„Es war noch nie gut, etwas nur schwarz oder weiß zu sehen“

ASCO 2022 Mascha Pömmerl

Dieses Mal fand die Jahrestagung der ASCO wieder live in Chicago statt. Dieses Mal fand die Jahrestagung der ASCO wieder live in Chicago statt. © iStock/JaySi

Welcome back to Chicago, hieß es zur Jahrestagung der ASCO. Endlich wieder vor Ort – aber auch online – wurde präsentiert, was sich bei den therapeutischen Möglichkeiten in der Onkologie getan hat. Welche Neuigkeiten zum Thema Brustkrebs herausstechen, haben wir Prof. Dr. Sibylle Loibl, Onkologie Bethanien, Frankfurt, gefragt.

Frau Prof. Loibl, welche Daten haben Sie auf der Jahrestagung der ASCO besonders begeistert?

Prof. Dr. Sibylle Loibl: Mein ganz persönliches ASCO-Highlight waren sicherlich die Ergebnisse aus ­DESTINY-Breast04, die bereits zu diesem frühen Auswertungszeitpunkt demonstriert haben, dass durch Tras­tuzumab-Deruxtecan bei intensiv vorbehandelten Patient:innen mit metastasiertem Mammakarzinom, deren Tumoren niedrige Level an HER2 exprimieren, nicht nur eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens, sondern auch des Gesamtüberlebens erreicht werden kann. Das war vielleicht schon ein bisschen erhofft worden, nachdem man die DESTINY-­Breast-03-Daten gesehen hatte, aber so überzeugende Daten hätte man, glaube ich, erst mal nicht erwartet.

Wie waren HER2low Tumoren in DESTINY-­Breast04 definiert?

Prof. Loibl: In der Studie waren Patient:innen eingeschlossen worden, deren HER2-Expression mit IHC1+, IHC2+ und ISH- angegeben wurde.

Das sind also Tumoren, die mit den derzeitigen Untersuchungsmethoden als HER2- klassifiziert würden?

Prof. Loibl: Ja, solche Tumoren werden – bei einer alleinigen binären Einteilung in positiv und negativ – als HER2- kategorisiert und im Sinne der klassischen Anti-HER2-Therapie als solche behandelt. Es war allerdings noch nie gut, etwas nur schwarz oder weiß zu sehen. Wir wissen bei Ki-67, dass es ein kontinuierlicher Marker ist. Wir wissen eigentlich auch bei den Hormonrezeptoren, dass die Einteilung in negativ und positiv nicht aus­reicht, um den Tumor zu charakterisieren, sondern dass man auch die Stärke der Hormonrezeptor­expression betrachten muss. Und dieses Prinzip hat sich nun für HER2 ein weiteres Mal bestätigt. 

Bei der HER2-Testung mittels Immunhistochemie (IHC) durch die Pathologin bzw. den Pathologen wurde schon immer angegeben, ob ein IHC-Score von 0, 1+, 2+ oder 3+ vorliegt. Diese Angaben waren bisher für den klinischen Alltag nicht relevant, außer dass bei einer HER2-Expression von 2+ eine In-situ-Hybridisierung (ISH) indiziert ist. Aber nun müssen wir eventuell noch stärker darauf achten, wie hoch die HER2-Expression ist, denn jetzt haben wir eine Therapiemöglichkeit. Bisher haben wir dagegen keine therapeutische Konsequenz aus einer niedrigen HER2-Expression abgeleitet, also dann, wenn der Tumor nicht als IHC3+ oder ISH-positiv klassifiziert wurde.

Wird es denn jetzt vielleicht sogar einen neuen Mammakarzinom-Subtyp geben?

Prof. Loibl: Nein, ein neuer Subtyp ist das eigentlich nicht, denn HER2 ist ja bekannt, wir haben eben nur nicht gesondert nach Fällen mit einer niedrigen Expression geschaut. Aber jetzt haben wir durch diese Therapie, die bei HER2low Tumoren eingesetzt wurde, beim metastasierten Mammakarzinom eine therapierelevante Patient:innengruppe.

­HER2low Brustkrebs kann HR+ oder HR- sein. In DESTINY-­Breast04 war die große Mehrheit der Patient:innen HR+ und HER2-, es waren nur 63 Personen mit triple-negativem Tumor eingeschlossen worden, wohl als proof of concept. Letztes Jahr im April gab es eine Publikation1 aus Daten der German Breast Group (GBG) zu den HER2low Mammakarzinomen. Auch in dieser gepoolten Analyse von vier neoadjuvanten Studien – GeparSepto, GeparOcto, GeparX und Gain-2 – wurde die Verteilung des HR-Status bei den HER2low Tumoren aufgeschlüsselt. Diese Arbeit kam zu dem Fazit, dass es sich bei den ­HER2low Tumoren um eine eigene Subgruppe handeln könnte.

Warum wirkt Trastuzumab-Deruxtecan im Unterschied zu bisherigen Anti-HER2-Therapien auch bei HER2low Tumoren so gut?

Prof. Loibl: Ich denke, das ist fast ausschließlich auf den sogenannten Bystander-Effekt der Substanz zurückzuführen. Es reichen eventuell schon wenige HER2-Moleküle, um die Substanz anzuziehen und zu binden. Den Rest besorgt der Bystander-Effekt. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus der hohen Affinität der Substanz und dem Bystander-Effekt. Die HER2-gerichtete Substanz ist Trastuzumab, aber Trastuzumab alleine wirkt bei den HER2low Tumoren ja nicht, das wissen wir aus der NSABP-B-47-Studie beim frühen Mammakarzinom.

