Schwindel
Als Schwindel bezeichnet man entweder eine unangenehme Störung der räumlichen Orientierung oder aber die fälschliche Wahrnehmung einer Bewegung des Körpers (Drehen und Schwanken) und/oder der Umgebung. Es handelt sich um ein sehr häufiges Leitsymptom – die Lebenszeitprävalenz liegt bei 20 bis 30%.
Zahlreiche Organsysteme können an der Entstehung von Schwindel beteiligt sein. Dazu gehören:
- vestibuläres System
- ZNS (einschließlich Medikamentennebenwirkungen)
- peripheres Nervensystem (einschließlich HWS beidngte Irritationen)
- Herz-Kreislauf-System
- Ohren
- Augen
- Psyche
Etwa 60% der Schwindel-Syndrome lassen sich nicht eindeutig einer bestimmten Erkrankung zuordnen. Dazu gehören vor allem:
- Psychogener (phobischer) Schwindel
- Multifaktorieller Schwindel im Alter (Zusammentreffen mehrerer, meist nur leicht ausgeprägter Störungen an verschiedenen Orten der Gleichgewichtswahrnehmung und –verarbeitung)
Von den verbleibenden 40% leidet etwa die Hälfte an einem benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV). Die andere Hälfte verteilt sich auf Diagnosen wie:
- zervikogener und vestibulärer Schwindel
- Orthostase
- Herzrhythmusstörungen
- Polyneuropathie
- Medikamentennebenwirkungen
- zerebrale Durchblutungsstörungen
- Migräne
- M. Menière
- obstruktive Herzerkrankungen (z.B. Aortenklappenstenose)
ICD10-Code: R42, H81
Es lassen sich grob vier Arten von Schwindel unterscheiden:
Drehschwindel (wie „Karusselfahren“), z.B.
- Vestibularisparoxysmie
- BPPV (ggf. mit Übelkeit)
- Perilymphfistel (mit Hörminderung/Tinnitus)
- M. Menière (Hörstörung Tinnitus, Ohrdruck)
- Vestibuläre Migräne (ggf. Kopfschmerzen, Lichtempfindlichkeit, vegetative Symptome)
- Zentraler Schwindel (Doppelbilder, Lähmungen)
- Akute einseitige Vestilopathie (Zunahme bei Bewegung, Übelkeit, Erbrechen, Oszillopsien)
- Labyrinthitis / Zoster oticus (Hörstörungen, Ohrenschmerzen)
Schwankschwindel (wie „Bootfahren“), z.B.
- Bilaterale Vestikulopathie (in Bewegung, Zunahme im Dunkeln)
- Zervikaler Schwindel (umstrittene Entität)
- TIA (zusätzliche vegetative oder neurologische Symptome)
- Vestibuläre Migräne (ggf. Kopfschmerzen, Lichtempfindlichkeit, vegetative Symptome)
- Hypoglykämie (Schwitzen, Unruhe)
- Anpassungsstörung an neue Gleitsichtbrille
- Infarkt/Blutung im Bereich von Hirnstamm oder Kleinhirn (neurologische/vegetative Symptome)
Gangunsicherheit (ohne bemerkte „Sensationen“ im Kopf)
- Polyneuropathie (Zunahme im Dunkeln, taube Beine)
- Bilaterale Vestikulopathien (Oszillopsien beim Gehen
Benommenheitsschwindel und Synkopengefühl, z.B.
