Psychose, akute
Akute Psychosen mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Denkstörungen können vielfältige Ursachen haben. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen primären (nicht-organischen, funktionellen) Psychosen und sekundären (organische, symptomatischen) Psychosen.
Weltweit erkranken ca. 3-4 % der Bevölkerung im Laufe des Lebens an einer Psychose – Frauen gleichermaßen wie Männer.
Die primären Psychosen lassen sich in verschiedene Untergruppen einteilen: Schizoaffektive Psychosen: Formen der Psychose, bei der sich Symptome der schizophrenen (Wahn, Halluzinationen) und der affektiven Psychose (depressive, manische Zustände) mischen bzw. nahezu gleichzeitig auftreten. Dabei erfüllen sie weder die Kriterien für Schizophrenie noch für eine depressive oder manische Episode.
Schizotype Störung: Form der psychotischen Störung mit ungewöhnlichen Wahrnehmungserlebnissen sowie Denkstörungen, die allerdings nicht den Schwere- und Ausprägungsgrad einer Schizophrenie erreicht. Typisch sind Anomalien des Denkens und der Stimmung aus, die schizophren wirken, obwohl nie eindeutige schizophrene Symptome aufgetreten sind. Man findet z.B. Anhedonie, Tendenz zu sozialem Rückzug, paranoische Ideen (keine eigentlichen Wahnvorstellungen), zwanghaftes Grübeln, Denk- und Wahrnehmungsstörungen - gelegentlich auch Episoden mit Illusionen, akustischen oder anderen Halluzinationen und wahnähnlichen Ideen (meist ohne äußere Veranlassung). Es lässt sich kein klarer Beginn für die Störung feststellen.
Anhaltende wahnhafte Störung: Hierbei ist ein langandauernder Wahn das entscheidende klinische Merkmal. Betroffene entwickeln eine einzelne Wahnidee oder mehrere aufeinander bezogene Wahninhalte.
Akute vorübergehende psychotische Störung: Charakteristisch ist ein akuter Beginn innerhalb von zwei Wochen und eine rasch wechselnde Symptomatik, bei der neben typischen schizophrenen Symptomen (Wahnvorstellungen, Halluzinationen und andere Wahrnehmungsstörungen) auch schwere Störung des normalen Verhaltens auftreten. Die Krankheitsdauer beträgt maximal bis zu drei Monaten.
Induzierte wahnhafte Störungen: Dies ist eine seltene Erkrankungsform, bei der die Wahnvorstellungen einer Person auf eine nahestehende ansonsten gesunde Person übertragen (induziert) werden. Beide Personen stehen dabei meist in einer engen emotionalen Beziehung. Gelegentlich betrifft die Störung auch mehr als zwei Personen (z.B. Eltern und Kinder)
Affektive Psychosen: hierbei sind vor allem Stimmung, Motivation und Antrieb beeinträchtigt (psychotische Depression, Manie, bipolare Erkrankungen).
Sekundäre (organische, symptomatische) Psychosen
Eine sekundäre Psychose wird auch als körperlich begründbare Psychose, symptomatische Psychose oder organische Psychose bezeichnet. Auslöser können z.B. Psychostimulanzien wie Alkohol, LSD oder Cannabis sein.
Sekundäre Psychosen können akut oder chronisch-progredient verlaufen. Akute sekundäre Psychosen sind in der Regel reversibel, wenn die zugrunde liegende Ursache/Erkrankung rechtzeitig erkannt und behandelt wird, sie können sich auch spontan bessern. Auch bei chronischen Psychosen sind Besserungen bei adäquater Behandlung möglich.
Akute organische Psychose
- plötzliches Auftreten mit fluktuierenden Störungen von Kognition, Psychomotorik und Affekt
- Formen mit Desorientierung und Bewusstseinsveränderung (z.B. Delir, Dämmerzustand) und Ausprägungen ohne Bewusstseinsveränderung möglich
- meist reversibel bei eintsprechender Behandlung
Beispiele sind:
Hirnlokales Psychosyndrom
- Bewusstseinsstörungen, Gedächtnisstörungen, Orientierungsstörungen, Ich-Erlebensstörungen, Wahn und Halluzinationen
- Ursachen sind ZNS-Veränderungen wie Hirntumore, Schädel-Hirn-Trauma, frühkindliche Hirnschädigungen, Vergiftungen, Infektionen (z.B. Gehirn/Hirnhaut-Entzündung), Epilepsie oder Durchblutungsstörungen des Gehirns
Delir (Delirium)
- fluktuierender Bewusstseinstrübung, der mit einem Krampfanfall einsetzen kann und mit den Symptomen Desorientierung, Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, ängstlicher Unruhe, ausgeprägtes Zittern (Tremor) einhergehen kann.
