
Ein Fleischwolf hinterm Auge

Einen deutlichen Hinweis auf Cluster-Kopfschmerz geben die blockweise, in sogenannten Clustern auftretenden einseitigen Schmerzattacken. Oft verortet sie der Patient im oder hinter dem Auge, „als ob dort ein Fleischwolf zugange ist“. Hinzu kommen autonome Symptome wie ipsilateraler Tränenfluss und Bradykardie.
Mit Selbstverletzungen durch die Schmerzepisoden
Typisches Merkmal ist die Ruhelosigkeit während der Schmerzepisoden, schreiben Dr. Emmanuelle Schindler von der Yale University in New Haven und Dr. Mark Burish von der University of Texas in Houston: Die Patienten laufen auf und ab, versuchen sich an Liegestützen oder ähnlichen Übungen. Mitunter beginnen sie, sich selbst zu verletzen, etwa indem sie ihren Kopf auf einen Tisch schlagen, sich mit einem Messer schneiden oder gegen Wände boxen.
Bei vier von fünf Betroffenen treten die Kopfschmerzanfälle episodisch auf, oft zur immer gleichen Tageszeit, bevorzugt in den frühen Morgenstunden. Das geht über einige Wochen oder Monate so, gehäuft im Frühling und Herbst. Dann bleiben die Attacken für längere Zeit aus – mindestens für drei Monate. Jeder Fünfte mit Cluster-Kopfschmerz leidet unter der chronischen Form und muss die Schmerzen nahezu täglich und ohne längere Ruhephasen ertragen.
In vielen Fällen kündigen sich die Anfälle wenige Minuten zuvor mit ipsilateralen Vorzeichen wie tränenden Augen oder einer verstopften Nase an, was von den Betroffen bildhaft als Schatten bezeichnet wird. Aber auch allgemeine Konzentrationsstörungen und Stimmungsschwankungen etwa ein Stunde vor der Attacke sind mögliche Vorboten.
Migräneartige Phänomene können den wahren Befund verschleiern. Denn auch beim Cluster-Kopfschmerz sind viele der Betroffenen überempfindlich gegen Licht und Lärm, oder sie klagen über Übelkeit und Erbrechen. Am besten unterscheidet man die beiden Kopfschmerzformen anhand ihrer Dauer, meinen Dr. Schindler und Dr. Burish: Beim Cluster-Kopfschmerz sind die Episoden nach spätestens drei Stunden vorbei, bei Migräne halten sie mindestens vier Stunden an. Auch ist es für Migränepatienten ganz und gar untypisch, während der Attacken rast- und ruhelos hin und her zu laufen.
Medikamentöse Behandlung und Prophylaxe bei Cluster-Kopfschmerz | |||
---|---|---|---|
| Erste Wahl | Alternativen | Anmerkungen |
Akutbehandlung | Sumatriptan subkutan
Sauerstoff mit hoher Flussrate (über 10 l/min) | nicht-invasive Vagusnervstimulation (nVNS) | Vasokonstriktion durch Sumatriptan, daher keine tägliche Gabe über Wochen oder Monate
technische und logistische Herausforderungen bei der O2-Versorgung
in der Schwangerschaft: O2 unproblematisch, Sumatriptan vermeiden |
Kurzzeit-Prophylaxe („Bridging“) | Kortikosteroide systemisch oder als okzipitaler/subokzipitaler Block
(Art und Weise der Blockade, Wahl der Substanz und Dosierung nicht abschließend geklärt) | Dihydroergotamin parenteral als Pulstherapie über drei Tage bis drei Wochen |
|
Langzeit-Prophylaxe | Verapamil, optimalerweise mit sofortiger Freisetzung (Retardpräparate weniger wirksam) | Lithium, intranasales Civamid, Topiramat, Baclofen, Warfarin (alle in dieser Indikation entweder schlecht untersucht, mit eingeschränkter Wirksamkeit oder mit ungünstigem Nebenwirkungsprofil) | unter Verapamil im EKG Verkürzung des PR-Intervalls, daher Monitoring erforderlich
Obstipation möglich |
Als Differenzialdiagnose zum idiopathischen Cluster-Kopfschmerz kommen weitere trigemino-autonome Cephalgien infrage, etwa eine paroxysmale oder auch eine anhaltende Hemikranie. Im Gegensatz zum Cluster-Kopfschmerz verschwinden die Hemikraniebeschwerden unter der Behandlung mit Indometacin jedoch. Als weitere wichtige Differenzialdiagnosen nennen die beiden Experten das SUNCT*- und das SUNA**-Syndrom. Sekundär können Cluster-Kopfschmerzen bei Meningeomen, Hypophysenadenomen und arteriovenösen zerebralen Malformationen auftreten.
Diagnostisch raten Dr. Schindler und Dr. Burish zum Schädel-MRT, gegebenenfalls gefolgt von einer MR-Angiographie. Da der Cluster-Kopfschmerz gehäuft mit Schlafapnoe einhergeht, kann auch die Polysomnographie wichtige Hinweise liefern. Umfassen die autonomen Symptome eine Ptosis und Miosis, ist zudem ein Thorax-Röntgen sinnvoll, denn diese beiden Komponenten des Horner-Syndroms können auf einen Pancoast-Tumor der Lunge hinweisen.
Anfällen medikamentös vorbeugen
Zur Anfallsprophylaxe und zur Akutbehandlung stehen einige Verfahren und eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung (s. Tabelle). Galcanezumab, ein monoklonaler Antikörper gegen CGRP***, ist die neueste Option für die Prophylaxe beim Cluster-Kopfschmerz. Die Substanz ist beim episodischen Subtyp gut wirksam, hilft vereinzelt aber auch beim Dauerschmerz.
Die beiden Experten empfehlen daher, bei Bedarf zumindest einen Behandlungsversuch zu wagen. Sie weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, das die Dosis zur Prophylaxe des Cluster-Kopfschmerzes 300 mg beträgt, während es bei Migräne lediglich 120 mg sind.
Helfen alle Pillen und Spritzen nicht gegen die Schmerzanfälle, können Alternativen erwogen werden:
- Implantate wie der okzipitale Nervenstimulator,
- Elektrostimulation des Ganglion pterygopalatinum (derzeit nicht verfügbar),
- tiefe Hirnstimulation des Hypothalamus.
Derzeit werden unter anderem verschiedene Halluzinogene wie Lysergid (LSD) und Psilocybin erprobt, ebenso hoch dosiertes Vitamin D sowie weitere CGRP-Antikörper.
*short lasting unilateral neuralgiform headache attacks with conjunctival injection, tearing, sweating and rhinorrhea
**short lasting unilateral neuralgiform headache attacks with cranial autonomic symptoms
***calcitonin gene-related peptide
Quelle: Schindler EAD, Burish MJ. BMJ 2022; 376: e059577; DOI: 10.1136/bmj-2020-059577
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).