Antidiabetikum bei COVID-19 im Test

Ulrike Viegener

Künstliche Beatmung war unter DPP4-Hemmung wohl seltener nötig. Künstliche Beatmung war unter DPP4-Hemmung wohl seltener nötig. © Morsa Images – stock.adobe.com

Laut zwei italienischen Studien ging die Gabe eines DPP4-Hemmers mit milderen COVID-19-Verläufen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes einher. Experten ordnen die vorläufigen Ergebnisse ein.

In einer retrospektiven Fall-Kon­troll-Studie fand ein Forscherteam um Dr. Sebastiano Solerte, Universität Pavia, bei COVID-19-infizierten Patienten mit Typ-2-Diabetes unter Sitagliptin eine um mehr als die Hälfte reduzierte Sterblichkeit.1

Mortalität mehr als halbiert

In einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie wurde bei 338 COVID-19-Patienten mit Typ-2-Diabetes nach stationärer Einweisung die bestehende antidiabetische Therapie abgesetzt und auf Insulin umgestellt.1 169 Patienten erhielten zusätzlich Sitagliptin (einmal täglich 100  bzw. 50 mg bei reduzierter eGFR). 169 laut Forschern ähnliche Kontrollpatienten wurden nicht mit dem DPP4-Inhibitor behandelt. Alle Patienten litten an Pneumonie, die Sauerstoffsättigung lag unter 95 %. In der Sitagliptin-Gruppe starben 31 Patienten (18 %) im Vergleich zu 63 Patienten (37 %) in der Kontrollgruppe (HR 0,44). Intensivmedizinische Betreuung sowie künstliche Beatmung waren zudem unter Sitagliptin seltener erforderlich (HR 0,51 bzw. 0,27). Innerhalb von 30 Tagen konnten 120 der mit Sitagliptin behandelten Patienten die Klinik verlassen, bei den Kontrollpatienten waren es dagegen 89.

Und in einer von Wissenschaftlern um Dr. Marco Mirani, Humanitas Clinical and Research Center, Milan, vorgelegten Studie deuten die Ergebnisse auf eine Wirksamkeit von DPP4-Inhibitoren hin.2 Doch in dieser Studie wurden nur 11 Diabetes-Typ-2-Patienten DPP4-Inhibitoren behandelt. Von diesen starb einer, während von den 79 nicht mit DPP4-Inhibitoren behandelten Studienteilnehmern 37 starben. Eine vorbestehende Insulintherapie war mit einer dreifach höheren Sterblichkeit verbunden. Angesichts der dramatischen Ausmaße der COVID-19-Pandemie und des Mangels an effektiven Therapien stellen Professor Dr. ­Michael ­Nauck und Professor Dr. ­Juris ­Meier, Ruhr Universität Bochum, in einem Kommentar die Frage ob es gerechtfertigt ist, DPP4-Inhibitoren auf der Basis dieser Studien bereits jetzt in aktuelle Behandlungskonzepte zu integrieren.3 Der in den beiden italienischen Studien dokumentierte Benefit bewege sich in einer Größenordnung, die alle bisher verfügbaren Therapie­optionen übertrifft, betonen die Autoren. Andererseits entsprechen die Untersuchungen nicht den methodischen Anforderungen. Nicht nur fehlen in der Studie von Solerte et al. Randomisierung, Verblindung und Placebovergleich, auch die Maßgaben für eine retrospektive Datenanalyse seien nicht voll erfüllt. Auch seien Zweifel angebracht, ob die beiden Behandlungsgruppen tatsächlich vergleichbar waren, betonen die Autoren. Dasselbe gelte für die Studie von Mirani et al. – die wenigen mit DPP4-Inhibitoren behandelten Patienten wiesen u.a. niedrigere Entzündungswerte und eine geringere Komorbidität auf. Für einen positiven Effekt von DPP4-Inhibitoren in der COVID-19-Therapie spricht deren Wirkmechanismus. Solerte et al. argumentieren mit experimentellen Studien, denen zufolge das Virus beim Entern der Wirtszellen an das Oberflächenprotein DPP4 andockt. Laut Experten ist ein solcher Mechanismus allerdings spekulativ. Sie verweisen auf einen potenziellen Wirkmechanismus, der auf einer Interaktion des viralen Spikeproteins und DPP4 beruhen könnte: Denn unter DPP4-Inhibitoren steigt – in Mausversuchen – die Konzentration von löslichem DPP4 im Blut, wodurch Viren möglicherweise frühzeitig abgefangen werden. In ihrem Kommentar thematisieren die Experten die Grundsatzfrage, ob die Pandemie, verursacht durch eine bis dato nicht vollständig entschlüsselte Erkrankung, es rechtfertigt, die wissenschaftlichen Standards zu senken. Dafür spricht: Ein schneller wissenschaftlicher Austausch, auch von vorläufigen Ergebnissen, kann die Entwicklung von Behandlungsstrategien beschleunigen – und Leben retten. Doch die frühe Veröffentlichung von medizinischen Beobachtungen, bevor diese einer gründlichen wissenschaftlichen Beurteilung unterzogen wurden, kann zu falschen Therapieentscheidungen führen – wie bei Hydroxychloroquin. Es gelte daher nun, die Daten in kontrollierten Studien zu prüfen. Und zu klären, ob auch COVID-19-Patienten ohne Diabetes von DPP4-Hemmern profitieren.

Quellen:
1. Solerte SB et al. Diabetes Care 2020; DOI: 10.2337/dc20-1521
2. Mirani M et al. Diabetes Care 2020; DOI: 10.2337/dc20-1340
3. Nauck MA, Meier JJ. Diabetes Care 2020; DOI: 10.2337/dci20-0062

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