Akute Lymphatische Leukämie

Definition

Bei der Akuten Lymphatischen Leukämie (ALL) handelt es sich um eine unkontrollierte Vermehrung unreifer lymphatischer Blasten. Diese reichern sich in Knochenmark und Blut an. Dort verdrängen die entarteten Zellen das gesunde Knochenmark, was zu einem Mangel an Erythrozyten, Thrombozyten und Granulozyten führt. Darüber hinaus können lymphatische (Lymphknoten, Milz) und nicht-lymphatische Gewebe (z.B. Leber, ZNS, Haut, Hoden, Knochen) befallen sein. Unbehandelt endet die Erkrankung innerhalb weniger Monate tödlich.

Die ALL stellt eine biologisch heterogene Erkrankung dar. Abhängig von der Reifestufe, auf der sich die maligne Transformation ereignete, unterscheiden sich einzelne ALL-Subtypen in den Oberflächenmarkern, den therapeutischen Möglichkeiten und der Prognose. Mittlerweile kennen Fachleute mehr als 20 molekular definierte Subgruppen.

Insgesamt beträgt die Inzidenz der ALL 1,1/100.000 pro Jahr. Männer sind etwas öfter betroffen als Frauen (1,4:1,0). Am häufigsten tritt die Erkrankung bei Kindern unter fünf Jahren auf (5,3/100.000). Einen zweiten Häufigkeitsgipfel gibt es jenseits des 80. Lebensjahres.

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Symptomatik

In der Regel entwickeln sich die Beschwerden innerhalb von Tagen und führen rasch zu einem Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit. Viele Symptome der ALL lassen sich auf eine Insuffizienz der Hämatopoese zurückzuführen. Dazu zählen:

  • Anämie: Blasse Haut und Schleimhäute, Tachykardie, Dyspnoe, Schwindel, Leistungsminderung
  • Thrombozytopenie: Blutungsneigung, Hämatomneigung, Petechien
  • Granulozytopenie bei Leukopenie, Leukozytose oder normalen Leukozytenzahlen: Fieber, Infektneigung

Jede:r Dritte leidet zum Diagnosezeitpunkt an Blutungen oder Infektionen. Fast 60 % haben vergrößerte Lymphknoten und/oder eine Splenomegalie. Ebenso viele Betroffene weisen bei Diagnose eine Leukozytose auf. Ein Fehlen von Leukozytose, Anämie, Thrombozytopenie oder Blasten im Blut reicht allerdings nicht aus, um eine ALL auszuschließen.

Hinzu kommen noch Symptome, die durch einen spezifischen Organbefall entstehen. Einen Mediastinaltumor weisen 14 % aller ALL-Patient:innen, aber 60 % derjenigen mit T-ALL auf. 7 % haben initial einen Befall des ZNS. Dieser wird meist in einer routinemäßigen Liquordiagnostik nachgewiesen, kann aber auch Beschwerden verursachen, beispielsweise Kopfschmerzen, Erbrechen, Lethargie, Nackensteifigkeit und (Hirn-)Nervenausfälle sowie Querschnittssymptome, wenn das Rückenmark betroffen ist.

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Untersuchung

Bei Verdacht auf eine ALL ist eine Knochenmarkuntersuchung obligatorisch.

Vor Therapiebeginn müssen folgende Untersuchungen stattfinden:

  • Anamnese und körperliche Untersuchung
  • Evaluierung von Allgemeinzustand und Komorbiditäten
  • Blutbild, Differenzialblutbild, klinische Chemie inklusive Gerinnungsdiagnostik und Urinanalyse
  • HLA-Typisierung (wenn allogene Stammzelltransplantation infrage kommt)
  • infektiologische Untersuchungen inklusive Serologie für Hepatitis B, Hepatitis C und HIV
  • Schwangerschaftstest
  • Lumbalpunktion mit zytologischer Liquordiagnostik und intrathekaler Therapie
  • bildgebende Untersuchungen, mindestens Thorax-Röntgen und abdominelle Sonografie; ggf. CT von Thorax und Abdomen oder weitere Untersuchungen nach Symptomatik
  • EKG und Echokardiografie
  • Aufklärung über fertilitätserhaltende Maßnahmen und Notwendigkeit einer Kontrazeption
Labor

Initialdiagnostik:

In einem Referenzlabor sollten initial folgende Untersuchungen erfolgen:

  • Immunphänotypisierung
  • Molekulargenetik (BCR::ABL1; KMT2A::AFF1 und andere)
  • Markeridentifizierung für die spätere molekulare Quantifizierung der MRD
  • Zytogenetik und Molekularzytogenetik zum Nachweis von t(9;22), t(4;11) und anderen Translokationen
  • Transkriptom-Sequenzierung (RNAseq) zum Nachweis von Treibermutationen, Fusionsgenen und zur molekularen Klassifizierung

Insgesamt sind mehr als 20 molekulare Subgruppen bekannt. Dabei stützt sich die Einordnung auf Übereinstimmung zwischen Treiberalterationen und dem Genexpressionsprofil. Auch bei älteren Patient:innen ist stets ein umfassende molekulare und zytogenetische Diagnostik erforderlich.

