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Die Pathologie entwickelt sich bereits viele Jahre vor der Manifestation

Derzeit leiden weltweit rund 34 Millionen Menschen an Morbus Alzheimer (AD) und in den nächsten 40 Jahren wird eine Verdreifachung der Prävalenz erwartet, berichtete Prof. Dr. Sebastian Jander, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Marien Hospital Düsseldorf. Könnte man diese Entwicklung präventiv aufhalten? Prof. Jander erinnerte an eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2011, aus der hervorging, dass sieben potenziell veränderbare Risikofaktoren im Fokus stehen: Diabetes, Bluthochdruck sowie Übergewicht in der Lebensmitte, Rauchen, Depression, kognitive Inaktivität bzw. niedriger Bildungsstand und körperliche Inaktivität.
Das ist altbekannt, aber dennoch beeindruckt die Hochrechnung, die eine 10- bis 25%ige Reduzierung aller sieben Risikofaktoren bewirken könnte, denn dadurch ließen sich bis zu drei Millionen AD-Fälle verhindern.1 Eine neuere Kohortenstudie mit fast 2.500 Menschen ab 65 Jahren, in der fünf veränderbare Lebensstilfaktoren (Ernährung, kognitive und körperliche Aktivität, Nichtrauchen, und mäßiger Alkoholkonsum) über drei Jahrzehnte einflossen, untermauert diese bekannten Ergebnisse.2 „Ein gesunder Lebensstil war bei beiden Geschlechtern mit einer längeren Lebenserwartung verbunden, von der ein größerer Anteil ohne Alzheimer-Demenz verbracht werden konnte.“
Immer häufiger stehen hochverarbeitete Lebensmittel (Ultra Processed Foods, UPS) in der Kritik. Eine prospektive, multizentrische Kohortenstudie mit rund 10.800 brasilianischen Beamtinnen und Beamten widmete sich der Frage, ob ein hoher UPF-Anteil in der Ernährung in einem Zusammenhang mit dem kognitiven Verfall steht.3 Der Konsum von UPF (gemäß NOVA-Klassifizierung) wurde bei den 35- bis 74-jährigen als prozentualer Anteil der aufgenommenen Gesamtenergie in Quartilen stratifiziert. Nach im Mittel 8 ± 2 Jahren Nachbeobachtungszeit wiesen Personen mit einem erhöhten UPF-Konsum unter Berücksichtigung diverser Kovariaten einen statistisch signifikant rascheren kognitiven Abbau (-28 %) sowie einen schnelleren Abbau der Exekutivfunktion (-25 %) auf als Personen, die weniger als 20 % ihrer täglichen Kalorienzufuhr durch UPF deckten.3
Kalorienreduktion an sich oder besondere Diät?
Wenn UPF, die sehr unterschiedlich definiert sein können, schädlich sind, gibt es dann im Gegenzug eine Evidenz für besonders „gesunde“ Ernährungsformen, die vor kognitivem Abbau schützen kann? Die sogenannte Mediterranean-DASH Intervention for Neurogenerative Delay (MIND-Diät) ist eine Mischung aus mediterraner Ernährung und der DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension). Diese Diät wurde verbunden mit einer leichten Kalorienrestriktion gegen eine Kontrolldiät mit ebenfalls leichter Kalorienrestriktion über einen Zeitraum von drei Jahren in einer randomisierten kontrollierten Studie getestet.4 Das Untersuchungskollektiv bestand aus jeweils rund 300 älteren Erwachsenen mit einem BMI von > 25 kg/m² und einer suboptimalen Ernährung, ohne kognitive Beeinträchtigungen, aber mit Demenz in der Familienanamnese. In beiden Untersuchungsgruppen zeigte sich eine leichte Verbesserung in den verwendeten globalen Kognitions-Scores und den MRT-Scans, neben einer Gewichtsabnahme von jeweils rund 5 kg.4 „Das Ergebnis der MIND-Diät-Studie mag zunächst enttäuschend erscheinen“, konstatierte Prof. Jander. „Allerdings wurde in beiden Studienarmen eine Kalorienrestriktion und Unterstützung bei der Gewichtsabnahme durchgeführt.“ Diese Veränderung habe sich insgesamt positiv auf die kognitive Leistung ausgewirkt. Vor diesem Hintergrund habe die spezifische Form der Diät keinen zusätzlichen Vorteil gebracht. Die kurze Studiendauer schränke allerdings die Aussagekraft der Ergebnisse ein.
Sind hohe Triglyceride besser?
