CRPS: Morbus Sudeck richtig anpacken

Dr. Dorothea Ranft

Das häufigste einem CRPS vorausgehende Trauma ist die distale Radiusfraktur. Das häufigste einem CRPS vorausgehende Trauma ist die distale Radiusfraktur. © iStock/Jurgute

Bis zu 5 % aller Patienten mit Extremitätenverletzungen entwickeln ein komplexes regionales Schmerzsyndrom. Die Prognose ist heute gar nicht mehr so ungünstig, allerdings müssen die Betroffenen Geduld aufbringen.

Definitionsgemäß entwickelt sich das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) nach einem Trauma im Bereich der distalen Extremitätenabschnitte. Die Symptome folgen nicht dem zuständigen Innervationsgebiet, die Schmerzen sind stärker, als der Heilungsverlauf erwarten lässt.

Als „red flag“ gilt z.B., wenn ein Patient eine Woche nach einer konservativ versorgten distalen Radiusfraktur noch eine Schmerzstärke von 5 oder mehr auf einer Skala von 0–10 angibt, heißt es in der neuen DGN*-Leitlinie unter Federführung von Professor Dr. Frank Birklein, Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Mainz. Außerdem typisch für das CRPS: Störungen von Sensorik, vegetativem Nervensystem und Gewebetrophik, die sich z.B. mit asymmetrischem Schwitzen, Ödemen und Veränderungen im Haar- und Nagelwachstum äußern.

Die CRPS-Diagnose sollte nach klinischen Kriterien gestellt werden (s. Tabelle) – unter Ausschluss „vortäuschender“ Erkrankungen von der Arthritis bis zur Plexusschädigung. Apparative Verfahren wie Knochenszintigraphie dienen der Bestätigung in Zweifelsfällen, eignen sich aber nicht zum Ausschluss der Erkrankung. Fast immer findet sich eine gesteigerte Druckschmerzhaftigkeit (Druckhyperalgesie) der Gelenke bzw. periartikulären Strukturen distal der Fraktur/Operationsstelle. Ihr Nachweis hilft, die klinische Diagnose zu sichern.

Klinische CRPS-Diagnose
Verdacht schöpfenVier Symptomkategorien
  • Schmerz und sichtbare Klinik in zeitlicher Nähe zu Extremitäten- Trauma
  • Symptome sind durch das Trauma nicht mehr erklärbar
  • Symptome betreffen distale Extremitäten-Abschnitte und reichen über den Ort des Traumas bzw. die Innervationsregion hinaus

1) Hyperalgesie, Hyperästhesie, Allodynie

2) Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe

3) asymmetrisches Schwitzen, Ödem

4) reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, Schwäche, Veränderungen von Haar- und Nagelwachstum

CRPS kann diagnostiziert werden, wenn folgende vier Punkte erfüllt sind:

1) anhaltender Schmerz

2) Anamnese: ≥ 1 Symptom aus 3 der 4 o.g. Kategorien

3) Untersuchung: ≥ 1 Symptom aus 2 der 4 o.g. Symptomkategorien

4) Ausschluss von Differenzialdiagnosen

Ein Jahr lang die Zähne zusammenbeißen

Außerdem empfiehlt die Leitlinie, alle Patienten auf eine posttraumatische Belastungsstörung und generelle Angstsymptome zu untersuchen. Letztere sprechen für einen negativen Therapieverlauf. Wichtig ist auch die Abgrenzung von Verletzungsfolgen, die nichts mit dem CRPS zu tun haben, was der Patient aber glaubt, z.B. die Einsteifung des Schultergelenks durch Nichtgebrauch des Armes. Grundsätzlich sieht die Prognose ohne komplizierende Faktoren nicht ungünstig aus. Das setzt aber eine frühe Diagnose – möglichst innerhalb von zwei bis drei Monaten nach Symptombeginn – und rechtzeitige Behandlung voraus. Allerdings müssen die Patienten in der Regel ein Jahr lang Schmerzen ertragen – vor allem unter Belastung. Als realistische Therapieziele nennt die Leitlinie, die Schmerzen zu kontrollieren und die Funktion weitgehend zurückzugewinnen. Oft bleibt aber eine Restsymptomatik oder eingeschränkte Belastbarkeit. Die Behandlung sollte immer eine Kombination aus nicht medikamentösen und medikamentösen Maßnahmen umfassen. Interventionelle Verfahren werden nur in Ausnahmefällen erforderlich. Als Basismaßnahmen stehen Physio- und Ergotherapie sowie die Pharmakotherapie chronischer Schmerzen an erster Stelle. Schon zu Beginn wirken vorsichtige Bewegungen hilfreich – wenn der Kranke mitmacht. Passive Maßnahmen gegen den Willen des Patienten können das Syndrom sogar verschlimmern.

Physiotherapie

  • Verfahren, die konkrete Ängste reduzieren, wirken besser als Standardphysiotherapie (graded exposure).
  • Die Spiegeltherapie zeigt bei akutem CRPS, besonders nach Schlaganfall, gute Erfolge.
  • Bei chronischem CRPS ist das Graded Motor Imagery, die Kombi aus Links-Rechts-Erkennen, Vorstellen von Bewegung und Spiegeltherapie, effektiv.
  • Nicht mehr empfohlen wird die Pain Exposure Physical Therapy (PEPT), sie verbessert die Funktion, nicht aber den Schmerz.

Bei akut entzündlicher Symptomatik (Ödem, Überwärmung) lohnt der Einsatz von Bisphosphonaten. Sie hemmen die Aktivität der Osteoklasten und dämpfen Entzündungen längerfristig. Speziell für Neridronat (400 mg i.v.) wurde ein günstiger Einfluss auf Schmerz und Hyperalgesie sowie eine Verbesserung der Lebensqualität bei einer CRPS-Dauer unter sechs Monaten gezeigt.

Unzureichende Wirkung durch psychische Probleme

Alternativ können beim frühen entzündlichen Syndom auch Steroide gegeben werden. Ihr Vorteil: das rasche Ansprechen innerhalb weniger Tage bis maximal drei Wochen. In Einzelfällen wirken sie auch bei chronischem CRPS (Krankheitsdauer > 6 Monate). Die bisherige Studienlage spricht für eine Dosierung > 30–40 mg/d Prednisolonäquivalent über vier Wochen im akuten Stadium. Die Leitlinienautoren haben bessere Erfahrungen mit einer Startdosis ≥ 100 mg gemacht, die über 2,5 Wochen ausgeschlichen wird. Bei unzureichender Wirkung wird eine rasche Evaluierung und Behandlung psychischer Begleit­erkrankungen angeraten. In therapieresistenten Fällen kann eine Ketamin-Infusion den Schmerz lindern. Führt auch das nicht zum Ziel, kommen eventuell Sympathikusblockaden infrage, beides sollte nur in erfahrenen Zentren erfolgen. Niedrig dosierte intravenöse Immunglobuline (0,5 g/kg KG) wirken bei CRPS nicht. 

* Deutsche Gesellschaft für Neurologie

Quelle: S1-Leitlinie „Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS)“, AWMF-Registernummer: 030/116, www.awmf.org

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Das häufigste einem CRPS vorausgehende Trauma ist die distale Radiusfraktur. Das häufigste einem CRPS vorausgehende Trauma ist die distale Radiusfraktur. © iStock/Jurgute