Therapeutische Zielstrukturen von Interesse bilden ein BCR::ABL1-Fusionsgen sowie CD19, CD20 und CD22 als Oberflächenmarker. Darüber hinaus gelten CD38, CD33 und TSLPR als potenziell bedeutsam.

MRD-Quantifizierung:

Die Sensitivität der verwendeten Methode sollte mindestens 10-4 betragen. Es eignen sich verschiedene Verfahren, so etwa die PCR-Analyse definierter Fusionsgene oder eine Durchflusszytometrie, welche charakteristische Kombinationen von Oberflächenmolekülen detektiert. Besonders standardisiert ist der Nachweis klonspezifischer Rearrangements von Immunglobulin- oder T-Zell-Rezeptorgenen mittels real-time PCR. Alles in allem lässt sich in 90-95 % der Fälle ein klonspezifischer Assay etablieren.

Zur Verlaufskontrolle sollte bei B-Vorläufer-ALL Knochenmark entnommen werden, da die Sensitivität des Nachweises im Blut deutlich schlechter ausfällt. Bei T-ALL gilt dies nicht, und Ärzt:innen können auch peripheres Blut einschicken. Insgesamt sollten Kontrollen während der Behandlung und im Jahr nach Ende der Erhaltungstherapie alle 2-3 Monate erfolgen.

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Differenzialdiagnostik

Befolgen Ärzt:innen alle diagnostischen Empfehlungen, treten meist keine Unklarheiten auf. Die immunologische und morphologische Bestimmung lymphatischer Blasten grenzt die ALL gegenüber AML, myelodysplastischem Syndrom, CLL sowie einem lymphatischem Blastenschub bei CML ab. Sie ermöglicht auch, andere Formen akuter und chronischer Leukämien sowie reaktive Lymphozytosen (z.B. bei infektiöser Mononukleose) auszuschließen.

Die Unterscheidung von lymphoblastischen Lymphomen beruht auf dem Blastenanteil im Knochenmark. Häufig wird dabei ein Grenzwert von 25 % angesetzt.

Bei etwa 29 % der Patient:innen exprimieren die malignen Blasten auch Oberflächenmarker der myeloischen Entwicklungslinie. Dies wirkt sich jedoch nicht auf Prognose oder Therapie aus.

Pharmakotherapie und nichtinvasive Therapie

Da sich Diagnostik und Therapie komplex gestalten und die Erkrankung selten auftritt und lebensbedrohlich verläuft, sollte Erkrankte notfallmäßig an ein hämatologisches Zentrum überwiesen werden.

Grundsätzlich unterteilt man die Behandlung in Vorphase-, Induktions-, Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie.

Vorphase

Erkrankte erhalten Dexamethason und Cyclophosphamid, um ein Tumorlyse-Syndrom zu vermeiden. Im Laufe dieser fünf Tage können weitere Untersuchungen erfolgen.

In der Regel findet während dieser Zeit auch die erste diagnostische Liquorpunktion und intrathekale Methotrexat-Prophylaxe statt.

Induktionstherapie

Ziel der Induktionstherapie ist eine komplette Remission der ALL (CR). Diese zu erreichen ist die Voraussetzung für ein Langzeitüberleben bzw. eine Heilung der Leukämie. Dazu finden mehrere Zytostatika Anwendung, typischerweise Vinchristin und ein Anthrazyklin in Kombination mit Dexamethason. Als Besonderheit wird bei der Entität zusätzlich Asparaginase eingesetzt.

Nach der ersten Phase der Induktion erfolgt eine Remissionskontrolle (MRD-Bestimmung), die über das weitere therapeutische Vorgehen entscheidet. Als Hochrisiko gilt, wer zu diesem Zeitpunkt keine komplette zytologische Remission erreicht hat (Blastenanteil über 5 %).

Es folgen weitere Induktionszyklen, wobei zusätzliche Medikamente (Cyclophosphamid, Cytosin-Arabinosid, 6-Mercaptopurin) sowie eine intrathekale Prophylaxe mit Methotrexat hinzukommen.

Konsolidierungstherapie

Standardmäßig wird eine intensive Konsolidierungstherapie durchgeführt, wobei sich die angewendeten Schemata unterscheiden. Essentiell ist, dass Ärzt:innen die einzelnen Blöcke möglichst zeitnah durchführen.

