Dem Stuhl Beine machen

DGIM 2022 Birgit Maronde

Wissen sich Patienten nicht anders zu helfen, brechen sie mitunter die Opioidtherapie ab, um der Verstopfung gegenzuwirken. Wissen sich Patienten nicht anders zu helfen, brechen sie mitunter die Opioidtherapie ab, um der Verstopfung gegenzuwirken. © Sinisa Botas – stock.adobe.com

Eine Obstipation quält im Mittel jeden zweiten mit Opioiden behandelten Patienten. Sie kann zu erheblichen Belastungen führen und sollte deshalb konsequent angegangen werden. Am besten ist, man startet bereits prophylaktisch mit der Laxanziengabe.

Die Entwicklung der opioidinduzierten Obstipation (OIC) verläuft individuell sehr unterschiedlich, erklärte Dr. Oliver Emrich­ vom Schmerz- und Palliativzentrum DGS* Ludwigshafen. Er hat in seiner Praxis sowohl Patienten unter Hochdosis-Opioiden, die keine Probleme bekommen, und solche, die schon „bei Anblick der Packung“ verstopfen.

In der Regel setzt die OIC mit Beginn der Opioidtherapie ein, die Symptome nehmen in ihrer Ausprägung rasch zu und erreichen innerhalb weniger Tage ihr Maximum. Es gibt aber auch Patienten, bei denen es zu einer progredienten Zunahme der Beschwerden über Wochen bis Monate kommt. Mit einer Toleranzentwicklung ist nicht zu rechnen. „Wenn jemand verstopft, dann bleibt das auch so“, so der Kollege.

Die Diagnose erfolgt anhand der Rom-IV-Kriterien: Ein Patient mit OIC hat erst seit Beginn der Behandlung, nach einer Dosiseskalation oder einem Präparatewechsel Beschwerden und kann ohne Laxanzien keinen spontanen Stuhl absetzen. Zudem erfüllt er mindestens zwei der folgenden sechs Punkte:

  • verstärktes Pressen
  • harte Konsistenz des Stuhls
  • Gefühl der unvollständigen Entleerung
  • Gefühl der anorektalen Blockade
  • manuelle Manöver notwendig
  • weniger als drei spontane Darmentleerungen pro Woche 

Die Kriterien 2–5 müssen bei mindestens 25 % der Defäkationen vorliegen, um gewertet zu werden. Selbstverständlich sind andere Ursachen einer Verstopfung, etwa ein mechanisches Hindernis bei Krebspatienten, eine Exsikkose oder eine Hypokaliämie, auszuschließen, erinnerte Dr. Emrich.

Hilfreich in der Praxis sind die Einschätzung der Symptomatik mittels Fragebogen und der Bowl-Function-Index (BFI). Für Letzteren bewertet der Patient anhand der Visuellen Analogskala von 0 bis 100 jeweils die Leichtigkeit des Stuhlgangs, das Gefühl der unvollständigen Darmentleerung sowie den Schweregrad der Verstopfung. Der Cut-off für eine OIC liegt bei einem Mittelwert der drei Variablen ≤ 28,8.

Potenzielle Folgen der opiatinduzierten Obstipation

  • Mangelernährung
  • Malabsorption
  • Non-Adhärenz zur Opioidtherapie 
  • Schmerzzunahme
  • häufigere Arztbesuche
  • ggf. Klinikaufenthalt für Darmentleerung  
  • zusätzliche Medikation
  • Arbeitsunfähigkeit

Die „Therapie“ der Obstipation beginnt idealerweise zeitgleich mit der Verordnung eines Opioids. Der Patient wird über die drohende Verstopfung als Nebenwirkung informiert und über Basismaßnahmen wie ausreichend trinken, sich bewegen und Ballaststoffe zu sich nehmen aufgeklärt. Auch bietet sich die prophylaktische Gabe eines Laxans an. Es ist spätes­tens dann indiziert, wenn der leiseste Verdacht auf eine Verstopfung vorliegt, erklärte der Experte. Wichtig sei, den Patienten zu führen und ein enges Monitoring zu vereinbaren. Stellt sich unter der Opioid­gabe eine OIC ein, ist die Rotation auf ein Kombinationspräparat mit Naloxon, auf Tapentadol oder ein transdermales Buprenorphinsystem zu erwägen.

