Bei peripherer Fazialisparese zählen rasche Therapie und mimische Übungen

Ulrike Koock

Glatte Stirn, hängender Mundwinkel und inkompletter Lidschluss – das sind die klassischen Symptome einer peripheren Fazialisparese. Im Fall einer zentralen Lähmung wäre die Stirn nicht betroffen. Glatte Stirn, hängender Mundwinkel und inkompletter Lidschluss – das sind die klassischen Symptome einer peripheren Fazialisparese. Im Fall einer zentralen Lähmung wäre die Stirn nicht betroffen. © wikimedia/James Heilman, MD (CC BY-SA 3.0)

Fazialisparese ist nicht gleich Fazialisparese. Um der Lähmung auf den Grund zu gehen, sollte man auf klinische Charakteristika achten und die Indikation zur Lumbalpunktion großzügig stellen. Immerhin: Die häufigste Form der Störung hinterlässt in der Regel keine Langzeitfolgen.

Schwangere, Diabetes- und Hypertoniepatienten sind besonders anfällig für eine periphere Fazialisparese. Insgesamt trifft die Erkrankung beide Geschlechter gleich häufig, mit einem Inzidenzgipfel im mittleren Alter. Diese einseitige Gesichtslähmung von der zentralen Form als Zeichen für einen Prozess im Hirnstamm abzugrenzen, fällt leicht: Eine zentrale Parese lässt die Stirnregion aus. Was aber kann hinter einer glatten Stirn, hängendem Mundwinkel und inkomplettem Lidschluss samt Bell-Phänomen stecken?

Beidseitige Parese und Rezidiv deuten auf Neuroborreliose

Zunächst gilt es, zwischen der idiopathischen und der sogenannten symptomatischen Form mit spezifischer Ursache zu unterscheiden. Dabei helfen klinische Auffälligkeiten (s. Tabelle). Meist entwickelt sich die mimische Schwäche nachts binnen mehrerer Stunden, schreiben Privatdozent Dr. Oliver Kastrup und Dr. Jana Becker­ von der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie, Philippusstift Essen

Klinische Hinweise auf wichtige Fazialisparesen
idiopathisch
  • Geschmacksstörung
  • Hyperakusis
  • verminderte Tränensekretion
  • pathologische motorisch evozierte Potentiale
bei Zoster oticus
  • Bläschen im Gehörgang
  • Ohrenschmerzen
  • pathologische motorisch evozierte Potentiale
  • positive VZV-Serologie
als Radikulopathie
  • bilaterale Fazialisparese oder auf der der Gegenseite subklinische motorisch evozierte Potentiale
  • weitere Hirnnervenausfälle
  • keine Geschmacksstörung
bei Tumorerkrankung
  • langsame Progredienz
  • Schmerzen
  • Hypakusis
zentral
  • weitere fokale neurologische Defizite
  • vaskuläres Risikoprofil

Unter den peripheren Fazialisparesen trifft man am häufigsten auf die idiopathische Lähmung. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um eine Reaktivierung einer in der Kindheit durchgemachten Herpes-simplex-Typ-1-Infektion. Das Virus bleibt im Ganglion geniculi i.d.R. lebenslang latent, so die Autoren. Zu den spezifischen Auslösern zählen:
  • traumatische Läsion (bei Felsenbeinfraktur)
  • Tumoren: Akustikusneurinom, Felsenbeinmeningeom, maligne Karzinominfiltration etc.
  • entzündliche Läsion, z.B. Multiple Sklerose, Granulominfiltration bei Sarkoidose
  • Infektion: Borreliose, Syphilis, Tuberkulose, HIV, Varizella-Zos­ter-Virus(VZV)-Reaktivierung
Eine beidseitige Parese bzw. ein ipsi- oder kontralaterales Rezidiv sollte den Verdacht auf eine Neuroborreliose wecken. Als obligat im Rahmen der klinisch-neurologischen Untersuchung bezeichnen die Kollegen die Otoskopie. Bläschen im äußeren Gehörgang und Ohrschmerzen entlarven den Zoster oticus als Übeltäter (Ramsay-Hunt-Syndrom).

