Interstitielle Zystitis: Nicht nur eine überaktive Blase

Dr. Anja Braunwarth

Die Patienten müssen teils bis zu 40 mal in 24 Stunden auf Toilette. Das beeinflusst auch das alltägliche Leben negativ. Die Patienten müssen teils bis zu 40 mal in 24 Stunden auf Toilette. Das beeinflusst auch das alltägliche Leben negativ. © fotolia/pairhandmade

Keine echten Diagnose­kriterien, unbefriedigende therapeutische Optionen, aber extrem hoher Leidensdruck: Die interstitielle Zystitis macht Patienten und Ärzten das Leben schwer. Damit Sie die chronische Erkrankung nicht mit einer überaktiven Blase oder Prostatitis verwechseln, hat ein Urologenteam Tipps zur Diagnostik parat.

Die interstitielle Zystitis, auch als Blasenschmerzsyndrom bezeichnet, gehört zur Gruppe der chronischen Beckenschmerzsyndrome. Ein mindestens sechs Monate anhaltender urogenitaler Schmerz plus wenigstens ein Problem mit der Harnblase (Algurie/Pollakis­urie) kennzeichnet laut Definition die langsam progrediente Entzündung. Die Blasenbeschwerden korrelieren dabei in der Regel mit dem Füllungszustand, schreiben Dr. Andreas Gonsior von der Urologischen Universitätsklinik Leipzig und Kollegen. Die meisten Patienten geben eine Pollakisurie mit 10–20 Miktionen/Tag an, manche müssen aber auch 40 Mal in 24 Stunden zur Toilette.

Die Pathogenese ist bis heute nicht genau geklärt. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Chronifizierung spielt in jedem Fall die gestörte Barrierefunktion der mit Glykosaminoglykanen (GAG) bedeckten Mukosa. Durch die epitheliale Dysfunktion gelangen Ionen, vorwiegend Kaliumionen, aus dem Urin in die Blasenwand. Das aktiviert Detrusorzellen und begüns­tigt eine neurale Hyperaktivität. Es scheint eine autoimmune genetische Prädisposition zu geben und schwere rezidivierende bakterielle Zystitiden triggern die Erkrankung.

Was im Alltag hilft

Durch die fehlende Barriere in der Schleimhaut kommen Stoffwechselprodukte im Urin länger in Kontakt mit der Blasenwand und können sie reizen. Es hilft daher, den Genuss von scharfen (capsaicinhaltigen) und kaliumreichen Speisen sowie von Röst- und Tabakprodukten einzuschränken. Auch künstliche Süßstoffe können die Wand in Aufruhr bringen. Eine kontrollierte, höhere Flüssigkeitsaufnahme mit nicht zu kleinen Portionen sowie Blasentraining (leichten Harndrang herauszögern) helfen, die Symptome zu lindern. Ergänzend bessert Akupunktur durch ihre generell positiven Einflüsse auf das Schmerzempfinden die Situation.

Da keine objektiven Marker für die interstitielle Zystitis existieren, schwanken die Angaben zur Prävalenz zwischen 0,1 und 5 ‰. Frauen trifft es insgesamt etwa 5- bis 8-mal häufiger, aber vermutlich erhalten viele betroffene Männer fälschlicherweise das Etikett einer chronischen Prostatitis, so die Autoren. Die Entzündung wirkt sich erheblich auf die Lebensqualität aus: 90 % der Betroffenen geben Probleme in der Freizeit an, 80 % haben Schwierigkeiten im Alltag, 77 % empfinden einen psychischen Leidensdruck, 63 % klagen über sexuelle Einschränkungen. Die Diagnostik gliedert sich in drei Schritte:
  • Patientenselektion
  • Ausschluss von Differenzialdiagnosen
  • histologischer Nachweis und Klassifikation
Die Erfassung von Miktionshäufigkeit und -volumina, Nykturie, Alg­urie und Dysurie steht an erster Stelle. Bei weniger als acht Entleerungen pro Tag, nächtlichem Durchschlafen, Besserung der Beschwerden unter antiinfektiver Therapie und längeren symptomfreien Intervallen lässt sich eine interstitielle Zystitis schon quasi ausschließen. Standardisierte Fragebögen wie der Interstitial Cystitis Symptom Index können die Anamnese unterstützen. Oft wird auch der Kaliuminstillationstest nach Parsons eingesetzt, doch seine Aussagekraft variiert Studien zufolge erheblich. Körperliche Untersuchung, Urinanalyse und -kultur, PSA-Bestimmung bei Männern über 40 Jahren, Uroflowmetrie, Restharnmessung, Zystoskopie und Blasenwandbiopsie runden das diagnostische Spektrum ab. Je nach pathologischen Befunden unterscheidet man bei der interstitiellen Zystitis den Hunner-Typ mit tiefen Ulzera der Mukosa und Submukosa unter Blasendehnung (10 % der Fälle) vom nicht-ulzerativen Typ. An Differenzialdiagnosen kommen u.a. Infektionen (Chlamydien, HPV etc.), anatomische Veränderungen (Blasendivertikel etc.) sowie maligne Krankheitsbilder infrage.

Anticholinergika haben in der Therapie wenig Bedeutung

Therapeutisch empfehlen die Autoren ein multimodales Vorgehen, das Verhaltenstherapie (s. Kasten), medikamentöse Schmerztherapie und Instillationen umfasst. Zur Instillation stehen verschiedene GAG-reparierende und antiinflammatorische Substanzen zur Verfügung. Oft werden mehrere Wirkstoffe gleichzeitg eingebracht und mit einer gezielten Dehnung der Blase mit isotonischer Kochsalzlösung kombiniert. Bei Instillationen handelt es sich zunächst um Selbstzahlerleistungen, bei gutem Ansprechen übernehmen aber einige Kassen die Kosten.

Die geeignete Infektionsprophylaxe

Da die Patienten anfälliger für Blasenentzündungen sind, empfiehlt sich eine Infektionsprophylaxe mit hochdosiertem Vitamin C, Preiselbeersaft, Goldrutenextrakt, Angocin (Kapuzinerkresse mit Meerrettichwurzel) und/oder D-Mannosepulver.

Die Schmerztherapie folgt dem WHO-Stufenschema, ergänzt durch Antidepressiva. Anticholinergika haben keine allzu große Bedeutung, es sei denn, die Drangsymptomatik dominiert. Eine gute Linderung gelingt mit Cyclosporin A, vor allem zusammen mit Pentosan. Doch das Immunsuppresivum sollte erst nach allen anderen Maßnahmen Verwendung finden, außerdem ist der Einsatz off label. Fast alle Patienten profitieren von einer hyperbaren Oxygenierung, die aber wegen mangelnder Verfügbarkeit und hohen Kosten nur selten infrage kommt. Nicht-ulzerative Formen der Entzündung sprechen oft auf Botulinumtoxin A an. Die Injektionen in den Detrusor hemmen reaktive Kontraktionen und Entzündung, darüber hinaus lindern sie die Schmerzen. Wenn alle Interventionen nichts ausrichten, bleibt als Ultima Ratio nur noch die Blasenentfernung. Langfristig zeigt sie die besten Ergebnisse in puncto Analgesie, reduziertem Harndrang und Lebensqualität. 

Quelle: Gonsior A et al. Der Urologe 2017; 6: 811-827

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