Distorsion im oberen Sprunggelenk ist mehr als nur ein Bagatelltrauma: Instabilität bei bis zu jedem Fünften

Dr. Sascha Bock

Auf den ersten Blick scheint das MRT (mitte) unauffällig. Doch die Kapselvermehrung im vorderen Gelenkabschnitt weist auf ein Impingementsyndrom hin. Auf den ersten Blick scheint das MRT (mitte) unauffällig. Doch die Kapselvermehrung im vorderen Gelenkabschnitt weist auf ein Impingementsyndrom hin. © Dr. Micha Hoyer

„Das stellen wir sechs Wochen ruhig und dann heilt das Gelenk schon wieder.“ Einige Kollegen glauben, bei einer Distorsion im oberen Sprunggelenk (OSG) ist die Sache mit einer Immobilisation gegessen. Dabei leidet jeder fünfte Patient unter persistierenden Beschwerden! Denn Begleitverletzungen werden häufig übersehen.

Normalerweise sind Patienten drei Wochen nach einer Bänderdehnung am Sprunggelenk wieder relativ fit. Kommen die Betroffenen binnen 4–6 Wochen immer noch nicht auf die Beine, gilt das bereits als Alarmsignal, betonte Dr. Micha Hoyer vom Diakonie Klinikum Stuttgart. Allein der meist komplexe Verletzungsmechanismus aus Plantarflexion, Adduktion und Inversion des Fußes macht deutlich, dass viele Strukturen in Mitleidenschaft gezogen werden können. Gerade bei Sporttraumata wirken immense Kräfte aufs Sprunggelenk. Die Kapsel z.B. reißt in aller Regel mit ein, so der Experte.

Je früher Begleitverletzungen erkannt werden, desto besser lassen sie sich behandeln. Zur initialen Diagnostik gehört daher immer die Frage nach der genauen Bewegung während des Traumas. Auch relevante Vorerkrankungen und eine eventuell vorbestehende Instabilität sind zu eruieren. Entscheidene Hinweise auf den entstandenen Schaden liefern Schwellung und Hämatom (OSG, Fußaußenrand, Fußwurzel?). Und egal wie wenig oder stark ausgeprägt die Schwellung ist, eine Röntgenaufnahme würde Dr. Hoyer immer anfertigen.

Schubladentest gelingt bei erstaunlich vielen Patienten

Jeden dicken Knöchel sollte man unbedingt anfassen – und zwar samt unterem Sprunggelenk und Fußwurzel (s. Kasten). „Die Palpation erlaubt es, nahezu jede Verletzung ganz einfach zu diagnostizieren“, erinnerte der Experte. Dabei gilt es, auf Schmerzlokalisation und Bewegungseinschränkungen zu achten. Mit dem Schubladentest lässt sich schnell die Bandstabilität überprüfen. Diese Untersuchung tolerieren zwar nicht alle Patienten unmittelbar am Tag der Verletzung. Bei vorsichtigem Vorgehen gelingt sie jedoch bei erstaunlich vielen, so Dr. Hoyers Erfahrung.

Jedes geschwollene Sprunggelenk anfassen!

Folgende Strukturen sollten bei der Palpation berücksichtigt werden:
  • Außenknöchel
  • Bandverlauf, Gelenkkapsel
  • Syndesmose
  • Peronealsehnenloge
  • Innenknöchel, Verlauf des Ligamentum deltoideum
  • Subtalar- und Calcaneocuboid- Gelenke
  • Lisfranc-Gelenkreihe
Als eine der häufigsten übersehenen Begleitverletzungen bezeichnete der Referent einen Schaden in der Lisfranc-Gelenkreihe. Das Lehrbuchbild von weit auseinander­stehenden Mittelfußknochen spukt einigen Kollegen vielleicht noch im Kopf herum. Aber der Abstand kann bei gerissenem Lisfranc-Band (zwischen Os cuneiforme mediale und Os metatarsale II) auch nur moderat ausfallen (s. Abb. 1). Eine unbelastete Röntgenaufnahme zeigt dann mitunter fälschlicherweise einen Normalbefund.