Nach der ersten Konsolidierung (bei älteren Erkrankten spätestens nach der zweiten), sollte die Remission abschließend beurteilt werden. Dazu zählt eine Knochenmarkuntersuchung inklusive MRD-Kontrolle sowie eine Beurteilung extramedullärer Befälle, im Zweifelsfall durch PET-CT.

Zur Konsolidierungstherapie zählt auch eine mögliche Stammzelltransplantation.

Erhaltungstherapie

Alle Patient:innen, die keine Stammzelltransplantation durchliefen, bekommen standardmäßig eine Erhaltungstherapie. Eine Ausnahme stellen diesbezüglich nur die reife B-ALL sowie lymphoblastische Lymphome dar. Üblicherweise besteht die Erhaltung aus wöchentlichem Methotrexat und täglichem Mercaptopurin.

Rezidive

Jedes Rezidiv stellt einen medizinischen Notfall dar. Ziel ist, eine erneute Remission zu erreichen und eine Stammzelltransplantation zu ermöglichen. Die Prognose hängt maßgeblich davon ab, ob dies gelingt. Frührezidive haben meist eine schlechtere Prognose als Spätrezidive.

Ärzt:innen sollten die initiale Diagnostik wiederholen, inklusive einer Charakterisierung der Oberflächenmoleküle und möglicher targetierbarer Mutationen. In der Rezidivsituation sind neben den gängigen Zytostatika weitere Wirkstoffe zugelassen: die therapeutischen Antikörperkonstrukte Blinatumomab und Inotuzumab Ozogamicin sowie CAR-T-Zellen. Bei T-ALL steht auch das Purinanalogon Nelarabin zur Verfügung. Scheitert der erste Salvage-Versuch, können Mediziner:innen weitere zielgerichtete Substanzen wie Venetoclax oder CD38-Antikörper in Betracht ziehen.

Spätrezidive sprechen andererseits oft erneut auf die initial erfolgreiche Induktionstherapie an.

Besondere Situationen

Liegt eine BCR::ABL1-Genfusion vor, kommen zusätzlich in allen Phasen Tyrosinkinaseinhibitoren zum Einsatz. Bei älteren, vulnerablen Erkrankten lassen sich diese auch als Monotherapie erwägen.

CD20-positive Zellen (insbesondere reifzellige B-ALL) sprechen auf entsprechende monoklonale Antikörper an.

Invasive und Interventionelle Therapie

Bei Hochrisikopatient:innen wird eine allogene Stammzelltransplantation in der ersten Remission angestrebt. Für Erkrankte mit Standardrisiko verzichtet man zu diesem Zeitpunkt meist darauf, ein molekulares Rezidiv oder Therapieversagen stellen Indikationen dar.

Prävention

Eine spezifische Prävention ist nicht möglich und die Ursache bleibt im Einzelfall meist unbekannt. Es existieren allerdings Risikofaktoren, die das Auftreten einer ALL wahrscheinlicher machen:

  • angeborene Defekte der DNA-Reparatur wie Ataxia teleangiectasia
  • Trisomie 21 (etwa 18fach erhöhtes Risiko für akute Leukämien)
  • radioaktive Strahlung
  • myelotoxische Chemikalien z.B. Benzol oder Chloramphenicol
  • Sekundärneoplasie nach Chemotherapie oder Strahlentherapie
Prognose

Der Therapieanspruch ist grundsätzlich kurativ. Die Langzeitüberlebensraten verbesserten sich in den letzten Jahrzehnten und betragen für Erwachsene bis zu 55 Jahren 60-70 %. Dies variiert aber je nach Alter und Risikogruppe stark. Kann altersbedingt nur mit reduzierter Intensität behandelt werden, liegt sie nur bei 20-40 %

Für eine schlechte Prognose sprechen bei Erwachsenen:

  • hohe Leukozytenzahl (>30 G/l bei B-Vorläufer-ALL)
  • bestimmte Subtypen (pro B, early T, reife T)
  • späte CR (> 3 Wochen (nach Induktion II))
  • zytogenetische Aberrationen (t(9:22) - BCR::ABL1 oder t(4:11) - KMT2A::AFF1)
  • minimale Resterkrankung (MRD über 10-4 nach Frühkonsolidierung oder Anstieg über dieses Niveau nach vorheriger molekularer CR)

Die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs ist in den ersten beiden Jahren nach Erreichen der CR am höchsten. Tritt ein Rückfall auf, liegt die Gesamtüberlebensrate unter 10 %.

Quellen

Onkopedia-Leitlinie „Akute Lymphatische Leukämie (ALL)“; Stand Mai 2022

Leitlinien

Onkopedia-Leitlinie „Akute Lymphatische Leukämie (ALL)“; Stand Mai 2022

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