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Die übersehene Erbkrankheit

Die myotone Dystrophie Typ 1 (DM1) kann in jedem Alter auftreten, sich aber sehr unterschiedlich manifestieren. Die kongenitale Form ist selten, nimmt aber häufig einen schweren Verlauf. Verdacht schöpfen sollte man bei Neugeborenen mit Muskelhypotonie, Klumpfuß, Ernährungsstörungen und Ateminsuffizienz. Bei einem Ausbruch im Alter zwischen einem und zehn Jahren fallen die Kinder durch kognitive Defizite und Verhaltensstörungen auf (Autismus, ADHS etc.). Außerdem bestehen oft intestinale Symptome wie Diarrhö, Obstipation und Stuhlinkontinenz, erläutern Julia Hartman von der Virginia Commonwealth University und Koautoren.
Griff-Myotonie und Grauer Star für adulte Form typisch
Am häufigsten ist jedoch die adulte Form, die definitionsgemäß vorliegt, wenn die Symptome nach Vollendung des 10. Lebensjahrs einsetzen. Typisch sind eine distale muskuläre Schwäche, Myotonie und/oder ein vor dem 50. Lebensjahr auftretender Grauer Star. Die Relaxation der Handmuskeln nach einem starken Zugriff ist oft verzögert (Griff-Myotonie). Zudem treten kardiale Reizleitungsstörungen (AV-Block), Ateminsuffizienz und kognitive Einbußen auf.
Die Prävalenz der myotonen Dystrophie Typ 1 liegt laut einer US-amerikanischen Studie bei etwa 1 : 2.100 Geburten. Für die Diagnose sind Eigen- und Fremdanamnese sowie eine körperliche und genetische Untersuchung unerlässlich. Dabei fallen eventuell Schwächen und Atrophien im Bereich von Nacken, Gesicht, Händen, Unterschenkeln und Füßen auf.
In der molekularen Diagnostik lassen sich multiple Expansionen im DMPK-Gen nachweisen. Als pathologisch gilt eine Anzahl von ≥ 51 CTG-Triplet-Repeats – je nach Ausmaß verläuft die Erkrankung unterschiedlich schwer. Da die DM1 autosomal-dominant vererbt wird, sollte man allen erstgradigen Verwandten eine genetische Beratung anbieten. Außerdem raten die Autoren dazu, alle Betroffenen jährlich von einem multidisziplinären Team untersuchen zu lassen.
Mexiletin wird derzeit in Phase-3-Studien erforscht
Eine Heilung der myotonen Dystrophie Typ 1 ist bisher nicht möglich, die Therapie zielt auf symptomatische Verbesserungen ab. Gegen exzessive Tagesmüdigkeit helfen eventuell Stimulanzien wie Modafinil. Schwierigkeiten beim Greifen, Schluck- und Sprachstörungen werden häufig mit Mexiletin behandelt. Es wirkt der verlangsamten Inaktivierung von Natriumkanälen entgegen, die zum repetitiven „Zucken“ der Muskelfasern und der verzögerten Relaxation führt.
In einer Studie Phase-1/2-Studie verbesserte der Wirkstoff bei DM1-Patienten die Griffstärke. Der primäre Endpunkt – eine signifikante Distanzerhöhung im 6-Minuten-Gehtest – wurde aber nicht erreicht. Im EKG zeigten sich keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung der kardialen Reizleitung. Phase-3-Studien zu Mexiletin sind im Gange.
Bei der Pharmakotherapie gilt es auf Wechselwirkungen mit bestehender Medikation zu achten. Eine potenzielle Malabsorption im Gastrointestinaltrakt sowie eine durch die geringe Muskelmasse veränderte Pharmakokinetik können die Effektivität von Medikamenten beeinträchtigen. Schließlich ist mit Rhythmusstörungen und sedierenden Effekten zu rechnen.
Eine weitere Therapieoption ist Bewegung, betonen die Autoren. Gezieltes Training erhöht nachweislich die kardiorespiratorische Fitness, Muskelleistung und Lebensqualität der Patienten. Deshalb sollte man ihnen ein Übungsprogramm empfehlen, das sie fordert, aber nicht überfordert.
Quelle: Hartman J et al. JAMA 2024; DOI: 10.1001/jama.2024.2511
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