Sepsisrisiko: Fehlende oder verspätete Antibiotikagabe gefährdet Senioren mit Harnwegsinfekt
Harnwegsinfektionen stellen die häufigste bakterielle Infektion im höheren Alter dar, schreiben Dr. Myriam Gharbi vom Imperial College London und Kollegen. Angesichts der Zunahme resistenter Keime gehen die Antibiotika-Verordnungen in der primärärztlichen Versorgung Großbritanniens – politisch gewollt – seit Jahren zurück. Für ältere Menschen birgt dieses Vorgehen allerdings Gefahren, da sie anfälliger für einen komplizierten Infektionsverlauf, beispielsweise systemische Infektionen, sind, so die Autoren.
Gemeinsam mit weiteren Forscherkollegen werteten sie die Daten von mehr als 157 000 Senioren im Alter über 65 Jahre aus, die sich mit einem Harnwegsinfekt bei einem Allgemeinarzt vorgestellt hatten. Die Analyse umfasste insgesamt nahezu 313 000 Infektepisoden. In rund 7 % der Fälle wurde kein Antibiotikum rezeptiert und bei 6 % erfolgte die Verschreibung verspätet.
Patienten, die kein Antibiotikum erhalten hatten, erlitten im Vergleich zu den sofort antibiotisch behandelten Patienten innerhalb von zwei Monaten nach der Infektdiagnose achtmal häufiger einen septischen Verlauf. Nach verzögerter Antibiotikagabe war das Risiko hierfür immerhin versiebenfacht. Eine stationäre Behandlung wurde bei Patienten ohne bzw. mit verspäteter Antibiotikagabe etwa doppelt so häufig erforderlich wie bei zeitnahem Behandlungsbeginn.
Die Verschreibungspraxis beeinflusste zudem die Mortalität: Eine verspätete Antibiotikatherapie ließ das Sterberisiko um den Faktor 1,2 ansteigen, die ausbleibende Behandlung sogar um den Faktor 2,2. Das höchste Risiko für systemische Infektionen sowie für ein Versterben innerhalb von 60 Tagen nach dem Harnwegsinfekt hatten Männer im Alter über 85 Jahre sowie Menschen aus sozial benachteiligten Regionen.
Auch bei leichten Symptomen die Keimkillerkeule schwingen
Senioren mit einem Harnwegsinfekt sollten angesichts ihrer hohen Vulnerabilität für septische Komplikationen – auch bei leichter Symptomausprägung und entgegen des allgemeinen Drucks zur Senkung der Verschreibungszahlen – unverzüglich antibiotisch behandelt werden, so das Fazit der Kollegen. Insbesondere ältere Männer stellen diesbezüglich ein Risikokollektiv dar.
Quelle: Gharbi M et al. BMJ 2019; 364: l525