Dosiseskalation ist meist der falsche Weg

DGPPN 2023 Dr. Joachim Retzbach

Häufig liegt die Ursache für fehlendes Ansprechen auf die Therapie bei einer geringen Adhärenz. Häufig liegt die Ursache für fehlendes Ansprechen auf die Therapie bei einer geringen Adhärenz. © Drobot Dean – stock.adobe.com

Antipsychotika sollten bei Schizophrenie deutlich niedriger dosiert werden, als es lange Zeit üblich war – auch bei schwierig zu behandelnden Patienten. Eine antipsychotische Kombinationstherapie ist Experten zufolge nur selten sinnvoll.

Zwischen 35 % und 60 % der Patienten mit Schizophrenie sprechen nicht ausreichend auf einen ersten Behandlungsversuch an. Von den neu Erkrankten ist es etwa jeder vierte. Statt von Therapieresistenz spricht Prof. Dr. ­Gerhard ­Gründer vom Zentral­institut für Seelische Gesundheit in Mannheim aber lieber von schwierig zu behandelnder Schizophrenie – „um den Outcome nicht direkt vorwegzunehmen“, wie er sagt.

Der S3-Leitlinie von 2019 zufolge kann man von einer pharmakologischen Behandlungsresistenz sprechen, wenn die folgenden Kriterien erfüllt sind:

  • Die Symptomschwere, erfasst durch Standard-Ratingskalen wie PANSS** oder BPRS***, sinkt durch eine Therapie um weniger als 20 %.
  • Die Mindestbehandlungsdauer lag bei zwölf Wochen, in der Zeit wurden zwei verschiedene Anti­psychotika über jeweils mindes­tens sechs Wochen gegeben.
  • Die Therapie erfolgte mit ausreichend hohen Dosierungen (600 mg Chlorpromazin-Äquivalente) und der Patient hat mindes­tens 80 % der verordneten Dosis eingenommen.

Die Gründe für das Phänomen sind noch wenig verstanden. Man müsse aber davon ausgehen, dass die Resis­tenz zumindest teilweise durch die Behandlung selbst entsteht, so Prof. Gründer: „Jede Pharmakotherapie induziert eine biologische Gegenreaktion im Gehirn.“

Durch die Therapie entsteht ein neues Gleichgewicht

Tierversuche zeigen, dass durch die Gabe etwa eines D2-Antagonisten die Zahl der D2-Rezeptoren nach oben reguliert wird. Nach einer gewissen Therapiedauer entsteht so ein neues Gleichgewicht, das weitere Behandlungsversuche erschwert. Deshalb sind Monotherapien in der niedrigsten effektiven Dosierung immer Hochdosistherapien vorzuziehen, sagte Prof. Gründer.

Bei einem Nichtansprechen sollte man immer zuerst prüfen, ob eine sogenannte Pseudotherapieresistenz vorliegt. Diese kann z.B. durch psychiatrische und somatische Komorbiditäten hervorgerufen werden, durch den Konsum illegaler Substanzen oder Umweltfaktoren wie starken Stress.

Häufig ist auch eine geringe Adhärenz das Problem. Daher rücken Messungen des Serumspiegels immer stärker in den Fokus. Neben einer unzuverlässigen Medikamenteneinnahme können jedoch auch weitere Faktoren wie Rauchen (bei Olanzapin und Clozapin), metabolische Besonderheiten oder Medikamenteninteraktionen zu geringen Serumkonzentrationen führen. 

Früher ging man davon aus, dass die Wirkung von Antipsychotika verzögert eintritt und man deshalb vor einer Dosisänderung oder Umstellung mindestens sechs Wochen lang zuwarten sollte. Diese Sichtweise ist veraltet, stellte Prof. Dr. ­Stefan ­Leucht vom Klinikum rechts der Isar in München klar. Gemäß der Leitlinie sollte man den Response-Status nach zwei, spätes­tens vier Wochen unter voller Dosierung überprüfen (mit Ausnahme von Clozapin, bei dem weiterhin sechs Wochen empfohlen werden).

Die Wirkung der Medikamente tritt ohne Verzögerung ein und die größte Verbesserung der Symptome ist sogar im Lauf der ersten Woche zu beobachten, betonte Prof. Leucht. Sind die Patienten nach zwei Wochen nicht wenigstens minimal gebessert (-20 % in der BPRS oder PANSS), ist eine spätere Remission extrem unwahrscheinlich. „Nach den ersten vier Wochen tut sich generell nur noch wenig“, stellte der Kollege klar.