Rekonstruktion wegen nachlässiger Untersuchung

Wird die akute Lisfranc-Verletzung erkannt, lässt sie sich konservativ behandeln. Bei guter Knochenstellung genügt ein Gips, andernfalls bedarf es einer Drahtosteosynthese. Kommt der Schaden jedoch erst bei persistierenden Beschwerden ans Licht, ist das Gelenk womöglich in einer Fehlstellung verheilt und ein Rekonstruktionseingriff meist unumgänglich, warnte Dr. Hoyer. Eine weitere oft übersehene Instabilität hat ihren Ursprung zwischen Calcaneus und Würfelbein. Bei immerhin ca. 5 % der Patienten mit Sprunggelenksverletzung besteht gleichzeitig eine calcaneocuboidale (CC) Instabilität. Das Problem: Das CC-Gelenk erfüllt eine ganz andere Funktion als das OSG. Eine OSG-Orthese stellt diese Region somit nicht ruhig, was zu anhaltenden Beschwerden führen und letztlich eine aufwendinge Rekonstruktion zur Folge haben kann.

Impingement schränkt die Beweglichkeit nicht ein

Findet sich initial ein Druckschmerz ca. 2 cm vor den Außenbändern, sollte ein Stabilitätstest in der Durchleuchtung erfolgen. Mit Gips oder Walker-Orthese erlangen Patienten mit CC-Instabilität laut Dr. Hoyer i. d. R. Schmerzfreiheit. Nach einer OSG-Distorsion kann es je nach Quelle in 1–14 % der Fälle zu einem Impingementsyndrom kommen. Dabei entwickeln sich aufgrund eines gestörten Heilungsprozesses Narbenstränge – meist, wenn eine Kapselbandverletzung vorausging. Das pathologische Gewebe wird bei Dorsalextension zwischen Talus und Tibia sowie zwischen Talus und Fibula schmerzhaft eingeklemmt. Beweglichkeit und Stabilität sind jedoch nicht eingeschränkt. Bis zur Diagnose vergehen zum Teil drei bis vier Jahre. Und auch beim Impingement kann die Bildgebung täuschen: Das Kernspin offenbart nur dem geschulten Auge spezifische Veränderungen (s. Abb. 2). Da es sich um ein mechanisches Problem handelt, kommen die Betroffenen nicht um eine athroskopische Resektion herum. Jede zehnte bis fünfte akute Bandruptur mündet in einer chronischen Sprunggelenkinstabilität. Funktionell kompensieren viele Betroffene die Schwäche teilweise, weshalb sie im Alltag keine Probleme spüren. Einige müssen ihre sportlichen Aktivitäten aber auch zurückschrauben. Der therapeutische Anspruch lautet in jedem Fall, auf eine Operation zu verzichten. Sollten jedoch konservative physio­therapeutische Maßnahmen über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten versagen, bleibt keine andere Wahl, als zu operieren, um einen Gelenkverschleiß zu verhindern.

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Auf den ersten Blick scheint das MRT (mitte) unauffällig. Doch die Kapselvermehrung im vorderen Gelenkabschnitt weist auf ein Impingementsyndrom hin. Auf den ersten Blick scheint das MRT (mitte) unauffällig. Doch die Kapselvermehrung im vorderen Gelenkabschnitt weist auf ein Impingementsyndrom hin. © Dr. Micha Hoyer
Abbildung 1: Der Spalt zwischen erstem und zweiten Mittelfußknochen ist verbreitert – typisches Zeichen einer akuten Lisfranc-Verletzung. Abbildung 1: Der Spalt zwischen erstem und zweiten Mittelfußknochen ist verbreitert – typisches Zeichen einer akuten Lisfranc-Verletzung. © Dr. Micha Hoyer
Abbildung 2: Auf den ersten Blick scheint das MRT unauffällig. Doch die Kapselvermehrung im vorderen Gelenkabschnitt weist auf ein Impingementsyndrom hin. Abbildung 2: Auf den ersten Blick scheint das MRT unauffällig. Doch die Kapselvermehrung im vorderen Gelenkabschnitt weist auf ein Impingementsyndrom hin. © Dr. Micha Hoyer