Harnwegsinfektion
Unkomplizierte Harnwegsinfektionen sind sehr häufig Anlass für einen Arztbesuch. Eine Harnwegsinfektion wird dann als unkompliziert eingestuft, wenn im Harntrakt keine relevanten funktionellen oder anatomischen Anomalien, keine relevanten Nierenfunktionsstörungen und keine relevanten Vor- bzw. Begleiterkrankungen vorliegen, die eine Harnwegsinfektion bzw. gravierende Komplikationen begünstigen.
Von einer unteren Harnwegsinfektion (Zystitis) spricht man, wenn die Symptome nur auf den unteren Harntrakt begrenzt sind, z.B. Schmerzen beim Wasserlassen (Algurie), imperativer Harndrang, Pollasikurie, Schmerzen oberhalb der Symphyse.
Eine obere Harnwegsinfektion (Pyelonephritis als akute eitrige Entzünung der Niere) wird dann angenommen, wenn sich bei den Symptomen z.B. auch ein Flankenschmerz, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und/oder Fieber (>38 °C) finden.
Der mit Abstand häufigste Erreger von Harnwegsinfektionen ist Escherichia coli. Abgegrenzt werden muss eine asymptomatische Bakteriurie, bei der nur eine Kolonisation, aber keine Infektion vorliegt.
Unkomplizierte Harnwegsinfektionen können isoliert bzw. sporadisch oder rezidivierend auftreten. Eine rezidivierende Harnwegsinfektion liegt vor, wenn eine Rezidivrate von ≥2 symptomatischen Episoden innerhalb von sechs Monaten oder ≥3 symptomatische Episoden innerhalb eines Jahres vorliegen.
Es werden verschiedene Patientengruppen unterschieden:
Nicht schwangere Frauen in der Prämenopause
- Häufigkeit von Harnwegsinfekten höher als bei Männern in dieser Altersgruppe
- Risikofaktoren scheinen bei jungen Frauen zeitnaher Geschlechtsverkehr, Gebrauch von Diaphragmen und Spermiziden, Harnwegsinfektionen in der Anamnese, jugendliches Alter bei der ersten Harnwegsinfektion und Harnwegsinfektionen in der Familienanamnese zu sein
- asymptomatische Bakteriurie ohne Krankheitswert sehr häufig bei Routineuntersuchungen – etwa 3 % aller Frauen haben rezidivierende Harnwegsinfekte
Schwangere ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen
- Harnwegsinfektionen und asymptomatische Bakteriurien treten in der Schwangerschaft gehäuft auf
- begünstigt durch anatomische und physiologische Veränderungen der Nieren und des Harntraktes
- Rate von Pyelonephritiden durch Erregeraszension ist aufgrund erweiterter Harnleiter deutlich erhöht
- Risikofaktoren sind Harnwegsinfektionen in der Anamnese, niedriger Sozial- und Ausbildungsstatus, Chlamydien-Infektion in der Anamnese, Sichelzellanämie, Adipositas
- mögliche Assoziation von Harnweginfektionen/asymptomatischer Bakteriurie mit Präeklampsie
Frauen in der Postmenopause ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen
- bedingt durch den Östrogenmangel vermehrte Besiedelung der Scheide mit Enterobacteriaceae und Anaerobiern (dadurch erhöhtes Risiko für Harnwegsinfektionen)
- asymptomatische Bakteriurie bei über 70-jährigen Frauen zwischen 16 % bis 50 %
Jüngere Männer ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen
- unkomplizierte Harnwegsinfekte selten (meist kompliziert durch Beteiligung der Prostata)
- Risikofaktoren sind Geschlechtsverkehr mit einer infizierten Partnerin, Analverkehr und Vorhautveränderungen
- sollten immer sorgsam abgeklärt werden
- Pyelonephritis in den meisten Fällen zusammen mit Prostatitis (PSA-Anstieg)
Harnwegsinfektionen bei Patienten mit Diabetes
- Risiko, bei Diabetes mellitus an einer Harnwegsinfektion zu erkranken, ist bei Frauen fast 25-mal und bei Männern fast 20-mal höher als im Vergleich zu gleichaltrigen, nicht an Diabetes mellitus erkrankten Menschen
- gefördert durch Glukosurie (auch unter SGLT2-Inhibitoren)
Typische Symptome der Zystitis sind:
- Schmerzen beim Wasserlassen (Algurie)
- häufiges Wasserlassen (Pollasikurie)
- imperativer Harndrang
- Schmerzen oberhalb der Symphyse
Zusätzliche Symptome der Pyelonephritis sind:
- Flankenschmerz
- klopfschmerzhaftes Nierenlager
- Fieber
Bei akuter unkomplizierter Zystitis ist der Befund der körperlichen Untersuchung in der Regel unauffällig.
Bei Pyelonephritis ist das Nierenlager klopfschmerzhaft und die Patienten können Fieber haben.