Steroidgabe sofort starten und zehn Tage fortführen

Der Schweregrad der Lähmung lässt sich mit der House-Brackmann-Skala quantifizieren. Besonders relevant ist die wiederholte Fazialisneurographie, um distale motorische Latenz und Amplitude zu bestimmen. Dabei empfiehlt sich eine standardisierte Testung an den Tagen 1, 5 und 14. Die Elektromyographie sagt etwas über den axonalen Schaden aus. Kernspin und CT dienen eher der Ausschlussdiagnostik. Deutsche wie internationale Leitlinien halten die Lumbalpunktion nicht für zwingend erforderlich. Die Indikation sollte man jedoch großzügig stellen – vor allem, um VZV-Reaktivierung und Neuroborreliose zu erkennen, fordern die Essener Experten. Ohne eine Liquoruntersuchung würden ca. 10 % der peripheren Fazialisparesen zu Unrecht als idiopathisch eingestuft. Therapeutisch zählt der rasche Start der Steroidgabe, am besten unmittelbar nach der Diagnose und während der ersten 72 Stunden. Infrage kommen Prednisolon (2 x 25 mg/d) über zehn Tage oder Methylprednisolon (1 mg/kgKG) über fünf Tage mit anschließendem Ausschleichen über fünf Tage. Neben dem antiinflammatorischen Effekt verhindert die Behandlung womöglich auch Spätkomplikationen.

Tränenersatz und Verband bei unvollständigem Lidschluss

Obwohl der idiopathischen Form am ehesten eine Herpes-simplex-Reaktivierung zugrunde liegt, spielen Virustatika erst in der Therapie spezifischer Ursachen eine Rolle. Beim Ramsay-Hunt-Syndrom eignet sich z.B. Aciclovir (3 x täglich 10 mg/kgKG i.v. oder 5 x täglich 800 mg oral) über sieben Tage plus (Methyl-)Prednisolon. Der Verdacht auf eine Neuroborreliose sollte eine empirische Behandlung mit Ceftriaxon 2 g/d i.v. nach sich ziehen, bis zur endgültigen Diagnose in Kombination mit Steroiden. Wichtig für das funktionelle Outcome sind mimische Bewegungs­übungen. Das Training beschleunigt zudem die Regeneration. Bei inkomplettem Lidschluss empfehlen die Autoren neben augenärztlichen Kontrollen tagsüber Tränenersatzflüssigkeit und nachts einen Uhrglas­verband und Dexpanthenol. Idiopathische Lähmungen verschwinden in 80 % der Fälle komplett. Bis zur Rückbildungen vergeht mitunter ein Jahr. Hinweise auf die Erholungschanchen liefert die Fazialisneurographie. Darüber hinaus gehen initial inkomplette Paresen und solche, die sich innerhalb der ersten drei Wochen bessern, mit einer guten Prognose einher. Faktoren wie Diabetes und verminderter Speichelfluss hingegen deuten eine schlechtere Genesung an. Defizite, die länger als ein Jahr persistieren, werden wohl weiterhin bestehen. In diesen Fällen können plastische-chirurgische Rekonstruktionen Abhilfe schaffen.

Quelle: Kastrup O, Becker J. InFo Neurologie & Psychiatrie 2019; 21: 26-30

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Glatte Stirn, hängender Mundwinkel und inkompletter Lidschluss – das sind die klassischen Symptome einer peripheren Fazialisparese. Im Fall einer zentralen Lähmung wäre die Stirn nicht betroffen. Glatte Stirn, hängender Mundwinkel und inkompletter Lidschluss – das sind die klassischen Symptome einer peripheren Fazialisparese. Im Fall einer zentralen Lähmung wäre die Stirn nicht betroffen. © wikimedia/James Heilman, MD (CC BY-SA 3.0)