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Durch den Polyneuropathie-Diagnosedschungel

Eine 47-jährige Patientin berichtet über Dysästhesien am linken Fuß, die sich ein Jahr zuvor manifestierten. Hinzu kamen wenig später Missempfindungen am rechten Fuß und in den Fingerkuppen; nach sechs Monaten folgten Paresen der kleinen Handmuskeln. Die neurologische Untersuchung sprach für eine distal betonte Hypästhesie für Berührung und Vibrationsempfinden. Fingerstreckung und -spreizung sowie Daumenabduktion waren rechtsbetont nur eingeschränkt möglich. Im Routinelabor und Lumbalpunktat fiel nichts Pathologisches auf. Die Elektroneurografie ergab im Nervus tibialis keine Reizantwort, im rechten Nervus medianus eine sehr lange distal motorische Latenz (DML, 8,4 ms) und eine langsame Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) von 31,7 m/s.
Reichen diese Befunde aus, um die Diagnose chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) zu stellen? Gemäß der 2021 aktualisierten CIDP-Leitlinie nicht, sagte Prof. Dr. Claudia Sommer vom Universitätsklinikum Würzburg. Diese bringe zwar kaum Änderungen zur Therapie mit sich, dafür aber überarbeitete Kriterien zur Einteilung und Diagnose der Krankheit. Flowcharts und „Red Flags“, die auf andere mögliche Ursachen der Beschwerden hinweisen, erleichtern zudem die Differenzialdiagnostik.
CIDP-Varianten
Die folgenden Varianten unterscheiden sich von der typischen CIDP partiell. Die Sehnenreflexe können in der nicht betroffenen Gliedmaße normal sein:
- distale CIDP: distaler Gefühlsverlust und Muskelschwäche, vorwiegend in den unteren Gliedmaßen
- multifokale CIDP: Sensibilitätsverlust und multifokale Muskelschwäche, gewöhnlich asymmetrisch, vorwiegend in den oberen Gliedmaßen, mehr als eine Gliedmaße betroffen
- fokale CIDP: Gefühlsverlust und Muskelschwäche in nur einer Gliedmaße
- motorische CIDP: motorische Symptome und Zeichen, keine sensorische Beteiligung
- sensorische CIDP: sensorische Symptome und Anzeichen, keine motorische Beteiligung
Elektrophysiologische Untersuchungen werden zur Sicherung der Diagnose in allen Fällen empfohlen.
Quelle: van den Bergh P.Y.K. et al. Eur J Neurol. 2021;28:3556–3583; DOI: 10.1111/ene.14959
Mit der pathologischen DML und NLG fanden sich bei der 47-Jährigen zwar zwei elektrophysiologische CIDP-Kriterien, allerdings nur in einem Nerven. Das ermöglicht noch nicht die Diagnose einer CIDP, betonte Prof. Sommer. Dafür müsse dasselbe Kriterium in zwei unterschiedlichen motorischen Nerven beobachtet werden. Auch ein „Zusammensuchen“ auffälliger Werte über verschiedene Nerven hinweg sei nicht erlaubt. Darunter leide die Spezifität der Diagnose.
Die Leitlinienexperten empfehlen bei einer Befundlage wie im genannten Fall, nach einer monoklonalen IgM-Gammopathie bzw. einer Anti-MAG-Neuropathie zu suchen. Und tatsächlich bestätigte sich bei der Patientin diese Diagnose. In solchen Fällen ist ein Therapieversuch mit der Standard-CIDP-Therapie möglich, sagte Prof. Sommer. Alternativ kommen Rituximab oder eine Kombinationschemotherapie infrage.
Klinische Diagnosekriterien der CIDP
Typische CIDP
Alle der folgenden Merkmale müssen vorliegen:
- progrediente oder schubförmige, symmetrische, sowohl proximale als auch distale Muskelschwäche der oberen und unteren Extremitäten; sensorische Beteiligung an mindestens zwei Gliedmaßen
- fortschreitend über mindestens acht Wochen
- abgeschwächte oder fehlende Sehnenreflexe in allen Gliedmaßen
Die klinischen Kriterien für die CIDP setzen bereits recht hohe diagnostische Hürden. Schwierig wird es, wenn statt einer typischen CIDP eine Variante vorliegt. Bei der fokalen CIDP können die Ausfälle nur in einer Gliedmaße auftreten. Prof. Sommer: „Dann muss man sich aufgrund weiterer Kriterien sehr sicher sein, dass es sich um keine andere Mononeuropathie handelt.“
Kongressbericht: Neurowoche 2022
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