- Tachykarde und bradykarde Rhythmusstörungen
- Orthostase (beim Aufstehen aus dem Liegen)
- Carotis-Sinus-Syndrom (bei Kopfdrehung)
- Subclavia-Steel-Syndrom (bei Über-Kopf-Arbeiten)
- Obstruktive kardiale Erkrankungen (z.B. Aortenklappenstenose, Belastungsdyspnoe)
- Medikamentennebenwirkungen
- Intoxikationen (z.B. Alkohol, Lösungsmittel)
- Funktioneller Schwindel (Angst und Panikattacken)
- Phobischer Schwankschwindel (situative Verstärkung)
- Multifakorieller Schwindel im Alter
Darüber hinaus können folgende Paramater wichtige Hinweise auf den Ursprung des Schwindels geben:
Dauer der Schwindelattacken:
- Sekunden bis Minuten (z.B. Vestibularisparoxysmie),
- Stunden (z.B. M. Menière oder vestibuläre Migräne)
- Dauerschwindel für Tage bis wenige Wochen (z.B. Neuritis vestibularis)
Auftreten bzw. Verstärkung des Schwindels:
- in Ruhe (z.B. Neuritis vestibularis)
- beim Gehen (z.B. bilaterale Vestibulopathie)
- durch Kopfdrehungen nach rechts oder links (z.B. Vestibularisparoxysmie)
- durch Umdrehen im Bett (z.B. BPPV)
- durch Husten, Pressen oder laute Töne bestimmter Frequenzen (z.B. Perilymphfistel)
- in bestimmten sozialen oder Umgebungssituationen (z.B. phobischer Schwankschwindel)
- bei Anstrengung (Herzerkrankungen)
Mögliche Begleitsymptome:
- vom Innenohr ausgehend (z.B. Tinnitus, Hypakusis oder Druckgefühl auf einem Ohr)
- vom Hirnstamm ausgehend (Doppelbilder, Sensibilitäts-, Schluck- und Sprechstörungen oder Lähmungen)
- Kopfschmerzen (Hinweis auf vestibuläre Migräne, Hirnstammischämie oder Blutung in der hinteren Schädelgrube)
- Schwarzwerden vor den Augen (z.B. TIA)
Benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel:
- kurze Drehschwindelattacken mit gleichzeitigem zum unten liegenden Ohr rotierendem und zur Stirn schlagendem vertikalen Lagerungsnystagmus
- ausgelöst durch Kopfreklination oder Kopf/Körperseitlagerung zum betroffenen Ohr
- nach der Lagerung mit einer kurzen Latenz von Sekunden in Form eines Crescendo-Decrescendo-Verlaufs von 30 bis 60 s Dauer
Schon die genaue Anamnese weist häufig auf die möglichen Ursachen der Schwindelsymptomatik.
Allgemeiner Status:
- Erfassung von Angst/Beunruhigung und Darstellung der Symptomatik (z.B. dramatisierend)
- Beobachtung der Bewegung (z.B. Festhalten, Schwanken)
- Medikamentenanamnese
Kreislauf
- Blutdruck (ggf. Schellongtest)
- Herzauskultation/ggf. EKG
- ggf. Carotis-Druckversuch (unter EKG-Monitoring)
- ggf. Pulsstatus beim Armheben (Subcavian-Steel-Syndrom)
Untersuchung der HWS (Myegelosen)
Neurologische Untersuchung:
- Reflexstatus, Sensibilität der Beine
- Vorhalteversuch (Ausschluss latenter Paresen)
- Romberg-Stehversuch/Unterberger Tretversuch (cerebellär, spinal, vestibulär)
- Diadochkinese (cerebellär)
- Finger-Nase- und Knie-Hacken-Versuch (zerebral, cerebellär)
HNO-Untersuchung:
- Nystagmusprüfung (Spontan-, Einstell- und Blickrichtungsnystagmus)
- Schneller Kopf-Dreh-Test
- Lagerungsversuch bei Lagerungsschwindel
- Hörprüfung bei Hinweisen auf vestibuläre Störung
Laboruntersuchungen tragen wenig zur Abklärung von Schwindel bei.
Bildgebende Verfahren sollten nur bei einem gezielten Verdacht zur Anwendung kommen..
Da es sich bei Schwindel nicht um eine eigenständige Erkrankung, sondern um eine Symptom handelt, sollten mögliche Ursachen des Schwindels abgeklärt werden (siehe Symptomatik).
Außerdem sollte immer genau nachgehakt werden, was die Patienten mit dem Wort Schwindel eigentlich meinen (z.B. auch Schwäche, Gangunsicherheit, Beklemmung).
Oft ist die Beruhigung des Patienten schon die halbe Therapie. Vor allem sollte darauf hingewiesen werden, dass die Schwindelattacken durch Adaptionsvorgänge in der Regel von allein vorbeigehen.
Kurzfristig können Antivertigonosa verbreicht werden:
- Cinnarizin plus Dimenhydrinat
- Betahistin (vor allem bei M. Menière)
- Homöopathikum (Vertigoheel®)
Nicht-pharmakologische Therapien:
- Bei BPPV: Epley-Manöver durchführen oder anleiten
- Bei zervikogenem Schwindel Krankengymnastik oder Chirotherapie
- Gleichgewichtsübungen (vor allem bei Schwindel im Alter)
Regelmäßige Gleichgewichtsübungen können möglicherweise dem multifaktoriellen Schwindel im Alter vorbeugen.
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN):
Schwindel-Diagnose
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN):
Schwindel-Therapie
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmeidzin und Familinemedzin (DEGAM);
Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis
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