- Auftreten z.B. bei hohem Fieber, Vergiftungen, Infektionen oder Dehydrierung, Alkoholentzg, postoperativ
Dämmerzustand
- im Rahmen von Schädel-Hirn-Traumata, Vergiftungen oder Epilepsie
Chronische organische Psychose
- Folge einer chronischen Hirnerkrankung
- Beeinträchtigung des Gedächtnisses, eingeschränkte kognitive Fähigkeiten (betroffen sind v.a. das abstrakte Denken, Konzentrationsfähigkeit und Urteilsvermögen)
- Veränderungen von Psychomotorik, Antrieb, Affekt und sozialer Beziehungsgestaltung
- Wahnvorstellungen (häufig in Form von Verfolgungs- oder Beziehungswahn)
- Halluzinationen (meist akustisch, aber auch Geruchs-, Geschmacks-, Tast- und optische Halluzinationen)
- Ich-Störungen (Umwelt oder eigene Person erscheint nicht real, eigene Gedanken werden auch von anderen wahrgenommen und beeinflusst)
- Denkstörungen (Probleme im formalen Denkablauf, Unkonzentriertheit, Verwirrtheit)
- oft begleitet von Stimmungsschwankungen
- Einschränkungen der Leistungsfähigkeit
- oft auch affektive Störungen wie Depressionen oder Ängste
Bei sekundären Psychosen kommen häufig zusätzlich Verwirrtheitszustände (Desorientierung), Bewusstseinsstörungen und Gedächtnisstörungen hinzu.
Die körperliche Untersuchung ist in der Regel unauffällig.
An erster Stelle muss bei den Symptomen einer akuten Psychose eine sekundäre Psychose-Form ausgeschlossen werden. Dazu gehören neben Anamnese und körperlicher Untersuchung:
- Laboruntersuchungen (u.a. Blutbild, Entzündungswerte, Blutzucker, Leber- und Nierenwerte, Elektrolyte)
- Drogenscreening
- EEG
- EKG
- Bildgebung des Gehirns
- ggf. Liquoruntersuchung
Die primäre Psychose ist somit eine Ausschlussdiagnose. Eine genaue Zuordnung zu einer bestimmten Erkrankungsform der primären Psychosen ist bei der Erstuntersuchung oft noch nicht möglich, sodass eine Beobachtung über einen längeren Zeitraum erforderlich ist.
Wichtigste Differenzialdiagnosen sind Schizophrenie und bipolare Störungen.
Bei den sekundären, organisch bedingten Psychosen steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund.
Unabhängig von der Ursache lassen sich die Symptome einer Psychose durch Antipsychotika behandeln, wodurch in der Regel Verlauf und Prognose gebessert werden. Sie wirken gegen die Hauptsymptome des Wahns und der Halluzination und können dadurch rasch zu Besserungen führen.
An erster Stelle werden meist Atypika eingesetzt werden, das sie im Vergleich zu den typischen Antipsychotika geringere dosisabhängige extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen aufweisen. Auch hier müssen aber die substanzspezifischen Nebenwirkungen beachtet werden und die Substanzen sollten so niedrig wie möglich dosiert werden.
Zu den Atypika gehören:
- Amisulprid
- Aripiprazol
- Clozapin
- Olanzapin
- Quetiapin
- Risperidon
- Ziprasidon
Alternativ können konventionelle Antipsychotika eingesetzt werden, wenn der Patient dies wünscht oder die Mittel sich bereits als wirksam und gut verträglich erwiesen haben. Dazu gehören z.B. Haloperidol, Flupentixol, Fluphenazin oder Perazin. Die Patienten müsse jedoch auf das erhöhte Risiko von Spätdyskinesien hingewiesen werden.
Stützende psychotherapeutische Gespräche und weitere kognitive Psychotherapieverfahren können während der akuten Krankheitsphase einen wichtigen Beitrag für die Krankheitsbewältigung leisten und sich günstig auf den Verlauf der Erkrankung auswirken.
Zunächst geht es darum, die Reizüberflutung einzudämmen, tiefer Verunsicherung und Ängsten entgegenzuwirken sowie unter Umständen auch, dem Patienten zur Krankheitseinsicht zu verhelfen.
Bei fehlender Krankheitseinsicht und Selbst- oder Fremdgefährdung, die anderweitig nicht abgewendet werden kann, muss gegebenenfalls von dem Instrument der Zwangseinweisung oder von der Einrichtung einer Betreuung Gebrauch gemacht werden.
Eine Prävention ist nicht bekannt.
- Neurologen und Psychiater im Netz
- Psychische Erkrankungen – Klinik und Therapie (Mathias Berger; Urban & Fischer; 4. Auflage 2012)
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