Bei nicht schwangeren Frauen reicht im Prinzip die typischen Klinik (Vorhandensein von Schmerzen beim Wasserlassen, Pollakisurie, imperativem Harndrang und Ausschluss von pathologischem Fluor vaginalis) aus, um die Diagnose einer akuten Zystitis zu stellen. Ein validierter Fragebogen ACSS (acute cystitis symptom score) kann bei der Abklärung helfen. Ein zusätzlich positiver Urin-Teststreifen (Nitrit oder Leukozyten-Esterase alleine oder in Kombination) kann die diagnostische Sicherheit noch erhöhen.
Besteht der klinische Verdacht auf eine Pyelonephritis (Flankenschmerzen, klopfschmerzhaftes Nierenlager und/oder Fieber), sollten zusätzlich eine körperliche Untersuchung, Urinuntersuchung (Mikroskopie, Kultur mit Resistenztestung) und ggf. weitere Laboruntersuchungen (z.B. Blutbild, CRP, Procalcitonin) durchgeführt werden. Zum Ausschluss von komplizierenden Faktoren sind dann weitergehende Untersuchungen (z.B. Sonographie) notwendig.
Bei Patientinnen mit einer persistierenden Hämaturie oder persistierendem Nachweis von anderen Erregern als Escherichia coli werden weitere Untersuchungen wie eine Urethrozystoskopie sowie eine weitere Bildgebung empfohlen.
Bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen sollte eine Urinkultur angelegt und einmalig eine Sonographie erfolgen. Eine weitere invasive Diagnostik ist i.d.R. nicht erforderlich. Bei älteren Patientinnen in der Postmenopause kann eher eine Urinkultur erforderlich sein, da die Beschwerden häufiger eher untypisch sind.
Die Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis bei Schwangeren ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen erfolgt bezüglich der Anamnese genauso wie bei nicht schwangeren Frauen. Allerdings sollten hier in jedem Fall eine körperliche Untersuchung und eine Urinuntersuchung einschließlich Kultur erfolgen. Bei Verdacht auf eine Pyelonephritis ist zusätzlich eine Ultraschalluntersuchung der Nieren und Harnwege erforderlich.
Ein systematisches Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie wird in der Schwangerschaft nicht empfohlen.
Bei der Diagnostik der akuten unkomplizierten Zystitis/Pyelonephritis bei Männern sollten zusätzlich zur Anamnese auch sexuell übertragbare Erkrankungen (Chlamydien, Gonokokken) ausgeschlossen werden. Außerdem müssen immer komplizierende Faktoren (z.B. Prostatahypertrophie) ausgeschlossen werden, z.B. durch eine rektale Untersuchung.
Wichtige Differenzialdiagnosen sind unter anderem:
- Urethritis
- interstitielle Zystitis
- gynäkologische Infektionen wie Kolpitis, Salpingitis oder Adnexitis
- Prostatitis
- überaktive Blase (Reizblase)
Akute unkomplizierte Zystitis
- hohe Spontanheilungsrate innerhalb einer Woche (30–50 %)
- Antibiotikatherapie zur schnelleren Symptomlinderung, bei leichten bis mittelgradigen Beschwerden evtl. auch alleinige symptomatische Therapie als Alternative
Akute unkomplizierte Pyelonephritis
- sofortige Einleitung einer Antibiotikatherapie
- orale Therapie bei leichten bis mittelschweren Verläufen, parenterale Antibiotikagabe bei schweren Verläufen
Wahl des Antibiotikums:
Bei unkomplizierter Zystitis soll zur empirischen Therapie vorzugsweise eines der folgenden Antibiotika eingesetzt werden:
- Fosfomycin-Trometamol
- Nitrofurantoin
- Nitrofurantoin retard
- Nitroxolin
- Pivmecillinam
- Trimethoprim (nur bei regionalen Resistenzraten <20 %)
Bei leichter bis mittelschwerer Pyelonephritis können folgende orale Antibiotika angewandt werden:
- Ciprofloxacin
- Levofloxacin
- Cefpodoxim-Proxetin
- Ceftibuten
Bei schweren Formen wird als erste Wahl die parenterale Gabe von Ciprofloxacin, Levofloxacin, Ceftriaxon oder Cefotaxim empfohlen. Nach Besserung kann auf ein orales Regime umgestellt werden.
Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau kann Mannose empfohlen werden. Alternativ können verschiedene Phytotherapeutika - z.B. Präparate aus Bärentraubenblättern (maximal 1 Monat), Kapuzinerkressekraut, oder Meerrettichwurzel erwogen werden.
Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten kann zur Verbesserung des Immunsystems zu einer pflanzenbetonten Kost, regelmäßigen sportlichen Aktivitäten und psychosozialen Maßnahmen wie Pflege von Sozialkontakten und Erreichen einer positiven Lebenseinstellung geraten werden.
Leitlinienprogramm DGU: Interdisziplinäre S3 Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. Langversion 1.1-2, 2017 AWMF Registernummer: 043/044, www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/043-044l_S3_Harnwegsinfektionen pdf
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