Gedeihstörung

Definition

Unter Gedeihstörung versteht man Untergewicht, Gewichtsabnahme und/oder einen unzureichenden Gewichts- und Längenzuwachs im Kindesalter. Ursache ist ein Mangel an Nährstoffen.

Anders als in den Entwicklungsländern ist die Gedeihstörung in Ländern mit ausreichender Verfügbarkeit von Nahrung meist ein Begleitsymptom von organischen, insbesondere gastroenterologischen und neurologischen, Erkrankungen.

Der chronische Nährstoffmangel im Kindesalter verzögert nicht nur die somatische Entwicklung – auch die psychosoziale und motorische Reifung, die späteren kognitiven Leistungen sowie die Immunfunktionen und die Infektionsabwehr sind beeinträchtigt.

Die Gedeihstörung ist keine eigenständige Erkrankung, sondern Begleitsymptom einer Grunderkrankung. Dabei können folgende Faktoren eine Rolle spielen:

Unzureichende Nahrungsaufnahme

  • häufige Ursache vieler Erkrankungen
  • meist assoziiert mit Symptomen wie Inappetenz, chronischem Erbrechen, Schluck- und Kaustörungen, Transportstörungen des Ösophagus, Kurzatmigkeit bei Herz- und Lungenerkrankungen

Erhöhter Kalorienbedarf

  • z.B. bei erhöhter Atemarbeit oder gesteigerter Bewegungsunruhe

Gestörte intestinale Aufnahme (Malabsorption)

  • im Kindesalter häufige Ursache der Mangelernährung
  • charakterisiert durch chronische Diarrhö (> 4 Stühlepro Tag über mehr als vier Wochen) und/oder Fettstühle
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Symptomatik

Hauptsymptome:

  • Gewicht < 3. Perzentile und/oder Gewichtsverlust mit Abfall > Hauptperzentilen
  • Wachstumsretardierung > 2 Hauptperzentilen, Längensollgewicht für Alter < 89 %

Weitere hinweisende Symptome:

  • Hautblässe
  • trockene, rissige Haut
  • spärlicher Haarwuchs
  • schlecht entwickelte Muskulatur
  • fehlendes Unterhautfettgewebe
  • großer Bauch bei Malabsorption
  • klinische Hinweise auf Vitaminmangelzustände (z.B. Rachitis)

Typische Symptome bei häufigen pädiatrischen Grunderkrankungen mit Gedeihstörungen:

Zöliakie: Diarrhö, Anämie, psychische Auffälligkeiten, Inappetenz, Alter > 8 Monate

Zystische Fibrose: Fettstühle, chronischer Husten, Salzverlust

Morbus Crohn: (blutige) Diarrhö, Bauchschmerzen, Inappetenz, eher Schulalter

Gastroösophageale Erkrankungen: keine Diarrhö, Erbrechen, häufig Säuglingsalter

Kongenitale Defekte: sekretorische/osmotische Diarrhö, vor allem Neugeborene/Säuglinge

Intestinale Kuhmilchallergie: Diarrhö, oft blutige Stühle, Koliken, vorwiegend Säuglinge

Psychosoziale Vernachlässigung: reduzierte Verfügbarkeit von Nahrung, keine Diarrhö, Anzeichen der Vernachlässigung, Deprivation (alle Altersstufen)

Anorexia nervosa: (Prä)-Pubertät, Mädchen > Jungen, keine Diarrhö, Obstipation, psychische Symptome

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Untersuchung

Objektive Parameter zur Diagnose von Gedeihstörungen sind Körpergewicht und Körperlänge sowie die Gewicht-Längen-Relation. Die Messungen sollten mit geeichten kindgerechten Waagen und einem Stadiometer erfolgen und mit der Altersnorm abgeglichen werden. Dabei sind biologische Varianten (z.B. bei sehr schlanken Eltern) zu berücksichtigen.

Darüber hinaus ist auf die typischen Symptome der Gedeihstörungen zu achten.

Labor

Ein wichtiges Instrument ist die genaue Anamnese. Gefragt werden sollte u.a. nach:

  • Art und Weise der täglichen Nahrungszufuhr
  • möglichen Symptomen von Grunderkrankungen
  • psychosozialen Faktoren (Beruf und Einkommen der Eltern, Arbeitssituation, Familienstand, Geschwisterreihung, Kindergarten- und Schulbesuch, Sozialkontakte)

Laboruntersuchungen:

Bei den Laboruntersuchungen sollte auf folgende Faktoren geachtet werden:

  • Anämie
  • Eisenmangel
  • erniedrigtes Vitamin B12
  • Elektrolytstörungen
  • erniedrigtes Albumin
  • erniedrigtes IGF (insulin-like growth factor) und IGF-Bindungsprotein 3

Weitere Untersuchungen ergeben sich aus den jeweiligen Verdachtsdiagnosen.

