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Schmerzhafte Dackelblase

Die 70-jährige Patientin stellte sich wegen eines schmerzhaften Drucks auf der Blase mit Harndrang und Pollakisurie in der Klinik vor. Die bereits seit 15 Jahren bestehenden Harnwegsbeschwerden hatten in den vergangenen zwölf Monaten deutlich zugenommen. Die Frau hatte ständig das Gefühl einer Zystitis mit Dauerschmerzen in der Harnröhre. Die Miktion verschaffte ihr nur kurzzeitig Erleichterung, ambulante Therapieversuche mit Antibiotika blieben wirkungslos. Die Patientin war zwar kontinent und restharnfrei, musste aber jede Stunde zur Toilette gehen, auch nachts. Das ausgeschiedene Volumen lag laut Miktionsprotokoll bei 40–100 ml. Urin-Stix, Kultur und Sonographie waren unauffällig, die Symptomatik sprach für eine interstitielle Zystitis (IC).
Diese nicht-infektiöse Erkrankung der Harnblase verläuft chronisch progredient. Sie kann in allen Altersstufen auftreten und betrifft Frauen neunmal häufiger als Männer, schreiben Julia Tolle von der Urologie des Städtischen Klinikums Lüneburg und Kollegen. Als Leitsymptome gelten Schmerzen, Pollakisurie und Nykturie. Wichtige Hinweise liefert oft schon die detaillierte Anamnese, aufgrund der unspezifischen Beschwerden müssen jedoch zahlreiche Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden – vom chronischen Harnwegsinfekt bis zum Malignom.
Bei der vorgestellten Patientin erfolgte zur genaueren Abklärung und Therapie eine Urethrozystoskopie mit Hydrotension. Dabei wird die Harnblase in Allgemeinanästhesie bis zur maximalen Füllung mit physiologischer Kochsalzlösung gedehnt – unter endoskopischer Beobachtung und mit einem Druck von 60–80 cmH2O. Die Patientin erreichte nur ein Volumen von 300 ml. In etwa der Hälfte der Fälle bessern sich die Symptome bereits durch die Dehnung, die Wirkung hält etwa drei Monate an.
Charakteristische Läsionen in der Harnblasenwand
Bei der Inspektion der Harnblasenwand zeigten sich charakteristische Läsionen für eine interstitielle Zystitis vom Hunner-Typ, die sich mit einer oberflächlichen Koagulation (Fulguration) entfernen ließen. Außerdem wurden Blutungen aus ebenfalls vorliegenden Glomerulationen gestillt.
Zusätzlich behandeln die Autoren ihre IC-Patienten, die wie diese Frau an Drangbeschwerden leiden, intravesikal mit Botulinumtoxin A. Voraussetzung ist, dass keine Kontraindikationen (z.B. Restharn) vorliegen. Diese Therapie kann neben der Urge-Symptomatik auch die Schmerzen reduzieren und die Blasenkapazität steigern. Sie wirkt besonders gut in Kombination mit einer Hydrodistension. Der Effekt hält etwa fünf Monate an.
Einer der wichtigsten pathogenetischen Faktoren der interstitiellen Zystitis ist die Zerstörung der schützenden Glykosaminoglykan(GAG)-Schicht des Urothels. Dadurch können reizende Substanzen bis in tiefere Schichten der Blasenwand vordringen – mit der Folge von Harndrang und Schmerz. Die Patientin erhielt zur besseren Regeneration der GAG-Schicht intravesikale Instillationen von Chondroitinsulfat. Diese Therapie hat in Studien zu einer signifikanten Linderung der Symptome geführt, eine ähnliche Wirkung erzielen Heparin und Hyaluronsäure.
Im Anschluss an Hydrodistension und Botulinumtoxin-Injektion führten die Autoren bei der 70-Jährigen eine intravesikale EMDA-Therapie (Elektromotive Drug Administration) durch, die auf dem Prinzip von Ionto- und Elektrophorese basiert. Dadurch können die applizierten Wirkstoffe in tiefere Schichten der Blasenwand gelangen. In diesem Fall wurden Lidocain/Adrenalin, Amikacin und Hyaluronsäure appliziert. Die Patientin berichtete bereits nach der ersten von drei Sitzungen im Abstand von 14 Tagen von einer deutlichen Besserung der Beschwerden.
Parallel zur intravesikalen Behandlung erhielt die ältere Dame eine orale Schmerztherapie mit Pregabalin und Amitriptylin, worauf sie ebenfalls gut ansprach. Alternativ wäre Mirtazapin in Betracht gekommen. Es löst keine anticholinergen Effekte aus und birgt ein geringeres Interaktionspotenzial.
Aufgrund der Läsionen in der Harnblasenwand war bei dieser Patientin auch die Gabe von Pentosanpolysulfat indiziert, ein oral appliziertes Heparinoid, das die Regeneration der mukosalen Schutzschicht fördert. Außerdem empfehlen die Verfasser, die bei der interstitiellen Zystitis oft verstärkte Mastzellaktivierung zu bekämpfen. Bei der Patientin wurde unter anderem eine Überexpression von H1- und H2-Rezeptoren gezeigt. Sie erhielt deswegen eine Kombination von Cimetidin, Desloratadin und Montelukast.
Histamine und andere Trigger vermeiden
Zur supportiven Behandlung propagieren die Autoren eine Teemischung mit Goldrute, Schachtelhalm und Brennnessel sowie eine histaminarme Kost. Triggerfaktoren für Beschwerden sollten gemieden werden, häufig sind dies zum Beispiel Nahrungsmittel wie Zitrusfrüchte.
Die vorgestellte Patientin erreichte bereits durch Hydrodistension und Botulinumtoxin eine fast vollständige Schmerzfreiheit. Bei der Kontrolle nach drei Jahren war sie unter Pentosanpolysulfat, Desloratadin und Montelukast beschwerdefrei. Die Miktionsvolumina tagsüber hatten sich erhöht und die Nykturie hatte abgenommen.
Quelle: Tolle J et al. Urologe 2022; 61: 250-259;
DOI: 10.1007/s00120-021-01753-9
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