Die NSABP-B-47-Studie

In der randomisierten Phase-3-Studie NSABP B-47 untersuchte man, ob die Ergänzung der adjuvanten Chemotherapie mit Trastuzumab über ein Jahr bei Patient:innen mit als HER2- klassifiziertem Mammakarzinom (IHC Score 1+ oder 2+ mit FISH < 2,0 oder HER2-Genkopienzahl < 4,0) und hohem Rezidivrisiko das Überleben ohne invasive Erkrankung verlängern könnte. Zusätzliches Trastuzumab verbesserte bei diesem Kollektiv weder IDFS noch die Überlebenszeit ohne Fernmetastasen noch das OS, sodass die Autor:innen folgerten, dass Trastuzumab nur bei IHC3+ wirkt.

Quelle: Fehrenbacher L et al. J Clin Oncol 2020; 38: 444-53; DOI: 10.1200/JCO.19.01455

Welche Studiendaten fanden Sie bei metastasiertem HR+/HER2- Brustkrebs aufschlussreich?

Prof. Loibl: Sicherlich sehr interessant war die TROPiCS-02-Studie. Hier haben wir – wie bei Trastuzumab-Deruxtecan – wieder ein Antikörper-Drug-Konjugat (ADC), aber in diesem Fall das gegen Trop2 gerichtete Sacituzumab-Govitecan. Wir kennen die Daten zu dem ADC aus der ASCENT-Studie zum vorbehandelten, metastasierten, triple-negativen Mammakarzinom, die ja auch eine Verbesserung des PFS und des OS gezeigt und zur Zulassung geführt haben.

In der TROPiCS-02 Studie waren für das metastasierte Stadium bereits sehr ausgedehnt vorbehandelte Patient:innen eingeschlossen worden. Sie hatten ein medianes Alter von 56 Jahren und im Median schon seit vier Jahren eine metastasierte Erkrankung. Das heißt, sie waren zum Zeitpunkt der ers­ten Metastasierung etwa 50 Jahre alt, was bedeutet, dass das bei der Primärerkrankung prämenopausale Patient:innen waren. Das ist ein sehr interessantes Kollektiv, finde ich. Und dann muss man noch die intensive Vorbehandlung mit mindestens zwei Chemotherapien im metastasierten Stadium bedenken. Das bedeutet also, die Betroffenen hatten alle schon drei bis vier Linien erhalten. Vor diesem Hintergrund muss man die Daten sehen. Wir haben einen signifikanten Vorteil von Sacituzumab-Govitecan gegenüber einer Therapie nach Wahl der Ärztin bzw. des Arztes gesehen und somit hat die Studie belegt, dass die Substanz bei diesen Patient:innen wirkt und dass das eine mögliche Option darstellen könnte.

Werden ADC in weiteren Situationen untersucht?

Prof. Loibl: In der SASCIA-Studie2 der German Breast Group schließen wir Patient:innen mit HR+ und HR-, HER2- Erkrankung ein. In dieser Phase-3-Studie untersuchen wir ebenfalls Sacituzumab-Govitecan, allerdings postneoadjuvant bei Patient:innen mit frühem, HER2- Mammakarzinom – also triple-negativen oder HR+ Tumoren – mit hohem Rückfallrisiko und vergleichen Sacituzumab-­Govitecan mit einer Standardtherapie nach Wahl der Ärztin bzw. des Arztes.

Außerdem gab es auf der ASCO-Jahrestagung Ergebnisse aus einer Phase-1/2-Studie3 mit Patritumab-Deruxtecan, einem gegen HER3 gerichteten ADC, bei Patient:innen mit metastasierten, HER3-exprimierenden Mammakarzinomen verschiedener Subtypen. Wir haben also noch einmal Deruxtecan, aber an einen anderen Antikörper gekoppelt. Die Patient:innen waren, wie bei einer solchen frühphasigen Studie üblich, sehr intensiv vorbehandelt und das ADC hat eine gute Wirksamkeit gezeigt. Man kann also zusammenfassen, dass die ADC weiter auf dem Vormarsch sind.

Gab es interessante neue Daten zur Supportivtherapie?

Prof. Loibl: Im weitesten Sinne kann man die Langzeitdaten der ABCSG-18-Studie4 als Daten zur Supportivtherapie sehen. Der primäre Endpunkt der Studie war die Reduktion der Frakturrate durch adjuvantes Denosumab. In der Studie hatten fast 3.500 postmenopausale Frauen mit frühem HR+ Mammakarzinom unter adjuvanter Therapie mit einem Aromatase-Inhibitor entweder zusätzlich Denosumab oder Placebo bekommen. Schon die erste Analyse hatte darauf hingewiesen, dass Denosumab die Frakturrate reduziert, und nun wurde auf der ASCO-Jahrestagung eine dritte Analyse vorgestellt. Es wurde deutlich, dass auch das krankheitsfreie und das Überleben ohne Knochenmetastasen sowie das Gesamtüberleben positiv beeinflusst werden. Kieferosteo­nekrosen traten nicht auf. Allerdings hatte Denosumab in der D-CARE-Studie5 weder das Überleben ohne Knochenmetastasen noch das DFS verbessert.

1. Denkert C et al. Lancet Oncol 2021; 22: 1151-61; DOI: 10.1016/S1470-2045(21)00548-9
2. EudraCT-No. 2019-004100-35
3. Krop IE et al. 2022 ASCO Annual Meeting; Abstract 1002
4. Gnant M et al. 2022 ASCO Annual Meeting; Abstract 507
5. Coleman R et al. Lancet Oncol 2020; 21: 60-72; DOI: 10.1016/S1470-2045(19)30687-4

Quelle: Interview

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