Bandscheibenvorfall: Diagnostik und Therapie bei radikulärer Symptomatik

Dr. Alexandra Bischoff

Erst wenn die Schmerzen und Beschwerden einfach nicht nachlassen wollen, sollte eine Operation in Betracht gezogen werden. Erst wenn die Schmerzen und Beschwerden einfach nicht nachlassen wollen, sollte eine Operation in Betracht gezogen werden. © iStock/metamorworks

Die hohe Zahl an Bandscheibenoperationen in Deutschland löst immer wieder Diskussionen aus. Doch wann ist ein Eingriff wirklich nötig? Und was tut man stattdessen oder bis dahin? Fragen, auf die eine aktuelle Leitlinie Antworten gibt.

Von akutem Hexenschuss bis hin zu chronisch rezidivierenden Schmerzen – die klinische Symptomatik bandscheibenbedingter Beschwerden ist ebenso vielfältig wie die Behandlungsmöglichkeiten. Eine Übersicht über das Management von Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik bietet die aktualisierte S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC).

Hinweise auf spezifische Ursachen für Kreuzschmerzen
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
  • länger anhaltende Kreuzschmerzen (> 12 Wochen) und Beginn vor dem 45. Lebensjahr
  • schleichender Beginn der Schmerzen
  • Morgensteifigkeit (≥ 30 Minuten)
  • Besserung durch Bewegung, nicht in Ruhe
  • schmerzbedingtes frühmorgendliches/ nächtliches Erwachen
  • alternierender Gesäßschmerz
  • zunehmende Wirbelsäulensteifheit
  • begleitende periphere Arthritis, Uveitis
  • bekannte chronisch-entzündliche Darmerkrankung oder Psoriasis
Fraktur/Osteoporose
  • schweres Trauma (z.B. Autounfall oder Sturz aus großer Höhe)
  • Bagatelltrauma (z. B. Husten, Niesen, schweres Heben) bei älteren Patienten oder möglicher Osteoporose
  • systemische Steroidtherapie
Infektion
  • Allgemeinsymptome (Fieber, Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit)
  • durchgemachte bakterielle Infektion
  • i.v. Drogen­abusus
Radikulopathien/Neuropathien
  • bei Jüngeren eher Bandscheibenvorfall, bei Älteren eher Spinalkanalstenose als Ursache der Wurzelkompression
  • im Dermatom in ein oder beide Beine ausstrahlende Schmerzen, ggf. verbunden mit Gefühlsstörungen wie Taubheit oder Kribbelparästhesien im Ausbreitungsgebiet der Schmerzen oder Schwächegefühl
  • Kaudasyndrom: plötzlich einsetzende Blasen-/ Mastdarmstörung
  • Gefühlsstörung perianal/perineal
  • schweres oder zunehmendes neurologisches Defizit (Lähmung, Sensibilitätsstörung) der unteren Extremität
Tumor/Metastasen
  • höheres Alter
  • Tumorleiden in der Anamnese
  • Allgemeinsymptome wie Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit
  • Schmerz, der in Rückenlage zunimmt
  • starker nächtlicher Schmerz

Bei anhaltenden Beschwerden psychosoziale Faktoren prüfen

Die Autoren unter Federführung von Professor Dr. Bernhard ­Greitemann, Reha-Klinikum Bad Rothenfelde, nennen zunächst folgende diagnostische Ziele:

  • die Ursache der Beschwerden ermitteln (Ausschluss pseudoradikuläres Syndrom)
  • erkennen, welche Nervenwurzel hauptsächlich beteiligt ist
  • schwerwiegende Erkrankungen ausschließen („red flags“, siehe Kasten)

Um die Diagnose zu sichern, eignen sich im Rahmen der klinischen Untersuchung spezifische Tests wie der Nervendehnschmerztest, die Untersuchung der Muskelkraft an entsprechenden Kennmuskeln sowie die Prüfung der Muskelreflexe. Bei bestimmten Indikationen kann zudem der Einsatz bildgebender Verfahren sinnvoll sein (siehe Tabelle). Dauern die Schmerzen länger als vier bis sechs Wochen, sollte man auch psychosoziale Risikofaktoren ermitteln. Therapeutisch gibt es eine Reihe von Optionen.