Konventionelle Laxanzien

Für die symptomatische Behandlung bieten sich osmotische und stimulierende Standardlaxanzien an. Lactulose wird als osmotisches Laxans oft vergessen, hat aber ihre Berechtigung, betonte der Palliativmediziner. Ein- bis zweimal am Tag nimmt der Patient 7,5–15 ml davon ein. Die Wirkung ist allerdings nicht sofort zu erwarten. Aufgrund der enthaltenen Fruktose und Laktose kann es zu Blähungen und Unterbauchschmerzen kommen. Eine Alternative bietet das nicht-toxische Polymer Macrogol (ein- bis dreimal täglich 25 mg in 100 ml Wasser). Dr. Emrich beginnt aufgrund der verzögerten Wirksamkeit mit der abendlichen Gabe. Mit etwas Glück komme es dann bereits morgens zum Stuhlgang.

Bisacodyl ist ein Prokinetikum, es stimuliert die Peristaltik vor allem im Dickdarm. Deshalb gibt es die Substanz auch als Zäpfchen. Während das Suppositorium innerhalb von 15–30 Minuten wirkt, benötigt die orale Applikation (1–2 Dragees bevorzugt abends) sechs bis zwölf Stunden. Auch Natriumpicosulfalt ist ein Prokinetikum mit einer Wirklatenz von sechs bis zwölf Stunden. Es steht in verschiedenen Applikationsformen zur Verfügung.

Prucaloprid wirkt prokinetisch über die Aktivierung der 5-HT-Rezeptoren in der Darmwand und wird auch bei Gastroparese gegeben. Waren andere Maßnahmen nicht erfolgreich, kann man es in einer Dosierung von 1–2 mg/d verordnen. Der Effekt setzt nach zwei bis drei Stunden ein. „Ich habe damit ganz gute Erfahrungen“, meinte Dr. Emrich. Bei hartem Stuhl in der Darmampulle bietet sich die Applikation eines (Mikro-)Klysmas an.

Medikamente gegen die Verstopfung

  • Ballaststoffe: Flohsamen, Leinsamen, Guar, Weizenkleie Agar-Sgar etc. 
  • osmotische Laxanzien: Lactulose, Macrogol, Glaubersalz, Bittersalz
  • rektale Laxanzien: Klistiere, Glycerinzäpfchen, Bisacodyl
  • prokinetische Laxanzien: Bisacodyl, Natriumpicosulfat, Procaloprid, Anthranoide, Fette, Öle, Lubliproston, Liaclorid, Plecanatid
  • PAMORA: Naloxon, Naloxegol, Methylnaltrexon, Naldemedin

PAMORA (peripher wirksame µ-Opioidrezeptorantagonisten)

Führen Standardlaxanzien nach ein bis zwei Wochen nicht zum gewünschten Erfolg, d.h. bleibt der BFI > 28,8, setzt man zusätzlich einen PAMORA­ ein, der die Opioidrezeptoren im Darm besetzt. Methylnaltrexon wird vier- bis siebenmal pro Woche in einer Dosierung von 8–12 mg via Fertigspritze subkutan injiziert. Es überwindet nicht die Blut-Hirn-Schranke und wirkt selektiv am Opioidrezeptor des Darms. Bei chronischen Schmerzpatienten (außer in der Palliativsituation) soll man das Standardlaxans absetzen.

Naloxegol steht oral zur Verfügung. Bei Patienten mit geschädigter Blut-Hirn-Schranke kann es diese überwinden und den Effekt der Opioidtherapie schwächen. Das Ausmaß dieses Effekts ist jedoch gering. Die Patienten nehmen morgens 30 Minuten vor dem Essen 25 mg ein. Liegt eine (mittel-)schwere Niereninsuffizienz vor oder eine Hemmung von CYP3A4, beträgt die initiale Dosis 12,5 mg.

Das Naltrexonderivat Nalmedin kann unabhängig von den Mahlzeiten als Tablette eingenommen werden. Eine Dosisanpassung ist weder bei mittelschwerer bis schwerer Niereninsuffizienz noch bei Patienten über 65 Jahren nötig. „Sie sehen, die Palette dessen, was man bei OIC machen kann, ist sehr breit“, resümierte Dr. Emrich.

* Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin

Kongressbericht: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

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Wissen sich Patienten nicht anders zu helfen, brechen sie mitunter die Opioidtherapie ab, um der Verstopfung gegenzuwirken. Wissen sich Patienten nicht anders zu helfen, brechen sie mitunter die Opioidtherapie ab, um der Verstopfung gegenzuwirken. © Sinisa Botas – stock.adobe.com