Eine Hochdosistherapie über den Zulassungsbereich hinaus ist generell nicht leitliniengerecht. Metastudien belegen die fehlende Effektivität. Das liegt an der hyperbelartigen Wirkungskurve: Ist ein Plateau erreicht, rufen die Präparate keine zusätzliche Wirkung, sondern nur noch stärkere Nebenwirkungen wie extrapyramidale Symptome hervor. Bei Antipsychotika ist das der Fall, wenn 80 % der Dopaminrezeptoren im Striatum blockiert sind. Mit Risperidon etwa erreicht man das im Mittel mit einer Dosierung von 4–6 mg/d. Bei einem noch nicht chronisch kranken Patienten können schon 2 mg/d eine antipsychotische Wirkung erzielen. Im Einzelfall darf man natürlich auch einmal höher gehen als 6 mg/d, so Prof. Leucht. Dann sollte man aber die Effektivität zügig evaluieren.

Zur Rückfallprophylaxe braucht es die Standarddosis

Beide Experten waren sich einig, dass die Dosierungsempfehlungen im Waschzettel der meisten Anti­psychotika zu hoch angesetzt sind. Im Normalfall genügen z.B. maximal 4 mg/d Haloperidol, die therapeutische Wirkung beginnt schon bei 1 mg/d, erklärte Prof. Gründer.

Bei gesicherter Therapieresistenz kann leitliniengerecht ein Behandlungsversuch mit Clozapin erfolgen, das wegen seines Nebenwirkungsprofils schwierigen Fällen vorbehalten bleiben sollte. Wichtig sind in diesem Fall eine entsprechende Aufklärung und Begleituntersuchungen (v.a. Differenzialblutbild). Eine 2023 von Prof. Leuchts Arbeitsgruppe publizierte Metaanalyse ergab, dass ein Wechsel auf Olanzapin bei Therapieresistenz genauso wirksam ist. Da weniger gravierende Nebenwirkungen als bei Clozapin drohen, plädierte der Referent dafür, es zunächst mit diesem Wirkstoff zu versuchen.

Erst wenn auch Clozapin nicht anschlägt, kann gemäß der Leitlinie eine Kombinationstherapie ausprobiert werden, etwa Clozapin plus Amisulprid. Kombinationen sind Prof. Gründer zufolge aber „nur in seltenen Fällen rational“ – und auch nur dann, wenn man möglichst unterschiedliche Wirkstoffe miteinander kombiniert. Erst wenn ein nicht-dopaminerges Antipsychotikum auf den Markt kommt, würde sich das möglicherweise ändern.

Für die Kombination mit Valproat, die derzeit häufig eingesetzt wird, gibt es den beiden Fachleuten zufolge ebenfalls keine ausreichende Evidenz wie für die Augmentation mit Stimmungsstabilisierern. Zeigen die Patienten allerdings ausprägte Negativsymptome, kann die zusätzliche Gabe eines Antidepressivums Metaanalysen zufolge sinvoll sein.
Die Entscheidung für eine Therapieänderung ist stets gemeinsam mit dem Patienten zu treffen. Das „Shared Decision Making“ weckt Studien zufolge positive Erwartungen und stellt für sich genommen bereits einen Faktor für einen größeren Behandlungserfolg dar.

Für die konkrete Gestaltung eines Wirkstoffwechsels gibt es verschiedene Strategien, von denen die meisten ähnlich gute Erfolge zeitigen. Nach Aussage von Prof. Leucht sollte man allerdings darauf verzichten, zuerst das alte Antipsychotikum komplett auszuschleichen und erst dann mit dem Auftitrieren des neuen zu beginnen. Durch dieses Vorgehen entsteht eine Wirkstofflücke, die Rückfälle begünstigt.

Werden in der Rückfallprophylaxe geringere Dosierungen benötigt? „Leider nicht“, sagte Prof. Leucht. Am sichersten fahre man, wenn man mit einer Standarddosis weitermacht. Aber auch das sei individuell, betonte der Experte: Manche Patienten kommen bereits mit sehr niedrigen Dosierungen aus. Und jede Behandlung ist besser als keine Therapie, sofern der Patient leidet.

Der Einsatz nicht-medikamentöser Verfahren ist bei einer Behandlungsresistenz generell ratsam. Leitliniengerecht müssten ohnehin alle Patienten mit einer Schizophrenie eine psychosespezifische kognitive Verhaltenstherapie angeboten bekommen, erinnerte Prof. Leucht. Das gelte umso mehr für therapie­resistente Patienten.

Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) soll vor allem gegen Positivsymptome helfen. Allerdings hat man bislang nur kleine Studien, in denen die Effekte womöglich überschätzt werden. Ähnliches gilt für die Elektrokrampftherapie. Diese kann man therapieresistenten Patienten anbieten, aufgrund der begrenzten verfügbaren Evidenz erhält sie aber in der Leitlinie nur eine B-Empfehlung.

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
** Positive and Negative Syndrome Scale
***  Brief Psychiatric Rating Scale

Quelle: DGPPN-Kongress* 2023

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Häufig liegt die Ursache für fehlendes Ansprechen auf die Therapie bei einer geringen Adhärenz. Häufig liegt die Ursache für fehlendes Ansprechen auf die Therapie bei einer geringen Adhärenz. © Drobot Dean – stock.adobe.com