Chronische Lymphatische Leukämie

Definition

Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) geht aus reifen, Antigen-exponierten B-Zellen hervor. Diese proliferieren übermäßig, und im Blut lässt sich eine Lymphozytose als Kernmerkmal beobachten. Schreitet die Erkrankung fort, kommt es zu einer Vergrößerung von Leber, Milz und Lymphknoten. In späteren Stadien entsteht ein Mangel an gesunden Blutzellen mit Anämie und Gerinnungsstörungen als Folge. Im Gegensatz zu akuten Leukämien steht dieser jedoch nicht im Vordergrund.

Es handelt sich um die häufigste Leukämieform in den westlichen Industrieländern. Etwa 0,6 % aller Menschen entwickeln irgendwann im Leben eine CLL. Das mediane Erkrankungsalter liegt zwischen 70 und 75 Jahren. Weniger als ein Zehntel der Betroffenen ist zum Diagnosezeitpunkt jünger als 45 Jahre. Oftmals geht der Leukämie eine asymptomatische Vermehrung von B-Zellen voraus (monoklonale B-Zell-Lymphozytose). Diese findet sich bei mehr als 5 % der Personen über 60.

Häufig haben Erkrankte zunächst keine oder wenig Symptome. Eine CLL wird in der Regel erst dann behandelt, wenn Beschwerden auftreten. Dabei setzen Ärzt:innen statt unselektiver Chemotherapien zunehmend Medikamente ein, die auf die Signalwege des B-Zellrezeptors sowie der Apoptose einwirken.

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Symptomatik

Die Erkrankung ist durch eine Lymphozytose gekennzeichnet, die oft als Zufallsbefund festgestellt wird. Nicht alle Betroffenen haben zum Diagnosezeitpunkt Symptome.

Im Krankheitsverlauf entwickelt sich eine Vergrößerung von Leber, Milz und Lymphknoten (Hepato-, Splenomegalie, Lymphadenopathie). Eine verminderte Hämatopoese kann zu einer erhöhten Blutungs- und Infektneigung sowie Symptomen einer Anämie (Blässe, Erschöpfung…) führen. Hinzu kommen sogenannte B-Symptome, beispielsweise ungewollter Gewichtsverlust, Nachtschweiß und Fieber.

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Untersuchung

Initial

Bei CLL-Verdacht sollten Ärzt:innen folgende Untersuchungen durchführen:

  • allgemeine Anamnese: Leistungsschwäche, B-Symptome, Infektneigung, frühere Blutbilder und Leukozytenwerte, Familienanamnese
  • körperliche Untersuchung: Lymphknotenstatus, Vergrößerung von Organen, Blutungs- und Anämiezeichen
  • Blutbild: Leukozyten mit Differenzialblutbild (mikroskopische Differenzierung), Thrombozyten, Hämoglobin, Retikulozyten (bei Anzeichen für Anämie)
  • Immunphänotypisierung: Expression von CD23 und CD19, Koexpression von CD5, Monoklonalität einer Immunglobulin-Kette, schwache oder fehlende Expression von CD20, CD79b und FMC7
  • Lymphknotenbiopsie: bei unklarem Ergebnis der Immunphänotypisierung oder Verdacht auf Transformation in ein aggressives Lymphom

 

Folgende Kriterien definieren eine CLL:

  • mindestens 5.000 klonale B-Lymphozyten/µl im peripheren Blut für mindestens drei Monate
  • kleine, morphologisch reif wirkende Lymphozyten dominieren den Blutausstrich
  • Koexpression von CD19, CD20 und CD23 mit CD5; schwache Expression von CD20, CD79b und Oberflächenimmunglobulin

Die Klassifikation nach Binet unterteilt die CLL in drei Krankheitsstadien (A, B und C). Dabei berücksichtigt sie die Hämoglobinkonzentration, die Thrombozytenzahl und die Anzahl der betroffenen Körperregionen.

Vor Therapiebeginn

Vor Beginn einer Therapie sollte man die Tumorzellen auf bekannte genetische Risikofaktoren untersuchen (Deletion/Mutation von TP53, Mutationen der Gene für die variablen Regionen der schweren Immunglobulinkette (IGHV), Anzahl der Aberrationen im Karyotyp) und das Beta2-Mikroglobulin bestimmen. Hinzu kommt eine Sonografie des Bauchraums. Abhängig vom Wirkstoff können weitere Untersuchungen anstehen.

Nachsorge

Mediziner:innen sollten das Blutbild von Patient:innen in Remission alle 3-6 Monate kontrollieren, ebenso wie Lymphknoten, Leber und Milz. Bildgebende Untersuchungen sind in der Regel nicht erforderlich. Sie sollten besonders achten auf:

  • Autoimmunzytopenien
  • Infektionen
  • B-Symptome
  • Lymphknotenvergrößerungen
  • LDH-Erhöhung

Bei Rezidivverdacht sind die zytogenetischen Analysen zu wiederholen, um neu aufgetretene Risikomerkmale ausschließen zu können. Insbesondere die letzten drei Symptome können auch auf eine Transformation in ein hochmalignes Lymphom hindeuten.

