Sexsucht
Da Vorstellungen über sexuelle „Normalität“ stark von kulturellen Einflüssen abhängen, ist eine genaue Definition einer „nicht gesunden Sexualität“ schwierig.
Hypersexualität an sich stellt noch keine Störung im klinischen Sinne dar. Eine sexuelle Sucht kann aber vorliegen, wenn über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende Schwierigkeiten bestehen, sexuelles Verhalten, Fantasien oder Verhaltensweisen zu kontrollieren. Dabei sollten diese Fantasien oder Verhaltensweisen klinisch relevante Schwierigkeiten oder Einschränkungen in sozialen, beruflichen oder anderen funktionelle wichtigen Bereichen verursachen und nicht durch andere psychische Störungen oder körperliche Erkrankungen erklärbar sein.
Man schätzt, dass etwa 5 % der Allgemeinbevölkerung im Laufe des Lebens solch eine Störung entwickeln – dabei scheinen Männer deutlich häufiger betroffen zu sein als Frauen.
Zu den Leitsymptomen gehören:
- exzessive Masturbation
- Pornographie-, Telefonsex-, Cybersex-Abhängigkeit
- protrahierte Promiskuität
- Inkompatibilität sexueller Wünsche in Beziehungen
- evtl. Scham- und Schuldgefühle
Die Symptome sollten über mindestens sechs Monate bestehen und zu klinisch relevanten Funktionseinbußen und einem Leidensdruck führen.
Der körperliche Untersuchungsbefund ist in der Regel unauffällig.
Als Screeninginstrument können folgende Fragen gestellt werden:
- Hatten Sie jemals wiederkehrende Schwierigkeiten, Ihr sexuelles Verlangen zu kontrollieren?
- Hatte Ihr sexuelles Verlangen negative Konsequenzen – z.B. juristische, in der Partnerschaft, im Beruf, medizinische (z.B. sexuell übertragbare Erkrankungen?
- Gab es Versuche, das Verhalten zu verheimlichen und/oder Schamgefühle?
- Hatte Sie jemals das Gefühl, zu viel Zeit mit sexuellen Aktivitäten zu verbringen?
Die Anamnese sollte erfassen:
- sexuelle Aufklärung
- erste sexuelle Erfahrungen
- Bedeutung von Sexualität und Intimität in der Familie
- körperliche Entwicklung (z.B. Pubertät, Menarche, Operationen oder Erkrankungen im Urogenitalbereich)
- Entwicklung der Geschlechtsidentität und Rollenvorstellungen
- sexuelle Fantasien
- Beginn, Häufigkeit, sexuelle Fantasien und Praktiken bei der Masturbation
- sexuelle Kontakte und Beziehungen
- sexuelle Funktionsstörungen
- Pornographie und Internetbenutzung
- sexuelle Kontakte mit Prostituierten (Häufigkeit, spezielle Interessen, finanzielle Probleme dadurch)
- sexuelles Risikoverhalten (sexuelle übertragbare Erkrankungen)
- traumatische sexuelle Erfahrungen
- bisherige Behandlungserfahrungen
Wichtige Differenzialdiagnosen sind:
- Zwangsspektrumstörungen mit sexuell getönten Zwangsgedanken
- gesteigertes sexuelles Verlangen bei manischen oder hypomanischen Episoden
- begleitendes Symptom von schizophrenen oder wahnhaften Störungen
- sexuelle Impulsivität bei Borderline-Persönlichkeitsstörung
- unkontrolliertes sexuelles Verlangen bei neurologischen Störungen (z.B. frontale oder temporolimbischen Läsionen bei MS, Wilson- oder Huntington-Erkrankung) oder durch Medikamente (z.B. L-Dopa)
Es wird ein multimodaler Therapieansatz favorisiert, wobei die Behandlungsziele und der Behandlungsplan von der individuelle Symptomatik, Komorbiditäten und dem vermuteten Ausgangspunkt für die Entwicklung der Störung abhängen.
Dazu können gehören:
- kognitive Verhaltenstherapie
- Einzel- und Gruppentherapie
- familientherapeutische und systemische Ansätze
- evtl. Beschränkung des Zugangs zu bestimmten Stimuli (z.B. Internet, Telefonsex)
- Selbsthilfegruppen ähnlich der Anonymen Alkoholiker (z.B. anonyme Sex- und Liebessüchtige)
Medikation:
Vor allem in der Anfangsphase der Therapie kommen oft unterstützend SSRI zum Einsatz.
Antiandrogene Medikamente sind schweren Verläufen von Paraphilien vorbehalten (z.B. Pädophilie, sexueller Sadismus) und sollten nicht bei Sexsucht ohne diese Problematik eingesetzt werden.
Spezielle Präventionsmaßnahmen sind nicht bekannt – der leichte, anonyme Zugang zu Pornographie im Internet scheint das Problem aber zu verstärken.
- Dominik Batthyani, Alfred Pritz in „Rausch ohne Drogen Substanzungebundene Süchte“, 2009, Springer-Verlag/Wien
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