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Auch in der Krebsmedizin ist der geschlechtsspezifische Unterschied größer als gedacht

Die Datenlage zu den Geschlechterunterschieden in der Onkologie ist erheblich gewachsen, schreiben Dr. Nathalie Lehnen und Prof. Dr. Michael Hallek, beide vom Universitätsklinikum Köln, in ihrer Übersichtsarbeit. Nicht nur epidemiologisch, sondern auch hinsichtlich der Toxizitäts- und Ansprechraten verschiedener Therapeutika unterscheiden sich Frauen und Männer.
Bereits das angeborene Immunsystem ist geschlechtsspezifisch, das adaptive ebenfalls. Gründe hierfür sind genetische Faktoren sowie Alter, Reproduktionsstatus und die damit verbundenen Sexualhormone. So weisen Frauen mehr CD4-positive T-Zellen, ein höheres Verhältnis von CD4- zu CD8-Zellen sowie eine stärkere T-Zell-Antwort auf als Männer und haben damit insgesamt eine stärkere Immunabwehr. Das führt einer Hypothese zufolge in jungen Jahren dazu, dass sich Tumoren besonders gut „tarnen“. Dies könnte erklären, warum jüngere Frauen z.B. schlecht auf Checkpoint-Inhibitoren ansprechen.
Geschlechtshormone nehmen Einfluss auf das Immunsystem
Besonders großen Einfluss auf das Immunsystem und die Tumorgenese haben Östrogene und Testosteron. Bislang liegen nur wenig Daten zum Zusammenhang zwischen Sexualhormonen und der Entstehung von geschlechtsunabhängigen Tumoren vor. Es gibt jedoch Hinweise auf einen protektiven Einfluss der Östrogene hinsichtlich bestimmter Tumorerkrankungen – zumindest bis zu den Wechseljahren, die mit einem Absinken des Östrogenspiegels einhergehen. Erhöhte Testosteronwerte können hingegen das Zellwachstum anregen und werden bei Männern mit einem gesteigerten Risiko für maligne Melanome und Prostatakrebs in Verbindung gebracht. Bei Frauen sind sie mit der Entstehung von Mamma- und Endometriumkarzinomen assoziiert.
Teils in enormem Maße geschlechtsabhängig sind auch Pharmakokinetik und -dynamik. So hat z.B. der höhere Körperfettanteil von Frauen Konsequenzen für die Wirkstoffverteilung und den Wirkeintritt. Molekulare Unterschiede auf genetischer Ebene beeinflussen die Verstoffwechslung von Medikamenten. Das Enzym Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4) zeigt z.B. bei Frauen eine erhöhte Aktivität, das MDR1-Gen hingegen eine höhere Expression bei Männern.
Männer setzen manche Medikamente schneller um
Die Männer eliminieren somit das häufig eingesetzte Zytostatikum 5-Fluoruracil (5-FU) schneller, wodurch Nebenwirkungen möglicherweise reduziert werden. Entsprechend müssen Frauen unter einem 5-FU-haltigen Regime häufiger mit Neutropenie, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö rechnen. Auch Rituximab, Paclitaxel und Bevacizumab werden von Männern schneller verstoffwechselt.
Eklatante Differenzen bei Ösophaguskarzinomen
Besonders deutlich werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den gastrointestinalen Tumoren. Die höchsten altersadjustierten Inzidenzratenverhältnisse (IRR) zwischen Mann und Frau fanden sich für Adenokarzinome des Ösophagus (IRR 12,19) und Kardiakarzinome (IRR 4,93). Bei Tumoren des Gastrointestinaltrakts etwa des Magens und Pankreas oder in Leber, Kolon und Rektum lässt sich eine derart hohe IRR beobachten. Sie hat einen glockenförmigen Verlauf und folgt weltweit demselben Muster.
Weitere Unterschiede offenbart ein Blick auf einzelne Tumorentitäten. Männer sind z.B. häufiger von der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) betroffen. Einer Metaanalyse zufolge schlagen rituximabbasierte Therapien jedoch eher bei Frauen gut an.
Auch bei Lymphomen sind die Karten ungleich verteilt
Für drei Kombinationen (Fludarabin, Cyclophosphamid plus Rituximab; Bendamustin plus Rituximab; Chlorambucil plus Rituximab) wiesen sie ein verbessertes progressionsfreies Überleben auf, bei Letzterem auch ein längeres Gesamtüberleben. Ähnlich sind die Beobachtungen beim diffus großzelligen B-Zell-Lymphom. Als ein Grund für die schlechtere Prognose der Männer gilt deren schnellere Clearance, damit einhergehend die geringere Serumkonzentration und kürzere Expositionszeit von Rituximab. In einer aktuellen Kohortenstudie erwies sich das männliche Geschlecht bei nahezu allen Lymphomsubtypen als unabhängiger negativ prognostischer Faktor: Das Verhältnis der Inzidenzraten (IRR) zwischen Mann und Frau lag zwischen 1,15 für follikuläre Lymphome und 5,95 für die Haarzellleukämie. Zudem fand sich beim Mann für 13 der 16 Subtypen eine Übersterblichkeit.
Frauen mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) sind offenbar prognostisch im Vorteil: Sie wiesen in einer prospektiven Studie nicht nur für alle Stadien ein signifikant besseres Fünf-Jahres-Überleben auf, sondern waren zum Zeitpunkt der Diagnose jünger und in früheren Stadien als die Männer. Außerdem erreichten sie durch eine neoadjuvante Chemotherapie häufiger eine partielle oder komplette Remission. Während sie zudem mehr von den EGFR-Inhibitoren Gefitinib, Erlotinib oder Afatinib profitierten, waren Behandlungen mit einem Anti-PD1-Antikörper (z.B. Pembrolizumab, Nivolumab) bei den Männern effektiver.
Vor diesem Hintergrund plädieren die Autoren dafür, das Geschlecht als biologische Variable künftig sowohl im klinischen Alltag als auch in klinischen Studien zu berücksichtigen. Die Therapie von onkologischen Erkrankungen ließe sich so in Zukunft deutlich optimieren.
Quelle: Lehnen N, Hallek M. Inn Med (Heidelb) 2023; 64: 717-726; DOI: 10.1007/s00108-023-01551-9
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