Bei der medikamentösen Behandlung der Harninkontinenz ist einiges zu berücksichtigen

Dr. Dorothea Ranft

Da gerade Männer eine Blasenschwäche häufig verschweigen, sollte man sie gezielt darauf ansprechen. Da gerade Männer eine Blasenschwäche häufig verschweigen, sollte man sie gezielt darauf ansprechen. © lijphoto - stock.adobe.com

Sehr belastend, aber schamhaft verschwiegen: Die Harninkontinenz vergällt vielen Patienten das Leben. Aber es gibt Abhilfe. Mit Medikamenten und Botox lässt sich bei vielen Hochbetagten die Blase zur Räson bringen.

Drei Formen des unfreiwilligen Harnverlusts können medikamentös behandelt werden: die hyperaktive Blase (OAB*) mit Anticholinergika, Mirabegron und Botulinumtoxin, die leichte bis mittelschwere Belastungsinkontinenz der Frau mit Duloxetin und die chronische Harnretention mit Parasympathomimetika wie Bethanechol.

Bei der OAB senken Anticholinergika den maximalen Druck des Detrusors und steigern die funktionelle Blasenkapazität. Dadurch bessert sich die Drangsymptomatik, die Miktionsintervalle werden verlängert und die Inkontinenzepisoden verringert. Allerdings wird die zweifellos vorhandene Wirksamkeit mit zahlreichen unerwünschten Effekten erkauft, die in der Geriatrie besonders ins Gewicht fallen. Das Spektrum reicht von Mundtrockenheit, Obstipation, Restharnbildung, erhöhtem Sturzrisiko und kognitiver Einschränkung bis zum Delir. Umso wichtiger ist eine sorgfältige Indikationsstellung und Therapiekontrolle, insbesondere des Resturins, schreiben die Leitlinienautoren um Prof. Dr. Andreas Wiedemann von der Urologischen Klinik am Evangelischen Krankenhaus Witten.

Bestnoten für Fesoterodin und Trospiumchlorid

Unretardiertes Oxybutynin birgt das höchste Risiko für mentale Einschränkungen und sollte deshalb im Gegensatz zur Pflastervariante möglichst nicht verordnet werden. Die beste Bewertung im Hinblick auf die Verwendung älterer Patienten erhielten in einem Review von Geriatern, Urologen und Pharmakologen die Substanzen Fesoterodin und Trospiumchlorid.

Eine nicht-anticholinerge Therapieoption bietet der Beta-3-Rezeptor-Agonist Mirabegron. Er stimuliert die Relaxation des Detrusors in der vesikalen Speicherphase und eignet sich besonders für Senioren, die auf Antimuskarinika unzureichend ansprechen oder störende bzw. potenziell gefährliche Nebenwirkungen erleiden. Kontraindiziert ist die Substanz bei systolischen RR-Werten ≥ 180 mmHg und diastolischen ≥ 110 mmHg. Sicherheitshalber muss der Blutdruck vor Therapiebeginn gemessen und danach regelmäßig kontrolliert werden, insbesondere bei Hypertonikern.

Die Entscheidung, ob ein OAB-Patient primär mit einem Anticholinergikum oder Mirabegron behandelt wird, sollte von seinem Risikoprofil und der Neigung zu unerwünschten Begleiteffekten abhängig gemacht werden. Im Fall eines unzureichenden Ansprechens auf Anticholinergika sorgt eventuell eine Kombination beider Wirkmechanismen für Abhilfe.

Bei Männern mit Symptomen des unteren Harntrakts (lower urinary tract symptoms, LUTS) und OAB kann statt eines Anticholinergikums Mirabegron zusätzlich zu Tamsulosin eingesetzt werden. Der zweifache Ansatz bessert Miktionsvolumen, OAB-Score und Lebensqualität. Das Risiko für einen Harnverhalt ist im Vergleich zur Monotherapie mit dem Alphablocker nur marginal höher. Einen besonderen Nutzen haben Männer mit bereits vorhandener Restharnbildung ohne Hypertonie oder mit gut eingestelltem Blutdruck.

Geriatrische Patienten mit therapieresistenter überaktiver Blase können im Einzelfall auch von Botulinumtoxin-Injektionen in den Detrusor profitieren. Als Nebenwirkung kann es jedoch zu einer Harnretention kommen. Sie kann –wie die beabsichtigte therapeutische Wirkung – etwa drei bis sechs Monate anhalten, was für Hochbetagte wegen der notwendigen Urinableitung eventuell problematisch ist.

Bei Frauen mit mittelschwerer Belastungsinkontinenz reduziert das ursprünglich als Antidepressivum entwickelte Duloxetin die Zahl der Inkontinenzepisoden um 50 %. Es eignet sich für funktionell nicht eingeschränkte, ansonsten gesunde Patientinnen, speziell zu hochbetagten Multimorbiden fehlen noch Daten. Auch Patientinnen, die nicht operiert werden können oder möchten, profitieren evtl. von dem SSNRI*. Wenn möglich, sollte zusätzlich ein Beckenbodentraining erfolgen, das auch bei leichter kognitiver Störung noch durchführbar ist.