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Differenzialdiagnostik

Häufige Differenzialdiagnosen sind:

  • Monoklonale B-Zell-Lymphozytose
  • reaktive Lymphozytosen (virale Infekte, Kollagenosen)
  • andere leukämisch verlaufende Lymphome, z.B. Mantelzelllymphom, follikuläres Lymphom, Marginalzonenlymphome oder lymphoplasmozytisches Lymphom/Morbus Waldenström
  • Haarzell-Leukämie

Insbesondere das Mantelzelllymphom zeigt häufig einen ähnlichen immunologischen Phänotyp (Koexpression von CD19 und CD5), ist aber meist CD23-negativ. Ärzt:innen sollten im Zweifelsfall mittels FISH die für Mantelzelllymphome charakteristische Translokation (11;14) ausschließen, oder die Überexpression von CyclinD1 im histologischen Präparat.

Pharmakotherapie und nichtinvasive Therapie

Nicht immer muss sofort eine Therapie beginnen. Bei einer asymptomatischen, inaktiven Erkrankung verfolgen die Behandelnden in der Regel eine abwartende Strategie.

Obligat ist eine Behandlung im Stadium Binet C, sowie früher, falls folgende Kriterien zutreffen:

  • Auftreten oder Verschlechterung einer Anämie/Thrombozytopenie
  • ausgeprägte Splenomegalie (> 6 cm unter dem Rippenbogen), progrediente oder symptomatische Milzvergrößerung
  • massive (> 10 cm im Durchmesser), symptomatische oder progrediente Lymphadenopathie
  • Lymphozytenverdopplungszeit von weniger als sechs Monaten oder Anstieg um mindestens 50 % in zwei Monaten (Basiswert über 30.000 Lymphozyten/µl, andere Ursachen ausgeschlossen)
  • Autoimmunzytopenie, die gegen Standardbehandlungen refraktär ist
  • ungewollter Gewichtsverlust von mehr als 10 % in sechs Monaten
  • Fieber unklarer Ursache für mehr als zwei Wochen
  • Nachtschweiß für mindestens einen Monat
  • schwerwiegende Erschöpfung (Fatigue)

Behandlungsbedürftige Patient:innen mit niedrigem Risiko (IGHV mutiert, p53 Wildtyp; kein komplexer Karyotyp) sollten bevorzugt eine zeitlich begrenzte Therapie mit dem Bcl2-Inhibitor Venetoclax und Obinutuzumab (Anti-CD20-Antikörper) erhalten. Alternativ können sie dauerhaft einen BTK-Inhibitor der zweiten Generation (Acalabrutinib, Zanubrutinib) einnehmen, beispielsweise bei schlechter Nierenfunktion oder Wunsch nach einer vollständig oralen Therapie.

Für Patient:innen mit genetischen Risikofaktoren bilden BTK-Inhibitoren (Acalabrutinib, Zanubrutinib, nachrangig Ibrutinib) den bevorzugten Erstlinienstandard.

Im Einzelfall richtet sich die Entscheidung auch nach therapielimitierenden Komorbiditäten (z.B. kardial, renal) und Interaktionen mit anderen eingenommenen Medikamenten. Eine Chemoimmuntherapie, die Zytostatika beinhaltet, spielt heute in der Erstlinie nur noch eine untergeordnete Rolle.

Die Rezidivtherapie orientiert sich neben Alter und Komorbiditäten vor allem daran, welche Behandlung der/die Betreffende in der Erstlinie erhielt. Dabei sollte meist ein Wechsel der Wirkstoffklasse erfolgen, beispielsweise von Venetoclax/Obinutuzumab zu einem BTK-Inhibitor, oder von einem BTK-Inhibitor zu Venetoclax (+ Rituximab). Scheitert diese Strategie, bilden Idelalisib + Rituximab und gegebenenfalls eine allogene Stammzelltransplantation weitere Optionen.

Invasive und Interventionelle Therapie

Der Stellenwert einer allogenen Stammzelltransplantation ist mit den neuen molekularen Therapieansätzen gesunken. Sie bleibt insbesondere dann eine Option, wenn bei Erkrankten mit komplexem Karyotyp oder TP53-Mutation BTK-Inhibitoren oder Venetoclax nicht mehr wirken, sowie wenn die CLL unabhängig vom Genotyp gegen beide Strategien refraktär ist.

Prävention

Es existieren keine etablierten Maßnahmen zur Vorbeugung oder Früherkennung einer CLL. Bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, zu erkranken:

  • Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln wie Benzol
  • Verwandte ersten Grades mit CLL (8,5-fach erhöhtes Risiko)
  • familiäre Häufung von CLL und anderen indolenten Lymphomen
  • Monoklonale B-Zell-Lymphozytose (1 % Risiko pro Jahr, eine behandlungsbedürftige CLL zu entwickeln)
Prognose

Zielgerichtete Therapieoptionen haben die Aussichten Erkrankter stark verbessert. 2021 betrug die relative Fünf-Jahres-Überlebensrate 87,2 %.

Als biologische Prognosemarker gelten Beta2-Mikroglobulin im Serum sowie TP53-Aberrationen (Mutation oder Deletion), IGHV-Mutationen und ein komplexer Karyotyp. Ein Prognoseindex (CLL-IPI) berücksichtigt darüber hinaus das Alter und das Krankheitsstadium nach Binet.

Quellen

Onkopedia-Leitlinie „Chronische Lymphatische Leukämie (CLL)“; Stand Januar 2023

Leitlinien

Onkopedia-Leitlinie „Chronische Lymphatische Leukämie (CLL)“; Stand Januar 2023

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