Die Knorpelentzündung richtig diagnostizieren

EULAR 2023 Dr. Sonja Kempinski

Links: Sattelnase als Deformität nach rezidivierenden Schüben einer Polychondritis. Rechts: Polychondritis am Ohr. Typisch sind Rötung und Schwellung im Bereich des Knorpels. Das Ohrläppchen ist von der Entzündung ausgespart. Links: Sattelnase als Deformität nach rezidivierenden Schüben einer Polychondritis. Rechts: Polychondritis am Ohr. Typisch sind Rötung und Schwellung im Bereich des Knorpels. Das Ohrläppchen ist von der Entzündung ausgespart. © wikimedia/Klaus D. Peter, Wiehl, Germany / wikimedia/John C. Starr et al.

Sie deformiert Ohren und Nasen und bedroht Atemwege, Augen und Gefäße: Die rezidivierende Polychondritis ist alles andere als harmlos. Und obwohl sich die Knorpelentzündung häufig ganz typisch präsentiert, sind Fehldiagnosen vorprogrammiert. Ein Experte berichtete beim EULAR, wie man eine Polychondritis dingfest macht.

Die rezidivierende Polychondritis (RP) ist eine überaus seltene Erkrankung. Laut einer britischen Studie beträgt ihre Inzidenz 1 pro 1 Million Personenjahre, ihre Prävalenz 9 pro 1 Millionen Menschen. Zwei Faktoren unterscheiden sie von anderen rheumatischen Erkrankungen: Sie tritt vor allem in einem Alter zwischen 40 und 60 Jahren auf, und Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen, erklärte Prof. Dr. Laurent Arnaud von der Abteilung für Rheumatologie am Universitätsklinikum Straßburg. 

Hauptmanifestationsort der rezidivierenden Knorpelentzündungen ist das Ohr (90 % bis 95 % der Patienten). In 50 % bis 70 % der Fälle ist die Nase betroffen, in 30 % bis 50 % die Trachea. Bis zu 30 % der Patienten mit Polychondritis leiden auch unter einer Kostochondritis.

Als systemische Erkrankung kann die RP jedoch zahlreiche weitere Manifestationen aufweisen, erinnerte Prof. Arnaud. Drei Viertel der Patienten haben eine rezidivierende, asymmetrische seronegative Arthritis, bei der die Beschwerden oft von einem Gelenk zum nächsten wandern. Auch die Wirbelsäule ist manchmal beteiligt. Radiologisch finden sich allerdings keine Läsionen, es sei denn, es handelt sich um ein Überlappungssyndrom mit RA oder SpA. 

Jeder dritte Patient berichtet über eine Beteiligung des Innenohrs mit Hörminderung, Otitis, Vertigo, Tinnitus oder Hörverlust. Kardiovaskuläre Manifestationen wie eine Aortitis kommen ebenfalls vor. In diesen Fällen muss unbedingt an das VEXAS-Syndrom gedacht werden, warnt Prof. Arnaud (siehe Kasten). Am Auge sind Skleritis oder Episkleritis häufig und bei jedem Fünften der Grund für die Erstpräsentation. Uveitiden gehören dagegen bei der RP zu den seltenen Symptomen. 

Polychondritis oder VEXAS-Syndrom?

Knorpelentzündungen sind beim VEXAS-Syndrom häufig, weshalb diese neue Erkrankung eine wichtige Differenzialdiagnose zu RP darstellt. Laut Prof. Arnaud gibt es deutliche Unterscheidungsmerkmale. Beim VEXAS-Syndrom sind nahezu 100 % der Patienten männlich, bei der RP ist das Geschlechterverhältnis ausgewogen. VEXAS-Patienten haben meist das 60-Lebensjahr überschritten, der Peak bei RP-Patienten liegt zwischen 40 und 60 Jahren. VEXAS führt häufiger zu nicht-infektiösem Fieber, Hautläsionen, Herzbeteiligung und Lungeninfiltraten. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist auch die Myeloplasie, die bei VEXAS in drei Viertel der Fälle vorkommt, bei RP fast nie. Als typische Blutbildveränderungen bei VEXAS gelten Makrozytose und Thrombozytopenie.

