Akute unilaterale periphere Vestibulopathie dingfest machen

Dr. Dorothea Ranft

Auch bei der akuten unilateralen peripheren Vestibulopathie sollte ein Gleichgewichtstraining so früh wie möglich beginnen. Auch bei der akuten unilateralen peripheren Vestibulopathie sollte ein Gleichgewichtstraining so früh wie möglich beginnen. © Robert Kneschke – stock.adobe.com

Peripher oder zentral? So lautet die wichtigste Frage bei der akuten einseitigen Vestibulopathie. Schon beim geringsten Verdacht sollte mittels Bildgebung ein zerebraler Insult ausgeschlossen werden. Ansonsten helfen einige Diagnosekriterien weiter.

Für die Diagnose einer akuten unilateralen peripheren Vestibulopathie/Neuropathie (AUPVP) werden in der aktuellen Leitlinie die folgenden sechs Kriterien genannt:

  1. Typisch ist ein heftiger Drehschwindel, der unbehandelt 24 Stunden bis viele Tage anhält. Dem Symptombeginn können kurze Vertigo-Anfälle vorausgehen. Betroffene Patienten klagen zudem über Scheinbewegungen der Umwelt (Oszillopsien). Ihre Gang- und Standunsicherheit verstärkt sich bei geschlossenen Augen. Die oft begleitende Nausea (bis hin zum Erbrechen) nimmt bei Bewegung zu.

  2. Es lässt sich ein horizontal-torsioneller Spontannystagmus nachweisen. Er schlägt in Richtung der mutmaßlich gesunden Seite und wird durch eine visuelle Fixation zumindest teilweise unter­drückt. Beim Tragen einer Frenzelbrille (eingeschränkte Fixierung) nimmt der Nystagmus ab und beim Schauen in Richtung der schnellen Phase verstärkt er sich.

  3. Bei dem Patienten liegt eine einseitige periphere Störung des vestibulookulären Reflexes (VOR) vor. Sie fällt durch einen pathologischen „Bedside-Kopfimpulstest“ auf. Bei einer Kopfwendung zur wahrscheinlich erkrankten Seite zeigt sich eine Refixationssakkade. Sichern lässt sich das Defizit und damit die Dia­gnose der AUPVP für den hohen Frequenzbereich des VOR mit dem Video-Kopfimpulstest (Defizit auf der betroffenen Seite, Verstärkungsfaktor < 0,7). Für den niedrigen Frequenzbereich eignet sich die kalorische Testung (relative Seitendifferenz > 25 % und/oder Summe der langsamen Phase der kalorischen Erregbarkeit für Kalt- und Warmspülung > 6 °C/sec).

  4. Es gibt keine zentralen Okulomotorikstörungen, keine vertikale Divergenz, keinen Blickrichtungsnystagmus entgegen der Richtung des Spontannystagmus und keinen anderen zentralen Nystag­mus.

  5. Symptome einer zentralen Störung und eine akute Beeinträchtigung des Gehörs fehlen.

  6. Man hat keine bessere Erklärung für die Erkrankung.

In der klinischen Untersuchung fällt außerdem auf, dass die subjektive visuelle Vertikale (SVV) in Richtung des betroffenen Laby­rinths gelenkt wird. Im Romberg-Test schwankt der Patient üblicherweise zur Seite der Läsion, wobei die Intensität zunimmt, wenn er die Augen schließt.

Hörstörungen, Tinnitus und zentrale neurologische Symptome müssen explizit erfragt werden, fordern die Autoren der neuen Leitlinie der deutschen Fachgesellschaften für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Neurologie und Audiologie*. Die Differenzierung zwischen peripherer oder zentraler Ursache ist aufgrund inkongruenter Befunde oft erschwert. Das gilt besonders für Infarkte im Versorgungsgebiet von A. cerebellaris inferior anterior (AICA) bzw. A. cerebellaris posterior inferior (PICA). Deshalb plädieren die Leitlinienautoren bei Patienten mit akutem vestibulärem Syndrom für eine fachübergreifende Untersuchung.

Bei einer akut aufgetretenen Hörstörung sollten M. Menière und Hirninfarkt im AICA-Gebiet mittels Reinton-Audiogramm ausgeschlossen werden. Beide Differenzialdiagnosen können mit einer Hypakusis einhergehen.

Hinweise auf eine zentrale Ursache muss man notfallmäßig abklären, mittels CT (Blutung), CT-Angiographie (Vertebralis-/Basilarisstenose) und MRT (einschließlich diffusionsgewichteter Sequenzen). Allerdings fällt die Kernspindiagnostik bei der Hälfte der Patienten mit kleinen Läsionen (< 10 mm) in Hirnstamm oder Cerebellum in den ersten 24 Stunden nach Symptombeginn negativ aus. 

Wichtige Differenzialdiagnosen

  • Cogan Syndrom
  • Herpes zoster oticus (Ramsay-Hunt Syndrom)
  • Ischämie/Blutung/ Entzündung im Bereich des Hirnstamms oder Kleinhirns
  • Labyrinthitis
  • Cupulolithiasis des horizontalen Bogengangs
  • Morbus Menière
  • Vestibularisparoxysmie
  • Vestibuläre Migräne
  • Vestibularisschwannom

Zur Akuttherapie von Schwindel, Übelkeit und Erbrechen eignen sich Antivertiginosa wie Dimenhydrinat (max. 400 mg/d), Ondansetron (max. 32 mg/d) oder Lorazepam (max. 4 mg/d). Sedierende Substanzen sollten allerdings nur bei schweren Symptomen und nicht länger als ein bis drei Tage eingesetzt werden. Die Auswahl richtet sich nach den individuellen Kontraindikationen, wobei auch zu beachten ist, dass anti- dopaminerge Wirkstoffe ein persis­tierendes Parkinsonoid auslösen können. Zur kausalen Behandlung der akuten unilateralen Vestibulopathie empfehlen die Kollegen Glukokortikoide in einer Äquivalenzdosis von 250 mg/d Prednisolon (oral oder i.v.). Die systemische Therapie beginnt idealerweise unmittelbar nach Symptombeginn, denn sie zeigt in den ersten drei Tagen die stärkste Wirkung. Die zentrale Kompensation der akuten einseitigen Vestibulopathie lässt sich am besten mit einem aktiven Gleichgewichtstraining fördern, das ebenfalls so früh wie möglich beginnen sollte. Seine Wirksamkeit wurde in kontrollierten Studien belegt. Ratsam sind drei Übungseinheiten von jeweils mindestens 15 Minuten pro Tag über etwa vier Wochen je nach Ansprechen. Als besonders wichtig für den Erfolg gelten horizontale Kopfdrehungen, die der Patient schon durchführen kann, wenn er noch bettlägerig ist.

* Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Deutsche Gesellschaft für Audiologie

Quelle: S2k-Leitlinie „Vestibuläre Funktionsstörungen“, AWMF-Register-Nr. 017/078, www.awmf.org

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