Kann-Empfehlung für eine systemische Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitaxel kombiniert mit Trastuzumab bei Frauen mit lokal fortgeschrittenem oder rezidiviertem serösem Endometriumkrebs und HER2/neu-Überexpression aus. Patientinnen mit rezidiviertem oder primär fortgeschrittenem Karzinom, mikrosatellitenstabilem/mismatch-repairfunktionellem Tumorgewebe und Progression nach mindestens einer Chemotherapielinie sollten kombiniert Pembrolizumab und Lenvatinib erhalten – wobei die hohe Toxizität zu beachten sei. Liegt ein rezidiviertes/primär fortgeschrittenes Endometriumkarzinom mit MSI-H oder dMMR vor, kann nach Vorbehandlung mit einer platinbasierten Chemotherapie Dostarlimab oder Pembrolizumab gegeben werden.
Aufklärung, geriatrisches Assessment und Rehabilitation
Vermehrte Aufmerksamkeit widmet das Leitlinienkomitee der Aufklärung sowie dem geriatrischen Assessment (Details siehe Leitlinie). So sollen z.B. Therapieentscheidungen für ältere Frauen von den aktuellen Standardempfehlungen ausgehen und durch den Allgemeinstatus, Lebenserwartung, Patientinnenpräferenz und eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung modifiziert werden.
Ein geriatrisches Assessment (alternativ ein Screening/geriatrischer Assessment-Algorithmus) sollte zum Einsatz kommen, um den Allgemeinzustand der Erkrankten > 75 Jahre zu beurteilen – insbesondere, wenn eine Operation mit Vollnarkose oder eine Chemotherapie auf dem Plan stehen. Die alleinige Betrachtung des kalendarischen Alters werde der Komplexität und Vielschichtigkeit des Allgemeinstatus nicht gerecht, betonen die Autor:innen.
Zahlreiche neue Empfehlungen gibt es auch zur Rehabilitation. Frauen mit moderater oder schwerer Fatigue sollte ein auf das körperliche Leistungsniveau abgestimmtes moderates Kraft- und Ausdauertraining sowie eine Psychoedukation oder kognitive Verhaltenstherapie angeboten werden, schreiben die Expert:innen. Eine Kann-Empfehlung bei moderater oder schwerer Fatigue gibt es für achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) und Yoga. Letzteres sollte den Betroffenen empfohlen werden, um Fatigue zu lindern.
* Mismatch repair
Quelle:
S3-Leitlinie Endometriumkarzinom, AWMF-Register-Nr. 032/034-OL, www.awmf.org
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).