Zum Arzt gehen die Betroffenen in vielen Fällen wegen akuter, starker, lang anhaltender Schmerzen am Ohr. Prinzipiell lässt sich die Chondritis dort gut erkennen. Das Ohr ist rot, oft geschwollen und die Entzündung auf den knorpeligen Anteil beschränkt – d.h., das Ohrläppchen bleibt typischerweise verschont. Trotzdem kommt es häufig zu Fehldiagnosen, berichtete Prof. Arnaud. Verkannt wird die RP vor allem als:

  • Infektion 

  • Insektenstich

  • Sonnenbrand oder Frostbeule

  • Winkler´s Krankheit

  • physiologische (vasomotorische) Rötung

  • T-Zell-Lymphom

Häufig muss die Diagnose retrospektiv gestellt werden, weil die erste Episode der Erkrankung nicht als solche erkannt wurde. In diesen Fällen helfen Bilder des Ohres weiter. Leider denken die wenigsten Patienten von selbst daran, ihr schmerzenden Ohr zu fotografieren. Prof. ­Arnaud rät Betroffenen mit Verdacht auf eine RP, beim nächsten Rezidiv ihr Ohr sofort abzulichten. Nach mehrere Episoden einer RP ist das Ohr auch häufig deformiert. Man spricht vom sog. Blumenkohl­ohr – aber Vorsicht, die können auch hämatombedingte Folgen von Kontaktsportarten wie Rugby oder Kickboxen sein. Bei der RP lagert sich allerdings Kalk im Ohrknorpel ab, der lässt sich manchmal tasten und fast immer im Röntgenbild nachweisen.

Eine nasale Knorpelentzündung ist dagegen im akuten Schub optisch weniger auffällig als die Ohrchondritis. Typischerweise beklagen die Patienten eine schmerzende Nase – und zwar am Übergang zwischen Nasenbein und Knorpel. Zeichen einer lokalen Entzündung sieht man dort meist nicht. Die wiederholte Chondritis resultiert bei etlichen Patienten jedoch in einer Deformation, z.B. in Form einer Sattelnase.

Stenosen gelten als die gefährlichsten Folgen bei Beteiligung der Atemwege. Eine Chondritis des Larynx äußert sich durch Stimmstörungen, Halsschmerzen und Stridor. Sind Trachea und Bronchien betroffen, kommt es zu Husten und Brustschmerzen, bei starker Ausprägung droht eine Ateminsuffizienz. Entzündete Rippenknorpel verursachen Schmerzen, manchmal sieht man von außen auch Deformitäten des Brustbeins.

Wenn klar ist, dass es sich um eine Knorpelentzündung handelt, muss man diverse Differenzialdiagnosen bedenken. Die beiden wichtigsten heißen Granulomatose mit Polyangiitis (GPA) und das bereits erwähnte VEXAS-Syndrom. Polychondritiden treten zudem – wenn auch sehr selten –  z.B. bei systemischem Lupus erythematodes, Sarkoidose oder Morbus Crohn auf.

Besteht der Verdacht auf eine rezidivierende Polychondritis, rät Prof. Arnaud, sich Kopf, Hals und Thorax im CT genauer anzuschauen. So lassen sich die Knorpelerosionen gut nachweisen, außerdem hilft die CT bei der Abgrenzung zur GPA. Eine diagnostische Bronchoskopie darf nur ein geübter Experte vornehmen, da durch die Stenosen ein sehr hohes Risiko besteht, die Bronchialwände zu verletzen. 

