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Enuresis und Harninkontinenz: Auf welche Therapiestrategie setzen Sie?
Die Enuresis entspricht einer normalen, vollständigen Blasenentleerung am falschen Platz – in der Regel im Bett – und zur falschen Zeit, nämlich überwiegend nachts. Per definitionem tritt sie unabhängig von Begleitsymptomen tagsüber auf.
Zuerst mögliche organische Ursachen der Enuresis ausschließen
Bevor Sie die Diagnose bei Kindern ab fünf Jahren stellen, müssen organische Ursachen ausgeschlossen sein. Zudem sollte die Störung seit mindestens drei Monaten andauern und mindestens zweimal im Monat auftreten, erklärten die beiden Diplompsychologinnen Dr. Monika Equit und Justine Niemczyk von der Spezialambulanz für Ausscheidungsstörungen an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Homburg/Saar.
Bei Kindern mit monosymptomatischer Enuresis nocturna ist die Blasenfunktion normal, sie schlafen sehr tief, sind nur schwer erweckbar. Nach dem Einnässen „schwimmt“ das Bett geradezu. Bei der nicht monosymptomatischen Enuresis liegen zusätzlich Miktionsauffälligkeiten – Drangsymptome, Miktionsaufschub, Haltemanöver, Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination – vor. Hier kommt es gelegentlich auch zum Harnabgang am Tag.
Genetisch bedingte Reifungsverzögerung im Hirnstamm lässt Kinder einnässen
Jungen sind etwa 1,5- bis 2-fach häufiger von einer Enuresis betroffen als Mädchen. Spontanremissionsraten von etwa 15 % pro Jahr führen dazu, dass die Prävalenz kontinuierlich abnimmt und bei Jugendlichen nur noch 1-2 % beträgt.
Als Ursache gelten genetisch bedingte Reifungsverzögerungen im Hirnstamm, die mit einer Verschiebung des ADH-Tag-Nacht-Rhythmus einhergehen, was zur vermehrten nächtlichen Urinproduktion führt. Außerdem ist der Blasenentleerungsreflex unterdrückt und die Kinder schlafen besonders tief.
Vor allem bei sekundärer Enuresis kann das Leiden durch psychische Faktoren wie z.B. Umzug, Trennung der Eltern oder Schuleintritt ausgelöst oder verstärkt werden. Außerdem finden sich bei nachts einnässenden Kindern überdurchschnittlich häufig psychiatrische Komorbiditäten wie z.B. hyperkinetische Syndrome.
Einen Kalender führen lasssen hilft gegen die Enuresis
Therapeutisch völlig unwirksam sind Maßnahmen wie Flüssigkeitsbeschränkung, Johanniskrautöl, nächtliches Wecken oder Abhalten der schlafenden Kinder. Auch Strafen oder Belohnen für trockene Nächte sind kontraproduktiv, betonten die beiden Expertinnen.
Viel besser ist es, die Kinder einen Kalender führen zu lassen, in den sie täglich Symbole, z.B. Sonnen für trockene Nächte, eintragen. 15-20 % der Kids mit primärer monosymptomatischer Enuresis werden allein dadurch schon trocken.
14 trockene Nächte in Folge gelten bereits als Erfolg
Bringt der Kalender keinen Erfolg, kommt die apparative Verhaltenstherapie, sprich die Klingeltherapie zum Einsatz. Ob Matten, Funkgeräte oder piepsende Mäuse – mit jeder Variante werden bei richtiger Durchführung 60–80 % der Kinder von ihren Symptomen erlöst. Tief schlafende Kinder sollten geweckt werden, wenn sie den Klingelton überhören. Allerdings kann sich das durchaus schwierig gestalten. „Hier ist viel Motivation vonseiten der Eltern gefragt“, betonte Justine Niemczyk.
Nach dem Klingeln bzw. Wecken heißt es: zur Toilette gehen, umziehen, Klingelgerät trocknen und wieder anlegen. Als Erfolg gelten 14 trockene Nächte in Folge, die sich meistens nach sechs bis zehn Wochen Therapie einstellen. Zeigt sich nach vier Monaten keine Besserung, sollte man eine „Klingelpause“ einlegen.
Mit einem Rezidiv muss bei jedem fünften bis siebten Kind gerechnet werden
Zwei Drittel der betroffenen Kinder schlafen nach gelungener Behandlung durch, ein Drittel wird durch den Harndrang wach und kann zur Toilette gehen. In etwa 15-20 % der Fälle treten Rezidive auf, definiert durch mindestens zweimaliges Einnässen pro Woche. Dann sollte die Klingeltherapie sofort wieder beginnen.
Bei der nichtmonosymptomatischen Enuresis werden zunächst die Miktionsauffälligkeiten tagsüber behandelt. Gegen den Miktionsaufschub helfen „Schickpläne“ – sieben Mal pro Tag sollten die Kinder zu festen Uhrzeiten zur Toilette gehen und damit auch die Wahrnehmung für die Blasenfüllung schulen. Und natürlich wird der Sonnen-Kalender weitergeführt.
Gegen die Drangstörung hilft ein Fähnchenplan
Geht die Enuresis mit einer Drangstörung einher, lässt sich diese mit einem Fähnchenplan (Eintragen der nächtlichen Toilettengänge als Fähnchen) behandeln. Zusätzlich kann die Drangsymptomatik medikamentös mit Oxybutinin (anticholinerge Wirkung) gelindert werden. Gegen die Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination wird Biofeedback eingesetzt.
Vor Urlauben oder Klassenfahrten kann man den Kindern Desmopressin verschreiben. Dieses ADH-Analogon reduziert die nächtliche Harnbildung bei 70 % der Betroffenen. Manchmal wird der vorübergehende Einsatz dieses Medikamentes auch bei sehr demotivierten Kindern erforderlich. Nach dem Absetzen ist aber jederzeit mit Rückfällen zu rechnen, außerdem besteht unter der Einnahme die Gefahr einer Wasserintoxikation.
Spezielle Schulung reduziert die Symptome
Bei komplexen funktionellen Einnässproblemen, auffälligem Verhalten, mangelnder Motivation oder Therapieresistenz besteht die Möglichkeit einer „Blasenschulung“, in der die Bereiche Medizin, Wahrnehmung, Verhalten und Psycho-Emotionales bearbeitet werden. Wie Dr. Equit erklärte, zeigte eine Studie an 31 Kindern zwischen sechs und 14 Jahren, dass diese „Urotherapie“ die Problematik deutlich reduzieren kann.
Enuresis und/oder Harninkontinenz? |
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Votrag auf dem 38. Herbst-Seminar-Kongress des BVKJ in Bad Orb 2010
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