Dringend den Harn abdrehen - Wie Anticholinergika, Giftspritzen und Strom die überaktive Blase bändigen

Dr. Dorothea Ranft

Kein feuchtes Erwachen: Bei Trägern von Blasenschrittmacher sollte jährlich geprüft werden, wie voll die Batterie noch ist. Kein feuchtes Erwachen: Bei Trägern von Blasenschrittmacher sollte jährlich geprüft werden, wie voll die Batterie noch ist. © fotolia/beeboys; Medtronic GmbH

Bei Patienten mit überaktiver Blase ist Fingerspitzengefühl gefragt. So können eine Reihe von Medikamenten die Beschwerden triggern. Man muss aber bedenken, dass die Therapie der Erkrankung der Kognition schaden kann.

Die überaktive Blase (overactive bladder, OAB) ist eine typische Erkrankung des alten Patienten mit entsprechender Komorbidität und Polypharmazie. In einer österreichischen Studie nahmen rund 40 % der Betroffenen mehr als fünf Wirkstoffe täglich, gut die Hälfte mindestens eine Substanz, die die Inkontinenz verstärkte. Deshalb ist die Medikamentenanamnese fester Bestandteil der Diagnostik, so Professor Dr. Daniela Schultz-Lampel, Schwarzwald-Baar-Klinikum, Villingen-Schwenningen.

Schwaches Gedächtnis oder lieber doch schwache Blase?

Zu den Substanzen, die einen unwillkürlichen Urinverlust begünstigen können, zählen bestimmte Antihypertensiva wie Alphablocker oder ACE-Hemmer (Hustenreiz), Psychopharmaka wie Benzodiazepine (muskuläre Relaxation), SSRI und Neuroleptika. Umgekehrt muss man unter trizyklischen Antidepressiva, Antihistaminika und Bronchodilatatoren (Antimuskarinika) mit einer verstärkten Harnretention rechnen. Auch Augen- und Nasentropfen (mit Atropin- bzw. Xylometazolin) steigern eventuell die Restharnbildung. Mittel der 1. Wahl zur Behandlung von Patienten mit überaktiver Blase sind nach wie vor die Anticholinergika. Sie bewirken in der Regel eine moderate Symptomreduktion, selten eine Heilung – wobei der Effekt der einzelnen Substanzen auf vergleichbarem Niveau liegt.

Wegen ihrer kognitiven Nebenwirkungen sollten sie bei Senioren mit eingeschränkter Hirnleistung allerdings mit Vorsicht eingesetzt werden. In einer Studie mit über 3000 älteren Teilnehmern zeigten mit Anticholinergika behandelte Patienten ein um 54 % höheres Demenzrisiko. Insbesondere das stark ZNS-gängige Oxybutynin ist bei Patienten mit erhöhtem kognitivem Risiko zu vermeiden, so Prof. Schultz-Lampel, als Alternative kommt z.B. Trospiumchlorid infrage.

Außerdem muss man die Patienten über die Notwendigkeit einer Dauertherapie und die regelmäßige Einnahme von Anticholinergika aufklären. Viele glauben, eine kurzfristige Anwendung bis zum Verschwinden der Symptome ähnlich wie bei einem Antibiotikum genüge. Ohne entsprechende Instruktion nimmt nach einem Jahr nur noch ein Drittel das Anticholinergikum ein und nach dem Absetzen erleiden mehr als 50 % einen Rückfall – besonders Frauen und Patienten mit manifester Harninkontinenz.

Bei therapierefraktärer OAB hat sich die Injektion von Botulinumtoxin A als effektive und sichere Therapieoption erwiesen. Sie lässt sich auch bei alten und zerebral eingeschränkten Patienten einsetzen, ebenso nach Operationen am unteren Harntrakt.

Allerdings blieben in einer Studie nur 30 % der Frauen mit OAB länger als fünf Jahre bei Botulinumtoxin. Von den Männern waren es in einer anderen Arbeit 25 % nach sechs Jahren, bei neurogener Grundkrankheit 36 %. Der Behandlungserfolg hält im Mittel sieben bis acht Monate an, auch wiederholte Injektionen verursachen keine Fibrose der Blasenwand.

Botoxpatienten müssen oft selbst einen Katheter legen

Häufigste Ursache für einen Therapieabbruch: die Harnretention, die eine intermittierende Selbstkatheterisierung erfordert. Sie trifft vor allem ältere Frauen und solche mit vielen vaginalen Entbindungen. Die Restharnkontrolle sollte etwa 10–14 Tage nach der Injektion erfolgen. Die Entscheidung für den Katheterismus richtet sich nach den Beschwerden, nicht nach dem Urinvolumen.

Bei Patienten mit anhaltend therapieresistenter OAB kommt zunehmend die sakrale Neuromodulation zum Einsatz, sie kann auch nach Inkontinenzoperationen oder frus­traner Botulinumtoxin-Therapie sinnvoll sein. Ebenso wie die sakrale Neuromodulation bessert die perkutane tibiale Nervenstimulation Inkontinenz und Blasenentleerung bei Patienten mit multipler Sklerose. Parkinsonpatienten scheinen ebenfalls auf die Tibialisstimulation gut anzusprechen.

Risikofaktoren im Überblick

  • Ein wichtiger OAB-Risikofaktor scheint das Schnarchen zu sein. Eine CPAP-Beatmung bessert die Blasensymptome bei 80 % der Männer mit koinzidenter Schlafapnoe, mit der Uvulopalatopharyngoplastik gelingt dies in 73 %.
  • Beim Kaffee ist Zurückhaltung angesagt – mehr als drei Tassen täglich steigern das Risiko für OAB- Symptome.
  • Bei Mammakarzinom-Patientinnen erhöht eine antihormonelle Therapie das OAB-Risiko um das 14-Fache. Betroffene Frauen klagen oft über verstärkten Harndrang und Wasserlassen. Eine lokale Östrogenisierung hilft – erfordert aber Rücksprache mit dem Gynäkologen.
  • Wenn OAB-Beschwerden oder Symptome des unteren Harntraktes nach einer Beckenoperation auftreten, sollte man einen Fremdkörper in der Blase ausschließen.

Quelle: UroAktuell 2017

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