Fragebogen und digitale Tools helfen

Das wichtigste diagnostische Instrument ist die gezielte Anamnese (ggf. mit Miktionsprotokoll). Ältere Menschen sprechen von selbst oft nicht über Symptome des unteren Harntrakts, diese sollten deshalb gezielt erfragt werden. Von besonderer Bedeutung sind die Umstände, unter denen der Urinverlust eintritt. Einen hohen Stellenwert hat die aktuelle Medikation, digitale Tools wie die PRISCUS-Liste erleichtern die Einschätzung des Risikos.

Die obstruktive Überlaufinkontinenz wird bei älteren Männern meistens durch eine vergrößerte Prostata ausgelöst. Die Behandlung erfolgt überwiegend chirurgisch. Eine medikamentöse Reduktion des Blasenauslasswiderstands kommt in Betracht, wenn die Beschwerden durch Begleitfaktoren wie Medikamente, postoperative Veränderungen oder einen floriden Infekt mitverursacht werden.

Nach einem Harnverhalt sollte beim Mann eine Behandlung mit Alphablockern begonnen werden, denn das erhöht die Chance für eine Wiederherstellung der Spontanmiktion. Die Wirkung der prostataspezifischen Alpha-1-Rezeptor-Blocker tritt im Gegensatz zu den 5-alpha-Reduktasehemmern innerhalb weniger Tage ein. Inzwischen gibt es Hinweise, dass Alpha-Sympatholytika auch bei Frauen mit Auslassobstruktion den Blasenhals relaxieren, sie können aber nur off label eingesetzt werden.
Die Überlaufinkontinenz mit Detrusoratonie bzw. -hypotonie kann verschiedene Ursachen haben: altersbedingte Blasenveränderungen, neurogene Schäden und Nebenwirkungen von Medikamenten. Die beteiligten Wirkstoffe sollten abgesetzt oder zumindest dosisreduziert werden.

Interventionelle Optionen

Die Indikation für eine desobstruierende Prostataoperation sollte bei geriatrischen Patienten von Leidensdruck, Allgemeinzustand und Begleiterkrankungen sowie symptomatischen Infekten und refluxbedingter Nierenstauung abhängig gemacht werden. Die Laserablation kommt in Betracht, wenn die konservative BPH-Therapie fehlschlägt und Bedenken hinsichtlich der Operabilität für eine klassische TUR-P bestehen. Die 180-Watt-LTB-Greenlight-Laserung eignet sich vor allem für Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko oder unter gerinnungshemmender Therapie. Die Vorteile alternativer Verfahren hinsichtlich Sexualfunktion, antegrader Ejakulation und ambulanter Anwendung haben im hohen Alter nur eine geringe Bedeutung. Geriatrische Patienten sollten mit einem Verfahren behandelt werden, das bezüglich Blutungskomplikationen besonders sicher ist, nach der Behandlung Katheterfreiheit ermöglicht und keiner häufigen Kontrollvisiten bedarf.

Bei primär detrusorbedingter Akontraktilität, inkompletter peripherer Denervierung der Harnblase oder wenn das auslösende Medikament unverzichtbar ist, kann man versuchen, die Restaktivität des „Blasenaustreibers“ zu stimulieren. Die hierfür eingesetzten Parasympathomimetika (z.B. Bethanechol) sind aufgrund diverser potenzieller Kontraindikationen im Senium aber nur beschränkt anwendbar. Außerdem ist eine Differenzierung zwischen Detrusorhypotonie und Blasenauslassobstruktion oft nicht möglich oder es liegt ein Mischbild vor. Deshalb kann eine Kombinationstherapie mit einem Alpha-1-Rezeptor-Blocker Vorteile bieten. Sie eignet sich auch für Frauen mit behindertem Urinfluss aus der Blase (off label).

Desmopressindosis dem Geschlecht anpassen

Die aus der Pädiatrie bekannte Therapie mit Desmopressin (1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopression, DDAVP) reduziert vermutlich auch bei betagten Erwachsenen die nächtliche Diurese und somit die Nykturie. Allerdings ist die DDAVP-bedingte Hyponatriämie ein mitauslösender Faktor für Delirien und Stürze. Diese Wirkung muss gegen die vermehrte Fallneigung durch die Nykturie abgewogen werden. Wenn man sich für DDAVP entscheidet, richtet sich die Dosis nach dem Geschlecht (Frauen 25 pcm, Männer 50 pcm). Bei geriatrischen Patienten ist die Überwachung des Natriumspiegels von besonderer Bedeutung.

* overactive bladder
S2k-Leitlinie „Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten – Diagnostik und Therapie“, AWMF-Register-Nr. 084/001; www.awmf.org 

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Da gerade Männer eine Blasenschwäche häufig verschweigen, sollte man sie gezielt darauf ansprechen. Da gerade Männer eine Blasenschwäche häufig verschweigen, sollte man sie gezielt darauf ansprechen. © lijphoto - stock.adobe.com