ASS: Die Entzündung geht, der Tumor kommt?

Ulrike Viegener

Fast 40 % der Erwachsenen ab 50 Jahre nehmen in den USA regelmäßig ASS. Fast 40 % der Erwachsenen ab 50 Jahre nehmen in den USA regelmäßig ASS. © Andrey Armyagov – stock.adobe.com

Eine Nachuntersuchung der ASPREE-Studie legt nahe, dass die Einnahme niedrigdosierten Acetylsalicylsäure bei älteren Menschen das Wachstum maligner Tumoren in fortgeschrittenen Stadien beschleunigt.

Vor fünf Jahren sorgten die Autoren der ASPREE-Studie für einiges Aufsehen, als sie die ersten Ergebnisse ihrer Untersuchung veröffentlichten. Laut diesen war eine Primärprävention mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS, 100 mg/d) bei älteren Menschen mit einem Anstieg der Gesamtmortalität assoziiert. Im Vergleich zu Placebo lag die Sterblichkeit nach einer Behandlungszeit von knapp fünf Jahren im Schnitt 14 % höher.

Dieser Anstieg ging in erster Linie auf das Konto neuer Tumor­erkrankungen. Das Krebsrisiko kletterte unter ASS ab dem dritten Behandlungsjahr stetig nach oben. Und auch wenn die Fallzahlen der einzelnen Entitäten für eine verbindliche Aussage zu niedrig ausfielen, konstatierten die Forscher vor allem für Mamma- und kolorektale Karzinome höhere krebsbezogene Mortalitätsraten. Die Hoffnung, durch Acetylsalicylsäure das Überleben älterer Personen günstig zu beeinflussen, hatte durch die Ergebnisse jedenfalls einen herben Dämpfer erfahren. Zumal es auch im Hinblick auf die Prävention kardiovaskulärer Ereignisse wenig Positives zu berichten gab.

Um diese für viele überraschenden Ergebnisse abermals zu prüfen, nahmen sich die Autoren um Professor Dr. John­ J. McNeil­ vom The Walter & Eliza Hall Institute of Medical Research im australischen Melbourne die Daten der ASPREE-Studie noch einmal vor. Kurz zur Erinnerung: Damals waren mehr als 19 000 Australier und US-Amerikaner ab 70 Jahren bzw. ethnische Minderheiten ab 65 Jahren rekrutiert worden, die zu Studienbeginn keine kardiovaskulären Erkrankungen, Demenz oder körperliche Behinderung aufwiesen.

Der aktuellen Analyse zufolge entwickelte jeder zehnte Teilnehmer im Verlauf der Studie Krebs, 981 Personen in der ASS-Gruppe sowie 952 in der Kontrolle. In mehr als zwei Dritteln der Fälle handelte es sich um solide Tumoren, die im Frühstadium entdeckt worden waren. Bei insgesamt 363 Patienten bzw. etwa 19 % hatte der Tumor bereits metastasiert.

Negativer Einfluss speziell in fortgeschrittenen Stadien

Im Kontrast zu den früheren Befunden zeigte sich das Risiko einer Krebsneuerkrankung unter der ASS-Behandlung jedoch nicht signifikant gegenüber Placebo erhöht (Hazard Risiko [HR] 1,04). Auch hinsichtlich solider Tumoren in frühen Stadien (HR 0,99) sowie Leukämien oder Lymphomen (HR 0,98) hatten die Wissenschaftler in der detaillierten Analyse keinen Risikoanstieg feststellen können. Höher lag jedoch der Anteil jener Patienten, deren Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose bereits metastasiert war (HR 1,22 bezogen auf Tumor­erkrankungen im Stadium 4).

Die Gabe von ASS scheint die Tumorprogression also speziell in fortgeschrittenen Stadien zu beschleunigen, lautet das Fazit der Wissenschaftler. Sie vermuten, dass durch die Hemmung von Entzündungsreaktionen durch Acetylsalicyl­säure die Immunabwehr beeinträchtigt wird. Die Frage, warum sich dies besonders in fortgeschrittenen Stadien und besonders im hohen Alter negativ auswirken sollte, bleibt unbeantwortet.

Quelle: McNeil JJ et al. Natl Cancer Inst 2020; DOI: 10.1093/jnci/djaa114

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