„Als ob ich nicht existiere“ – Depersonalisation von Psychose unterscheiden

Tim Förderer / Birgit Maronde

DP-Patienten fühlen sich, als wären sie in einem Traum, als wären Sie von sich losgelöst und befänden sich in einem Nebel. DP-Patienten fühlen sich, als wären sie in einem Traum, als wären Sie von sich losgelöst und befänden sich in einem Nebel. © fotolia/LIGHTFIELD STUDIOS

„Ich komme mir vor, als ob ich in einem Traum bin. Ich fühle mich von meinen Leben losgelöst und beobachte es wie durch einen Nebel.“ Wenn Ihnen ein Patient Derartiges berichtet, gilt es, eine Frage rasch zu klären: Harmlose Episode oder ernsthafte Erkrankung?

Fast jeder vierte Gesunde soll es innerhalb eines Jahres erlebt haben: das für Sekunden bis wenige Tage anhaltende Gefühl, selbst nicht real, von den eigenen Emotionen losgelöst zu sein und/oder sich in einer unwirklichen bzw. nicht existenten Umgebung zu befinden. Typische Trigger eines solchen Depersonalisations- bzw. Derealisationserlebens sind Übermüdung, Jetlag, Alkohol- und Drogenkonsum, aber auch lebensbedrohliche Ereignisse, erklären die Psychologin Dr. Elaine Hunter vom Maudsley Hospital in London und Kollegen.

Schutzmechanismus des Gehirns springt an

Oft befürchten die Betroffenen, sie seien psychisch krank und suchen Rat bei ihrem Arzt. Der kann oft schon an der Art, wie sein Patient die Symptome in Worte fasst, erkennen, ob eine Psychose mit Halluzinationen bzw. Wahn vorliegt oder eben eine Depersonalisation (DP)bzw. Derealisation (DR). Ein psychotischer Patient kann nicht mehr zwischen realer und gestörter Welt unterscheiden, derjenige mit DP/DR aber sehr wohl. Entsprechend schildert er seine Erlebnisse mit Formulierungen wie „als ob“.

Ebenfalls von Bedeutung: die Dauer der Symptome. Ist der „Zauber“ vorbei und entsprach er tatsächlich nur einer kurzen Episode bei dem ansonsten gesunden Patienten, dürfen Sie Entwarnung geben, sollten aber über die Symptome und die möglichen Triggerfaktoren aufklären, fordern Dr. Hunter et al. Sie weisen darauf hin, dass Depersonalisation und Derealisation als ein Schutzmechanismus des Gehirns betrachtet werden, der in Ausnahmesituationen anspringt und in den meisten Fällen innerhalb weniger Tage wieder verschwindet. Aufklären und beruhigen lautet die Devise auch dann, wenn der eigentlich gesunde Patient vor Kurzem ein Depersonalisations- und/oder Derealisationserleben entwickelt hat, aber noch symptomatisch ist. Ihn sollten Sie nach zwei Wochen kontrollieren.

Primäre Störung bleibt häufig unerkannt

Persistieren die Beschwerden dann immer noch, ist zu überlegen, ob sie sekundär im Rahmen einer Grund­erkrankung – Migräne, Temporallappenepilepsie, Angststörung, Depression, posttraumatische Belas­tungsstörung, Persönlichkeitsstörung – auftreten. Liegt eine solche Erkrankung vor, wird natürlich spezifisch behandelt bzw. der Patient an einen Neurologen bzw. Psychiater überwiesen.

Dies gilt auch, wenn der Verdacht auf eine primäre Depersonalisations-Derealisationsstörung (DPRD, Depersonalisation-derealisation Disorder) im Raum steht. Diese psychische Erkrankung ist mit einer Prävalenz von 1 % in der Normalbevölkerung nicht ganz selten, bleibt aber häufig unerkannt. Typischerweise vergehen bis zur Diagnose sieben bis zwölf Jahre.

Die Krankheit beginnt häufig bereits in der Jugend, unbehandelt droht ein chronischer Verlauf über Jahre. Typische Trigger sind akuter Stress und vor allem der Konsum von Cannabis. Komorbiditäten können, müssen aber nicht vorhanden sein. Als Risikofaktoren kennt man u.a. Angststörung in der (Familien-)Anamnese, emotionaler Missbrauch bzw. emotionale Vernachlässigung.

Nur ein Joint

Kurz nachdem er abends Cannabis geraucht hat, fühlt sich J. D. plötzlich wie von seiner Umgebung distanziert. Er entwickelt eine Panikattacke, die erst endet, als er irgendwann einschläft. Am nächsten Morgen kommt es ihm immer noch so vor, als sei er Beobachter seines eigenen Lebens – ein Zustand, der über Monate anhält. „Normale“ Tagesaktivitäten, kognitive Verhaltens- und achtsamkeitsbasierte Therapien helfen ihm dabei, sich nach und nach wieder lebendig zu fühlen und mit seiner Angst umzugehen.

Patienten vermitteln, dass sie eine Chance auf Heilung haben

Wichtig ist, diesen auch funktionell oft schwer betroffenen Patienten zu vermitteln, dass sie eine Chance auf Heilung haben, betonen Dr. Hunter und Kollegen. Hilfreich sind dabei Infomaterialien, telefonische und Online-Unterstützung und vor allem Berichte über Betroffene, die ihre Krankheit überwunden haben. Behandelt wird vor allem psychotherapeutisch, wobei sich an die DPRD adaptierte kognitive Verhaltenstherapien bewährt haben. Auch achtsamkeitsbasierte Ansätze können von Vorteil sein. Möglicherweise erzielt auch die transkranielle Magnetstimulation gute Effekte. Was die medikamentöse Therapie betrifft, hat man bislang keine überzeugenden Daten.

Quelle: Aus der Fachliteratur
Quelle: Hunter ECM et al. BMJ 2017; 356: j745

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DP-Patienten fühlen sich, als wären sie in einem Traum, als wären Sie von sich losgelöst und befänden sich in einem Nebel. DP-Patienten fühlen sich, als wären sie in einem Traum, als wären Sie von sich losgelöst und befänden sich in einem Nebel. © fotolia/LIGHTFIELD STUDIOS