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Differenzialdiagnostik

Differenzialdiagnostisch muss an folgende häufige Grunderkrankungen gedacht werden, die mit Gedeihstörungen einhergehen:

Neugeborene:

  • Kurzdarm nach nekrotisierender Enterokolitis
  • Volvulus und Darmresektionen
  • kongenitale Resorptionsdefekt und Defekte der Dünndarmstruktur
  • unzureichende Nahrungszufuhr

Säuglinge:

  • unzureichende Nahrungszufuhr
  • Vernachlässigung
  • intestinale Kuhmilch-Allergie
  • Ösophagitis bei Reflux
  • zystische Fibrose
  • Essstörungen und/oder erhöhter Bedarf bei kardiologischen, neurologischen, onkologischen oder renalen Grunderkrankungen
  • Zöliakie
  • chronische Diarrhö bei Immundefekten
  • Autoimmunenteropathie
  • Postenteritis-Syndrom und Malabsorptions-Syndrome
  • Münchhausen-Syndrom by Proxy

Kleinkinder (9 bis 36 Monate):

  • unzureichende Nahrungszufuhr
  • Vernachlässigung
  • Zöliakie
  • zystische Fibrose
  • Essstörungen und/oder erhöhter Bedarf bei kardiologischen, neurologischen, onkologischen oder renalen Grunderkrankungen
  • chronische Diarrhö bei Immundefekten
  • Münchhausen-Syndrom by Proxy

Kinder (3 bis 16 Jahre)

  • unzureichende Nahrungszufuhr
  • Vernachlässigung
  • psychiatrische Erkrankungen (insbesondere Anorexia nervosa)
  • chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
  • Zöliakie
  • zystische Fibrose
  • Essstörungen und/oder erhöhter Bedarf bei kardiologischen, neurologischen, onkologischen oder renalen Grunderkrankungen
  • chronische Diarrhö bei Immundefekten
  • Lambliasis und andere chronische Darminfektionen
Pharmakotherapie und nichtinvasive Therapie

Die Therapie der zugrundeliegenden Grunderkrankung ist bei symptomatischer Unterernährung immer vorrangig.

Die Ernährungstherapie kann aber als Ergänzung bei unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten der Grunderkrankung oder bei nicht-organisch bedingten Gedeihstörungen erforderlich sein. Wichtige Voraussetzungen sind ein enge Kooperation mit Eltern und Betreuern, die Berücksichtigung der häuslichen Möglichkeiten und eine realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten.

Folgende Vorgehensweisen sind möglich:

Erhöhte Nahrungszufuhr

  • einfachste und physiologischste Methode
  • vor allem bei unzureichender Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, Unterernährung aufgrund psychosozialer Ursachen und bei Deprivation
  • wenig Erfolgsaussichten bei ausgeprägter Inappetenz und Malabsorption

Nahrungsanreicherung

  • Erhöhung der Kaloriendichte meist durch Zugabe von Kalorien und/oder Fetten
  • bei Säuglingen als einfache Methode Erhöhung der Konzentration der Nahrungspulvermenge pro Volumen, alternativ Zusatz von komplexen Kohlenhydraten  und/oder Öl (Raps- oder Sonnenblumenöl)
  • bei Klein- und Schulkindern auch Sahnezusatz, Gebäck mit hohem Fettanteil, häufige Zwischenmahlzeiten (z.B. Milchshakes, Sahneeis, Chips, Nüsse, Müsliriegel)
  • sich früher einstellendes Sättigungsgefühl kann erhöhte Kalorienaufnahme verhindern

Trink- und Sondennahrung

  • Supplemente als kleine Tetrapacks und Trinkflaschen im Angebot (auch als Sondennahrung verwendbar)
  • Energiedichte meist 1,0 bis 1,5 kcal/ml
  • nasogastrale Sonde- oder PEG-Anlage (vor allem bei langfristiger Sondenernährung) als effektivste Möglichkeit
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Invasive und Interventionelle Therapie

Parenterale Ernährung

  • bei schwerer Unterernährung oft initial erforderlich
  • wegen hohen Komplikationsrisikos schnellstmöglicher Übergang zur oralen Ernährung
  • langfristige parenterale Ernährung nur bei intestinaler Insuffizienz

Bei den invasiveren Verfahren besteht die Gefahr eines lebensgefährlichen Refeeding-Syndroms mit Elektrolytverschiebungen, Störung des Wasserhaushaltes mit Ödemen, reduzierter Herzfunktion und Hypoglykämien. Bei schwerer Unterernährung sollte zur Vermeidung initial eine erhöhte Kalium-, Magnesium- und Phosphatzufuhr erfolgen und die Kalorienzufuhr nur langsam gesteigert werden (Altersnorm erst nach 10–14 Tagen)

Prävention

Prävention ist eine ausreichende, altersgemäße Ernährung.

Leitlinien

Leitlinie der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) (Überarbeitung 2007): 

Gedeihstörungen

Kasuistik
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