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Augen schützen nicht vergessen!
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Die idiopathische Fazialisparese (Bell’s palsy) ist die häufigste Hirnnervenläsion. Der Anteil idiopathischer Fazialislähmungen an den erworbenen peripheren Fazialisparesen wird auf etwa 60–75 % geschätzt. Den übrigen Fällen liegen spezifische Ursachen wie Infektionen (v.a. Borrelien oder reaktivierte HSV Typ 1), Verletzungen (z.B. Felsenbeinfrakturen) oder Malignome zugrunde. Die Symptomatik kann sehr unterschiedlich sein. Zusätzlich zu der halbseitigen Gesichtslähmung klagen manche Patienten über Schmerzen hinter dem Ohr oder über Missempfindungen in der Wange. Weitere Symptome können Schmeckstörungen, Mundtrockenheit oder Hyperakusis sein.
Isolierte Lähmung bei Kindern kann Neuroborreliose sein
Grundlage der Diagnostik ist die klinische Untersuchung, schreiben die Leitlinienautoren unter Federführung von Prof. Dr. Josef Heckmann von der Neurologischen Klinik des Klinikums Landshut. Wichtige Kriterien sind der Lidschluss, die Tränen- und Speichelsekretion, die Mitbeteiligung des M. stapedius (Hyperakusis) und das Schmecken. Zur Untersuchung gehört auch eine Otoskopie, da Herpesbläschen manchmal nur im Gehörgang auftreten.
Die Experten empfehlen eine Borrelienserologie – vor allem bei Kindern mit isolierter Fazialisparese, da sich bei ihnen häufig eine Neuroborreliose findet. Je nach klinischer Situation kann auch eine Varizella-Zoster-Serologie oder eine elektrophysiologische Diagnostik sinnvoll sein. Eine Lumbalpunktion empfehlen die Autoren auf jeden Fall bei Kindern (da sie in vielen Fällen an nicht idiopathischen Fazialisparesen leiden) sowie bei Erwachsenen, wenn klinisch der Verdacht auf eine nicht idiopathische Gesichtsnervenlähmung besteht. Eine MRT ist bei atypischen Verläufen angezeigt, eine CCT vor Lumbalpunktionen. Bei nicht traumatischer Fazialisparese mit akutem Beginn und Rückentwicklung innerhalb von sechs Wochen ist keine Bildgebung erforderlich.
Die idiopathische Fazialisparese wird mit oralen Glukortikoiden behandelt, weil sich dann die Fazialisfunktion deutlich besser erholt. Die Experten empfehlen folgende Therapieschemata:
- zweimal 25 mg Prednisolon über zehn Tage oder
- 60 mg Prednisolon über fünf Tage, dann tägliche Reduktion um 10 mg
Physiologisch günstiger ist die morgendliche Einmalgabe von Glukokortikoiden, da sie die adrenale Achse nicht so stark belastet.
Zentral oder peripher?
Eine Fazialisparese kann durch eine zentrale oder periphere Schädigung bedingt sein. Die Unterscheidung dieser beiden Formen erfolgt klinisch durch die Beurteilung der Stirnfunktion (Stirnrunzeln möglich?). Die Stirnmuskulatur wird über Nervenfasern aus beiden Hemisphären versorgt. Kann der Patient die Stirn runzeln und sind die mittleren und unteren Gesichtsbereiche von der Lähmung betroffen, spricht das für eine zentrale Läsion.
Die Hypothese, die idiopathische Fazialisparese sei auf eine Entzündung mit Reaktivierung von Herpes-simplex-Virus Typ 1 zurückzuführen, legt die Kombination der Glukokortikoidtherapie mit Virustatika nahe. Die Datenlage hierzu ist aber dünn. Daher wird eine generelle antivirale Therapie bei idiopathischer Fazialisparese derzeit nicht empfohlen. Die Leitlinienautoren räumen jedoch ein, dass eine ergänzende virustatische Therapie bei initial schwerer betroffenen Patienten einen zusätzlichen Nutzen haben kann.
Die Entscheidung sollte im Einzelfall mit dem Patienten nach entsprechender Aufklärung erfolgen. Ist die Fazialisparese allerdings durch das Varicella-Zoster-Virus bedingt (Zoster oticus) sollte unbedingt rasch virustatisch behandelt werden. Die Experten empfehlen in diesem Fall Aciclovir i.v. oder oral bzw. Valaciclovir, Brivudin oder Famciclovir (jeweils oral).
Bell’s palsy durch COVID-19?
Die COVID-19-Erkrankung und die Impfung mit dem COVID-19-mRNA-Impfstoff BNT162b2 könnten möglicherweise mit einem gering erhöhten Risiko für Fazialisparesen verbunden sein, heißt es in der überarbeiteten S2k-Leitlinie.
Neben der medikamentösen Behandlung können symptomatische Maßnahmen hilfreich sein:
- Bei unvollständigem Lidschluss: Auge mit künstlichen Tränen feucht halten und nachts die Hornhaut mit Dexpanthenol-Augensalbe und einem Uhrglasverband schützen.
- Eine physiotherapeutische Behandlung ist aus psychologischen Gründen sinnvoll (Anleitung zu Übungen vor dem Spiegel).
- Bessert sich der Lidschluss nicht ausreichend, kann das Oberlid zunächst mit äußerlich aufgebrachten Bleiplättchen beschwert werden – später bei Bedarf auch permanent mit implantierten Gold- oder Platingewichten.
- Injektionen mit Botulinumtoxin können den Patienten helfen, bei denen störende Synkinesien (wie unwillkürlicher Lidschluss beim Sprechen) vorliegen.
- Bleibt eine schwerwiegende Lähmung bestehen, stehen mikrochirurgische Techniken zur Verfügung (z.B. Rekonstruktion des betroffenen N. facialis mit dem intakten Nerv der Gegenseite).
Insgesamt hat die Erkrankung aber eine gute Prognose. Das zeigt sich an den Daten der beiden größten rezenten Therapiestudien. In der Ersten kam es bei 85 % der Placebogruppe nach neun Monaten zu einer kompletten Rückbildung, in der Zweiten nach zwölf Monaten in 65 % der Fälle. Nach Zosterinfektionen münden Fazialisparesen häufiger in eine Defektheilung, d.h., es bleiben Synkinesien oder Krokodilstränen zurück. Borrelien-induzierte Paresen haben fast immer eine gute Prognose.
Quelle: S2k-Leitlinie „Therapie der idiopathischen Fazialisparese“, AWMF-Register-Nr. 030-013
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