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Das exzessive Schreien ist ein häufiges, für Säuglinge und Eltern sehr belastendes Symptom – trotzdem wird dieses Verhalten in allen bisherigen Klassifikationssystemen nicht als „Störung“ im engeren Sinnen klassifiziert.
Problematisch ist exzessives Schreien vor allem dann, wenn es:
- über das Alter von drei Monaten hinaus persistiert und
- wenn es nach Häufigkeit, Dauer und Ausmaß exzessiv ausgeprägt ist
In diesen Fällen ist das persistierende exzessive Schreien auch mit Langzeitrisiken wie vermehrten Verhaltensstörungen im weiteren Entwicklungsverlauf assoziiert. Auch das Risiko für Kindesmisshandlungen wie Schütteltraumata und das Risiko für psychische Störungen der Eltern sind erhöht.
Das vorübergehende Schreien in den ersten drei Lebensmonaten scheint dagegen eher eine benigne Symptomatik zu sein, die natürlich für die jungen Eltern belastend sein kann, aber keine Störung darstellt.
Exzessives Schreien betrifft Jungen und Mädchen gleichermaßen und findet sich in vielen Kulturen mit ähnlichem Erscheinungsbild und Verlauf. Gestillte Kinder sind genauso häufig betroffen wie flaschengefütterte Säuglinge.
Das exzessive Schreien findet man am häufigsten im Alter von einem Monat (2,2 bis 17,8 %) im Vergleich zu drei Monaten (2,0 bis 9,9 %) und sechs Monaten (0,3 bis 7,7 %).
Risikofaktoren für exzessives Schreien sind:
- Depression, Stress, Ängste und hohe Arbeitsbelastung in der Schwangerschaft (insbesondere im 1. und 2. Trimenon)
- postnatal anhaltende Stressbelastung der Mutter
- mütterliches Rauchen und postnatale Rauchexposition
Nach den klassischen „Wessel Kriterien“ wird exzessives Schreien durch anfallsartige, unstillbare Schrei-und Unruhepisoden an mehr als drei Stunden pro Tag für mindestens drei Tage pro Woche über mindestens drei Wochen definiert.
Es muss eine umfassende körperliche Untersuchung erfolgen, um mögliche körperliche Ursachen auszuschließen.
Die Häufigkeit des Schreiens sollte von den Eltern in einem Tagebuch dokumentiert werden. Außerdem kann einer standardisierter Temperamentfragebogen hilfreich sein.
Immer mit zur Diagnostik gehört auch die Erfassung psychosozialer Belastungen und psychischer Störungen der Eltern.
Somatische Ursachen des exzessiven Schreieins sind zwar selten, müssen aber immer ausgeschlossen werden. Dazu können unter anderem gehören:
- gastroösophagealer Reflux
- Allergien, z.B. auf Kuhmilchproteine (auch bei gestillten Kindern, deren Mütter viel Kuhmilchprodukte zu sich nehmen)
- Kuhmilch-, Laktose-und andere Intoleranzen
- Infekte wie chronische Otitis, Harnwegsinfekte, Gastroenteritis
- atopische Dermatitis und andere Hautaffektionen
- Luftwegs-Obstruktionen
- allgemeine Entwicklungsstörungen
- infantile Haltungsasymmetrien
An erster Stelle stehen beim exzessiven Schreien (d.h. auch in den ersten drei Lebensmonaten) Beratung und Psychoedukation. Wichtig ist die Entlastung der Mutter durch Mobilisation des unmittelbaren sozialen Umfeldes, z.B. durch:
- Einbeziehung des Partners und anderer stabilisierender Personen
- Reizreduktion
- Vermeidung von kindlicher Übermüdung
- Strukturierung des Tagesablaufes mit regelmäßigen Schlafphasen am Tag
- Ausnutzung kindlicher Wachphasen für gemeinsame Spiele und Dialoge
- Überbrückung kritischer Schrei-und Unruhephasen
- Time-out-Phasen für die primäre Bezugsperson bei Überlastung
- Einwickeln (Pucken)
- Ermutigung und Hilfestellung, den schreienden Säugling zu begleiten oder abzulegen (vor allem dann, wenn das Schreien zunächst nicht beeinflussbar erscheint)
- Entlastung von Schuldgefühlen
Eventuelle somatische Erkrankungen und Symptome müssen natürlich mitbehandelt werden.
Bei jungen Säuglingen unter drei Monaten (d.h. mit exzessivem, aber nicht persistierendem Schreien) sind eine Beratung und o.g. Maßnahmen in der Regel ausreichend. Die Beratung kann am besten durch Hebammen und Kinderärzte im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen sowie durch Elternberatungsstellen erfolgen.
Kinder mit persistierendem exzessivem Schreien, das auch nach Beratung und nach dem dritten Lebensmonat noch anhält, sollen zeitnah intensiv behandelt werden, da es sich um eine Risikogruppe mit vermehrten Langzeitfolgen handelt.
Als Mittel der Wahl sollte eine Eltern-Kind-Psychotherapie durchgeführt werden. Zusätzlich können bei gezielter Indikation assoziierte Therapien (z.B. Ergo-/Physiotherapie) und/oder eine Frühförderung zum Einsatz kommen.
Im Zweifelsfall sollte eine genaue Untersuchung und Beobachtung im Rahmen eines stationären Aufenthaltes in einem Kinderkrankenhaus erfolgen.
Zur Prävention sollten Schwangere nicht rauchen und die Kinder auch nach der Geburt keinem Rauch ausgesetzt werden. Eine Stressreduktion in der Schwangerschaft könnte ebenfalls zur Prävention beitragen.
Leitlinie zu psychischen Störungen im Säuglings-,Kleinkind-und Vorschulalter (S2k)
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