Indikationen für den Einsatz bildgebender Verfahren

  • besonders starke Schmerzen
  • therapieresistente Beschwerden (unkomplizierte Rückenschmerzen nach 4 Wochen, radikuläre Schmerzen nach 2 Wochen)
  • schwere neurologische Störungen
  • Warnhinweis auf entzündlich-malignen Prozess oder Traumata
  • V.a. segmentale Instabilitäten
  • V.a. rheumatologische Grunderkrankung

Medikamentöse Schmerztherapie

Die medikamentöse Behandlung radikulärer Beschwerden ist rein symptomatisch und dient der Unterstützung nicht-medikamentöser Verfahren oder zur postoperativen Behandlung. Sie wird mittlerweile nicht mehr streng aufbauend nach einem Stufenschema gesteigert. Je nach individueller Situation kann auch primär ein stärker wirksames Präparat gegeben werden. Folgende Analgetika kommen infrage:
  • traditionelle NSAR (niedrig dosiert für kurze Zeit)
  • Cox-2-Hemmer (off label, keine Zulassung für Rückenschmerzen)
  • Metamizol (falls andere An­algetika kontraindiziert oder unwirksam sind)
  • Paracetamol (aufgrund geringer Wirksamkeit und hepatotoxischer Nebenwirkung zunehmend weniger empfohlen)
  • schwach wirksame Opioide (therapieresistente Akutschmer­zen: maximal 2–3 Wochen, chronische Schmerzen: bis zu 6 Wochen)
Ko-Analgetika wie Amitriptylin, Pregabalin oder Gabapentin können bei bestimmten Schmerztypen (nozizeptiv-neuropathisch, auch „mixed pain“ genannt) eingesetzt werden, Muskelrelaxanzien bei Verspannungen.

Nicht-medikamentöse Therapie

In der akuten Phase können neben der Gesundheitsbildung Bewegungs/Physiotherapie und einige physikalische Maßnahmen wie Thermo- oder Hydrotherapie bedenkenlos angewendet werden. Für andere Verfahren geben die Experten dezidierte Empfehlungen:
  • Akupunktur: in subakuter Phase, bei chronifizierungsgefährdeten Patienten in Kombination mit Bewegungstherapie
  • Progressive Muskelrelaxation: in subakuter Phase
  • Kognitive Verhaltenstherapie: in subakuter Phase, bei chronifizierungsgefährdeten Patienten und postoperativ bei Vorliegen psychosozialer Risikofaktoren
  • Manuelle Therapie: nicht bei radikulärer Symptomatik mit neurologischen Ausfällen oder postoperativ
  • Elektotherapie/Ultraschall/Massage/Ergotherapie: in subakuter Phase, bei chronifizierungsgefährdeten Patienten, postoperativ

Interventionelle Therapie

Die lokale Injektion schmerzstillender und entzündungshemmender Mittel ermöglicht eine gezielte Therapie ohne systemische (Neben-)Wirkungen. Je nach Intention (diagnostisch/therapeutisch) erhält der Patient eine Single-Shot Applikation entweder mit Lokal­anästhetika oder Kortikosteroiden oder beiden zusammen. Ziel der interventionellen­ Therapie ist es, die Erregbarkeit herabzusetzen und die Reizschwelle der sensiblen Nervenfasern heraufzusetzen. Die Behandlung kann ggf. wiederholt werden.

Indikation zur OP

Die OP-Indikation hängt von verschiedenen Faktoren wie Zeit, Schmerz und neurologischen Ausfällen ab. Bei Fehlen funktionell bedeutsamer motorischer Defizite sollte aufgrund der hohen spontanen Besserungstendenz der Symptomatik in etwa 80–90 % der Fälle zunächst mit einer konservativen Therapie begonnen werden. Falls die Beschwerden innerhalb von 6–12 Wochen nicht nachlassen oder sich verschlechtern, kann man eine Operation erwägen – bei starken Schmerzen auf Wunsch des Patienten auch früher.

Quelle: S2k-Leitlinie zur konservativen, operativen und rehabilitativen Versorgung bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik, AWMF-Register-Nr. 033-048, www.awmf.org

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Erst wenn die Schmerzen und Beschwerden einfach nicht nachlassen wollen, sollte eine Operation in Betracht gezogen werden. Erst wenn die Schmerzen und Beschwerden einfach nicht nachlassen wollen, sollte eine Operation in Betracht gezogen werden. © iStock/metamorworks