Die Schulter stabilisieren – ohne Chirurgie

Dr. Carola Gessner, Foto: thinkstock

Immer wieder luxiert das Schultergelenk des Mannes. Was können Sie für ihn tun? Nicht jede „instabile Schulter“ muss gleich zum Chirurgen. Ein Experte erläutert die Handlungsmöglichkeiten auf hausärztlicher Ebene.

„Die Schulter springt bei ganz normalen Bewegungen heraus, mein Arm tut weh und fühlt sich schwach an“, so könnte eine typische Patientenklage bei instabiler Schulter lauten. Dann müssen Sie zuallererst folgende Fragen klären:


Risikofaktoren für die 
instabile Schulter

  • männliches Geschlecht
  • Alter (Mitte Dreißig und über 80 Jahre, zweigipflige Kurve)
  • positive Familienanamnese
  • abnormale Form des Labrum glenoidale
  • Hypermobilitätssyndrom
  • Kontaktsportarten
  • frühere Schulterluxation
  • Hill-Sachs-Läsion (posterolateraler Defekt am Humeruskopf – mechanischer Schaden durch Quetschung am vorderen Glenoidrand)
  • Ging der ersten Luxation ein bestimmtes Trauma voraus?
  • Wie alt war der Patient beim ersten Ereignis?
  • Wie häufig sprang das Gelenk seitdem heraus?
  • In welche Richtung luxiert die Schulter (≥ 90 % nach vorne)?


Anhand der Antworten sowie des klinischen Befunds – insbesondere der Schultermuskulatur – lässt sich ätiologisch bereits differenzieren zwischen traumatisch struktureller, atraumatisch struktureller und muskulärer Genese, schreiben Dr. Tanujan Thangarajah vom Royal National Orthopedic Hospital in Stanmore und Kollege.


Für die muskuläre Genese spricht u.a. eine schlechte Haltung und eine allgemeine Hypermobilität mit generell laxen Gelenken (s. Kasten). Spezielle klinische Tests wie der Apprehension-Test (s. Bild) erlauben darüber hinaus, den Grad der Instabilität und damit das Risiko weiterer Luxationen einzuschätzen.

Bei Rezidiv-Luxationen ist röntgen oft unnötig


Beim Apprehension-Test drücken Sie bei 90° abduziertem und 90° außenrotiertem Arm den Humeruskopf mit dem Daumen nach vorn, um die Stabilität zu prüfen. Foto: MT-Archiv

Auf keinen Fall darf Ihnen bei der Erstuntersuchung nach stattgehabtem Trauma eine Rotatorenmaschetten-Ruptur oder eine Gefäß- bzw. Nervenverletzung, die eilig versorgt werden muss, entgehen. Ansons­ten gibt das Röntgenbild weiteren Aufschluss über eventuelle Defekte, die für die Luxation verantwortlich sind – z.B. an Humeruskopf (Hill-Sachs-Läsion) oder am Labrum glenoidale.


Doch bitte keinen radiologischen Overkill, mahnen die Kollegen: Bei wiederholter Luxation muss der Patient nicht jedesmal zum Röntgen – es sei denn, das aktuelle Ereignis hat sich anders zugetragen als üblich, sprich ein neuer Verletzungsmechanismus könnte andere Strukturen geschädigt haben.


9 Punkte für Hypermobilität

  • kleiner Finger: passive Dorsalflexion > 90°
  • Daumen: Dorsalflexion bis zum Kontakt mit Unterarm möglich
  • Ellenbogen: Hyperextension > 10°
  • Knie: Hyperextension > 10°
  • Stamm: bei Vorbeugung Handflächen problemlos auf den Boden zu legen


Insgesamt sind neun Punkte zu erreichen (bei den ersten vier Tests je einer für jede Seite). Ab vier Punkten kann man von einer Hypermobilität ausgehen.

Habituelle Schulterluxation primär konservativ angehen

Wenn es darum geht, eine Operationsindikation zu klären, liefern CT (Verlust an Knochensubstanz?) oder MRT (Defekt an Labrum glenoidale oder Rotatorenmanschette?) Informationen im Detail. In unklaren Fällen kann auch arthroskopische Diagnostik subtilere Verletzungen aufdecken, die den bildgebenden Verfahren entgangen sind.


Vorfahrt für die konservative Therapie heißt es auf jeden Fall bei habitueller Schulterluxation, also anlagebedingt laxen Gelenken und Muskelschwäche. Diesen Patienten kann ein erfahrener Physiotherapeut in der Regel gut helfen. Nur wenn trotz intensiver Krankengymnastik – mit Kräftigung und Koordinationsschulung der Muskulatur – noch Luxationsrezidive auftreten, muss man die operative Stabilisierung in Erwägung ziehen.


Dabei gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Weichteilreparatur (z.B. Refixierung des Labrums) und Knochenkorrektur. Was Letztere angeht, so lässt sich z.B. bei größeren Defekten (Hill-Sachs) ein knöcherner Aufbau mit dem Coracoid bewerkstelligen (Operation nach Latarjet). Die Rezidivrate liegt nach Anwendung von Weichteiltechniken höher, dafür scheint es nach Knochenreparatur auf Dauer mehr Gelenkprobleme mit Bewegungseinschränkung zu geben, so die Autoren.

Für die Op.-Indikation zählt das Alter des Patienten

Besonderheiten in der Therapie betreffen jüngere Patienten: Sie tragen nach erstmaliger Luxation ein wesentlich höheres Rezidivrisiko als ältere. Durch Operation kann das Risiko einer dauerhaft instabilen Schulter deutlich gesenkt werden, sodass z.B. ein 30-jähriger, aktiver Patient eher dem Chirurgen vorgestellt werden sollte. Gleiches gilt für Epilepsiekranke, bei denen die Schulter im Rahmen von Krampfanfällen luxiert.


Quelle: Tanujan Thangarajah et al., BMJ 2015; 350: online first

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