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Antidepressiva sogar schlechter als Placebo?

Die Diskussion um die Wirksamkeit von Antidepressiva schwelt bereits seit Jahren. 2008 hatte die US Food and Drug Administration (FDA) alle placebokontrollierten Studien zu den sechs meistverkauften Wirkstoffen (Citalopram, Venlafaxin, Sertralin, Fluoxetin, Paroxetin und Nefazodon) unter die Lupe genommen, berichtete Professor Dr. Irving Kirsch von der Harvard University in Boston. Heraus kam, dass auf der HAM-D-Skala (Hamilton Depression Scale) am Ende ein Unterschied von 1,8 Punkten zugunsten der antidepressiven Therapie stand.
Befürworter kritisieren willkürliche Schwellenwerte
Zur Erinnerung: Die Skala fragt 17 Items ab und reicht von 0 bis 53 Punkte. Die 1,8 Punkte machten zudem weniger als 20 % des Gesamteffektes aus. Anders ausgedrückt: Über 80 % der Wirkung schaffte auch das Placebo. „Und das waren Studien, die dazu angelegt waren, das Beste für die geprüften Substanzen herauszuholen“, betonte der amerikanische Psychologe. Wie das Therapieergebnis bei unselektierten Patienten ausfalle, wenn schon ausgewählte und aufwandsentschädigte Studienteilnehmer so abschnitten, möge man sich kaum vorstellen.
Das FDA-Ergebnis ist später in mehreren Untersuchungen bestätigt worden. Mehr als 2,56 Punkte gegenüber Placebo kam bei keiner von ihnen heraus. Die neueste Analyse stützt sich auf 92 Studien mit über 23 000 Patienten – und auch hier betrug die Differenz 1,8 Punkte. Das britische National Institute for Clinical Evidence (NICE) fordert mindestens drei Punkte, um den Unterschied als klinisch relevant einzustufen.Verteidiger der antidepressiven Medikation führen an, die Drei-Punkte-Schwelle sei willkürlich gewählt. Dem stimmt Prof. Kirsch zu. Aber ebenso willkürlich sei der p-Wert von 0,5 als Kriterium für statistische Signifikanz, der Symptomrückgang von 50 % für Ansprechen und der HAM-D von unter acht Punkten für Remission.
Häufiger Rezidive nach Antidepressiva-Therapie
Dem Psychologen sind selbst drei Punkte zu wenig. Er verwies auf Schmerztherapeuten, die bei der Clinical Global Impression (CGI) mindestens eine deutliche Besserung fordern („much improved“). Übertragen auf den HAM-D entspräche das 14 Punkten, ergab eine Untersuchung. Sieben Punkte korrelieren mit „minimaler Verbesserung“ und die drei NICE-Punkte mit „keiner Veränderung“. Patienten, die Antidepressiva bekommen, schlucken also offenbar ein besseres Placebo. Das wäre nicht unbedingt schlimm, gäbe es nicht Hinweise, dass die Präparate den Krankheitsverlauf verschlimmern.
In Folgeuntersuchungen zu placebokontrollierten Studien hat sich gezeigt, dass Patienten aus dem aktiven Therapiearm nach Absetzen mehr als doppelt so häufig Rezidive erlitten wie jene, bei denen die Placebobehandlung beendet worden war. Je stärker der Noradrenalin- und/oder Serotonin-Anstieg, desto größer das Rezidivrisiko.
Nicht-medikamentöse Strategien, ob Psychotherapie oder körperliches Training, haben sich als deutlich effektiver erwiesen. Sie sind kurzfristig mindes-tens so wirksam wie Antidepressiva und wesentlich erfolgreicher in der Rückfallprävention. Außerdem geben die meis-ten Patienten der Psychotherapie den Vorzug vor Medikamenten, so Prof. Kirsch.
*Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
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