Ein überraschendes Ergebnis zur Bedeutung von Triglyceriden im Hinblick auf das Demenzrisiko zeigte die prospektive, randomisierte Längsschnittstudie ASPREE (Aspirin in Reducing Events in the Elderly).5 Für die Analyse wurden auch Daten aus britischen Datenbanken von fast 14.000 Personen herangezogen, die eine genetische Adjustierung für das Alzheimer-Risikogen ApoE4 ermöglichten. Bei den Über-65-Jährigen, die zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Studie weder eine Demenz noch eine kardiovaskuläre Erkrankung hatten, waren höhere Triglyceride mit einem geringeren Demenzrisiko verbunden. Außerdem waren höhere Triglyceridwerte mit einem langsameren Rückgang der zusammengesetzten Kognitions- und Gedächtnis-Scores über den Studienverlauf (Median 6,4 bzw. 12,5 Jahre) verbunden; die UK-Biobank-Kohorte kam zu ähnlichen Ergebnissen.5 „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Regel ‚The lower the better‘ für Triglyceride möglicherweise nicht zutrifft“, stellte Prof. Jander fest. Als einen möglichen Erklärungsansatz vermuten die Autoren der Studie höhere Triglyceridwerte als Hinweis für einen besseren allgemeinen Gesundheitszustand bzw. einen Lebensstil, der vor der Entwicklung von Demenz schützen könnte.
Für Menschen mit Diabetes stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen dem längerfristigen HbA1c-Wert und dem Demenzrisiko besteht. Eine große amerikanische Kohortenstudie kommt nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 5,9 ± 4,5 Jahren zu dem Schluss, einen „entspannten“ HbA1c-Zielwert von < 9 % zur Reduktion des Demenzrisikos bei Typ-2-Diabetes zu empfehlen.6 Prof. Jander stellte auch eine große UK-Kohortenstudie vor, in der eine orale Antikoagulation das Demenzrisiko bei Personen mit Vorhofflimmern reduzieren konnte.7 Allerdings schränke auch bei dieser Studie der nichtinterventionelle Charakter die Aussagekraft ein.
„Amyloid aus dem Gehirn abräumen“
Die komplexe Pathogenese der Alzheimer-Erkrankung stellte Prof. Jander mit Blick auf die jüngst publizierten Phase-3-Studien zur Amyloid-Antikörpertherapie mit Lecanemab bzw. Donanemab heraus: Klinische Manifestationen zeigten sich erst nach einigen Jahren der intrazellulären Akkumulation von hyperphosphoryliertem Tau, und diesen Veränderungen wiederum gehe wahrscheinlich ein jahrzehntelanger Vorlauf extrazellulärer Beta-Amyloid-Ablagerungen voraus. Gegen die Amyloid-Ablagerung gerichtete Ansätze müssten daher in einem frühestmöglichen Stadium beginnender kognitiver Einschränkung angewendet werden, und konsequenterweise sollte deshalb auch die Diagnose der AD im Frühstadium vor Ausbildung einer manifesten Demenz erfolgen. Prof. Jander erinnerte an die seit 2018 geltende, auf Biomarkern basierte ATN-Klassifikation der AD, die eine frühere Diagnose und einen entsprechend frühen Einsatz kausaler Therapien erlaube. Dazu stellte er zwei „bahnbrechende Studien“ vor, die erstmals zeigten, „dass sich durch spezifisches Targeting der Amyloidpathologie in Frühstadien der AD das Fortschreiten kognitiver Beeinträchtigung abbremsen lässt.“8,9 Die Effekte seien mit einer rund 30%-igen „Abbremsung“ der AD-Progression jedoch nur moderat, und klinische Relevanz müsse vor dem Hintergrund hoher Kosten, hohen logistischen Aufwands bei der Durchführung der Therapie und der teils gravierenden Nebenwirkungen (u. a. Hämorrhagien, Ödeme), in der Anwendungsbeobachtung geklärt werden. Aufgrund der moderaten Effekte der Antikörpertherapien spiele die Demenzprävention durch die frühzeitige und konsequente Reduktion modifizierbarer Risikofaktoren nach wie vor eine entscheidende Rolle.
Quellen:
1. Barnes DE, Yaffe K. Lancet Neurol 2011; 10(9): 819-828; doi: 10.1016/S1474-4422(11)70072-2
2. Dhana K et al. BMJ 2022; 377: e068390; doi: 10.1136/bmj-2021-068390
3. Gomes Gonçalves N et al. JAMA Neurol 2023; 80(2): 142-150; doi: 10.1001/jamaneurol.2022.4397
4. Barnes LL et al. N Engl J Med 2023; 389(7): 602-611; doi: 10.1056/NEJMoa2302368
5. Zhou Z et al. Neurology 2023; 101(22) :e2288-e2299; doi: 10.1212/WNL.0000000000207923
6. Moran C et al. JAMA Neurol 2023; 80(6): 597-604; doi: 10.1001/jamaneurol.2023.0697
7. Rahman AA et al. Neurology 2023; 100(12): e1309-e1320; doi: 10.1212/WNL.0000000000207890
8. van Dyck CH et al. N Engl J Med 2023; 388(1): 9-21; doi: 10.1056/NEJMoa2212948
9. Sims JR et al. JAMA 2023; 330(6): 512-527; doi: 10.1001/jama.2023.13239
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