Hodenhochstand
Der Hodenhochstand ist mit einer Häufigkeit von 0,7 bis 3 % bei reifgeborenen Jungen die häufigste kongenitale Anomalie des Urogenitaltraktes, bei Frühgeborenen ist die Häufigkeit mit bis zu 30 % deutlich höher. Bei etwa 7 % der Betroffenen kommt es im ersten Lebensjahr zu einem spontanen postnatalen Descensus (meist in den ersten sechs Monaten).
Ein Hodenhochstand kann sowohl isoliert ohne weitere klinische Auffälligkeiten als auch als Teilbefund bei genetischen Krankheiten bzw. Syndromen auftreten. Man unterscheidet verschiedene Formen:
Kryptorchismus (nicht tastbarer Hoden)
- dahinter kann sich auch eine Hodendystrophie, Hodenatrophie oder Hodenagenesie verstecken
- intraabdominell gelegener, nicht tastbarer Bauchhoden („retentio testis abdominalis“)
Leistenhoden („retentio testis inguinalis“)
- Hoden liegt im Bereich der Leiste und kann nicht in das Skrotum verlagert werden
Gleithoden („retentio testis präscrotalis“)
- Hoden liegt oberhalb des Skrotums vor dem äußeren Leistenring
- kann in das Skrotum luxiert werden, gleitet aber wieder zurück
Hodenektopie
- Gonade liegt außerhalb des physiologischen Descensuswegs
- Ursache ist eine Fehlinsertion des Gubernaculum testis
- häufigste Form ist die inguinal-epifasziale Ektopie (ca. 70 %)
- kann palpatorisch mit dem Leistenhoden verwechselt werden
- penile (an der Peniswurzel), femorale, transversale und perineale Ektopie
Von diesen behandlungsbedürftigen Formen der Retentio testis ist als Normvariante der Pendelhoden („retractile testis“) abzugrenzen. Der Hoden liegt spontan entweder im Skrotum oder oberhalb davon. Er lässt sich spannungsfrei in das Skrotum verlagern und bleibt dort bis zur Auslösung (z.B. durch Kälte oder psychischen Stress) des nächsten überschießenden Kremasterreflexes.
Von der primären Hodenretention ist die sekundäre Aszension der Gonade zu unterscheiden, die mit einem Gipfel um das 7. Lebensjahr bis zur Pubertät auftreten kann. Die Inzidenz liegt bei 1,5–1,6 %
Zusätzlich zu genetischen Störungen kennt man folgende Ursachen und Risikofaktoren für einen Hodenhochstand:
- Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse
- Störungen der Androgensynthese oder Androgenresistenz
- Störung der testikulären Differenzierung
- Umweltfaktoren (Pestizide)
- mechanische Ursachen (Prune-belly-Syndrom, Gastroschisis, Omphalozele)
- neurologische Ursachen (N. genitofemoralis: Freisetzung von Calcitonin gene related peptide[CGRP])
- intrauterine Insemination (Clomiphene)
- Diabetes der Mutter
- Plazentainsuffizienz mit verminderter Sekretion von hCG (humanes Choriongonadotropin) und niedrigem mütterlichem Östrogenspiegel
- Alkoholkonsum
- Rauchen
Komplikationen:
- erhöhtes Risiko für maligne Entartungen des Hodens im Erwachsenenalter bei operiertem Hodenhochstand (2,75- bis 8-fach)
- bei bilateralem Hodenhochstand verminderte Fertilität
Palpation eines leeren Hodensackes und ggf. Palpation des Hodens in der Leiste
Die klinische Untersuchung beinhaltet die Inspektion und bimanuelle Palpation der Leiste und des Skrotums (in warmer und entspannter Umgebung, möglichst in sitzender Position). Bei Unsicherheit ist zum Einschätzen der Dynamik einer eventuell zunehmenden Aszension die Wiederholung der Untersuchung indiziert.
Die vorhandene oder fehlende Spannung am Samenstrang beim Zug am Hoden und die erreichbare Position des Hodens werden bewertet. Bei der manuellen Palpation sollte die Hodengröße auch im Vergleich zur Gegenseite erfasst werden.
Bildgebung
- die Sonographie mit hochauflösendem Schallkopf kann bei klinisch nicht palpablem Hoden zur Objektivierung der Hodenlage eingesetzt werden
- kann die Entscheidung erleichtern, die Operation offen inguinal oder laparoskopisch durchzuführen
Endokrinologische Abklärung
- bei beidseitig nicht tastbaren oder sonographisch nachweisbaren Hoden zum Nachweis von Testosteron-produzierendem Hodengewebe
- einmalige Messung von Inhibin-B (senistiver Marker für Funktion von Sertolizellen)
- alternativ hCG-Stimulationstest
- falsch negative Befunde möglich, deshalb trotzdem laparoskopische Abklärung
Laparaskopie
- bei nicht tastbaren Hoden indiziert
- zur Beurteilung der Lage und Morphologie von Gonaden und Samenstranggebilden
- ggf. therapeutische Funikulolyse mit Orchidopexie oder Beginn der zweizeitigen Operation nach Fowler-Stephens
- vor dem Eingriff noch einmal Palpation in Narkose (in einigen Fällen Hoden dann doch in der Leiste tastbar)
Wichtige Differenzialdiagnosen sind Hodendystrophie, Hodenatrophie oder Hodenagenesie und Störungen der Geschlechtsentwicklung.
Behandlungsziel ist die rechtzeitige Verlagerung des Hodens in das Skrotum, um einen Sekundärschaden am Hoden zu verhindern. Mit vollendetem 12. Lebensmonat sollte die Behandlung abgeschlossen sein – bei Frühgeborenen gilt das korrigierte Alter.
Während der ersten sechs Lebensmonate wird aufgrund der Möglichkeit eines spontanen Descensus ein Zuwarten empfohlen.
Konservative Hormontherapie
- nur bei Gleithoden empfehlenswert
- isolierte Gabe von GnRH, hCG oder Kombination (erst GnRH, gefolgt von hCG)
- keine Hormontherapie mehr nach dem ersten Lebensjahr (Kontraindikation)
- Erfolgsrate bei etwa 20 %
- Nebenwirkungen: Schambehaarung, Peniswachstum, Schmerzen im Genitale und an der Injektionsstelle (hCG), vermehrte Reizbarkeit
Operative Therapie
Inguinale oder skrotale Orchidolyse und-pexie
- bei tastbaren oder sonographisch nachweisbaren Leistenhoden
- Erfolgsrate hängt ab von der Lage des Hodens (92 % bei distal des äußeren Leistenringes gelegenen Hoden, 74 % bei initial abdominell liegenden Hoden)
Laparoskopie
- bei nicht palpablen oder sonographisch darstellbaren Hoden
- einzeitige laparoskopische oder inguinale Orthopexie oder zweizeitige Op nach Fowler-Stephens
Eine spezifische Prävention ist nicht bekannt.
LeitlinienS2k-Leitlinie Hodenhochstand – Maldescensus testis
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