Laborwerte sind mit Vorsicht zu interpretieren. Ein normales CRP schließt die RP nicht aus, denn der Entzündungswert bleibt in zu 40 % der akuten Schübe unauffällig. Es können durchaus unspezifische Antikörper vorliegen, im Gegensatz zur GPA handelt es sich dabei allerdings nie um Anti-MPO/PR3-Antikörper. Die Bestimmung der Anti-Kollagen-II-Autoantikörper (gegen Knorpel) bzw. der Anti-Matrilin-1-Antikörper spielt diagnostisch nur eine untergeordnete Rolle, da das Ergebnis nur bei 33 % rsp. 13 % der Betroffenen positiv ausfällt. Prof. Arnaud rät deshalb von dieser Untersuchung ab. Ebenfalls für überflüssig hält er die Knorpelbiopsie. Muss zwischen RP und lokaler GPA entschieden werden, kann eine nasale Mukosabiopsie weiterhelfen. 

Steht die Diagnose RP, ist die Diagnostik damit allerdings noch nicht komplett abgeschlossen: 20 % der Patienten haben ein Überlappungssyndrom mit Kollagenosen, Vaskulitiden, Hämopathien oder Infektionskrankheiten (siehe Tabelle). Diese gilt es zu abzuklären, um die Prognose der Erkrankung zu verbessern.

Diese Entitäten überlappen häufig mit der rezidivierenden Polychondritis (Auswahl)

rheumatische Erkrankungen:

RA, SLE, Sjögren Syndrom, Antiphospholipidsyndrom, Morbus Behçet, SpA, Familiäres Mittelmeerfieber

entzündliche Darmerkrankungen:

Morbus Crohn, Colitis ulcerosa

Hämopathien:

Myelodysplasie, Lymphom

Infektionskrankheiten:

Hepatitis C, HIV-Infektion

andere:

Hashimoto-Thyreoiditis, primäre biliäre Zirrhose, Myasthenie

nach Laurent Arnauld, Vortrag „Diagnosing and management of relapsing polychondritis“, EULAR 2023

Für die Behandlung der RP gibt es keine allgemeingültigen Empfehlungen, sie beruht bisher einzig auf Expertenerfahrungen. Prof. ­Arnaud beginnt bei einer ersten einfachen Chondritis-Episode mit einer Glukokortikoidkurzzeittherapie (40 mg/d Prednisolonäquivalent, dann tapern). Kommt es zu Rezidiven, gibt er entweder Methotrexat oder Colchicin dazu. 

Bei schweren Organmanifestationen kommen höhere Dosen Prednisolon zum Einsatz, in den meisten Fällen verordnet er zudem Cyclophosphamid. Andere Rheumatologen behandeln mit Hydroxychloroquin oder Dapson. Biologika und JAK-Inhibitoren zeigten bei dieser Erkrankung bisher wenig Effekt. 

Manche Patienten benötigen zudem auch nicht medikamentöse Ansätze bzw. Hilfen. Ausgeprägte Trachealstenosen machen mitunter Prothesen erforderlich. Menschen mit krankheitsbedingtem Hörverlust helfen Cochlea-Implantate. Deformierte Nasen lassen sich mithilfe von Knorpelverpflanzungen plastisch-chirurgisch wieder richten. Betroffene sollten allerdings wissen, dass jeder neue Erkrankungsschub auch den implantierten Knorpel angreifen kann.

Quelle: Kongressbericht EULAR 2023 – Annual European Congress of Rheumatology

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Links: Sattelnase als Deformität nach rezidivierenden Schüben einer Polychondritis. Rechts: Polychondritis am Ohr. Typisch sind Rötung und Schwellung im Bereich des Knorpels. Das Ohrläppchen ist von der Entzündung ausgespart. Links: Sattelnase als Deformität nach rezidivierenden Schüben einer Polychondritis. Rechts: Polychondritis am Ohr. Typisch sind Rötung und Schwellung im Bereich des Knorpels. Das Ohrläppchen ist von der Entzündung ausgespart. © wikimedia/Klaus D. Peter, Wiehl, Germany / wikimedia/John C. Starr et al.