Erst Freund, dann Feind

Dr. Sonja Kempinski

Ceiling-Effekt mit Dreier-Kombi angehen. Ceiling-Effekt mit Dreier-Kombi angehen. © Oporty786 – stock.adobe.com

Kortison ist bei vielen rheumatischen Erkrankungen unverzichtbar. Trotzdem gilt heute: so schnell wie möglich runter mit der Dosis und, wenn möglich, am besten ganz absetzen. Doch wie lässt sich das erreichen?

Vor 75 Jahren wurde die Glukokortikoidtherapie bei rheumatoider Arthritis (RA) geboren – und hat, was die Effektivität angeht, einen Siegeszug hingelegt. Schon in niedriger Dosierung ≤ 5 mg/d sind Glukokortikoide (GC) bei RA antiinflammatorisch und antidestruktiv wirksam, betonte Prof. Dr. Josef Smolen von der Medizinischen Universität Wien. Dabei  müssen sie sich auch nicht vor den neuen Substanzen verstecken: Vergleicht man bei der RA-Therapie die Kombination Low-Dose-GC plus Methotrexat (MTX) und bDMARD plus MTX miteinander, stehen diese in puncto Effektivität in nichts nach. 

Aufgrund ihrer guten Wirkung sind GC plus MTX laut EULAR weiterhin erste Wahl bei rheumatoider Arthritis. Gefordert wird allerdings, die Steroide so schnell wie möglich wieder auszuschleichen und am besten ganz abzusetzen. Denn der Wermutstropfen beim Glukokortikoideinsatz ist die allseits bekannte Toxizität, die sowohl kurzfristig als auch langfristig zum Tragen kommt. Die langfristige Gabe von mehr als 5 mg/d begünstigt u. a. Hypertonie, Osteoporose und erhöht das kardiovaskuläre Risiko und die Mortalität. Bleibt man – auch dauerhaft – unter 5 mg/d, ist dies nicht der Fall, sagte Prof. Smolens. 

Nach drei, spätestens sechs Monaten sollte bei neu diagnostizierter RA mit der Kombination aus GC und MTX das Therapieziel erreicht sein, sodass man die Steroide reduzieren kann. Ist dies nicht der Fall, muss das DMARD ausgetauscht werden. Es stehen heute für die RA genügend Wirkstoffe zur Verfügung, meinte der Experte, ein effektiver Partner müsse sich daher finden lassen. 

In klinischen Studien klappt das Ausschleichen recht gut 

Glukokortikoide so niedrig dosiert und so kurz wie möglich, dem stimmte Prof. Dr. Frank Buttgereit von der Charité – Universitätsmedizin Berlin zu. In klinischen Studien, in denen man GC zur initialen Überbrückung eingesetzt hatte, klappte das Absetzen recht gut: 78 % der Teilnehmenden waren innerhalb von zwölf Monaten und insgesamt 90 % innerhalb von zwei Jahren steroidfrei. 

Unter Praxisbedingungen sieht das allerdings anders aus. Bis zu 60 % der RA-Patientinnen und -Patienten in Registern oder klinischen Studien mit neuen Medikamenten bekommen eine GC-Erhaltungstherapie (definiert als Einnahme über sechs Monate). Auch andere Untersuchungen zeigen: Der Anteil derjenigen, die chronisch GC einnehmen, ist trotz der Vielzahl von Behandlungsoptionen immer noch viel zu hoch. Eine Ursache dafür könnte laut Prof. Buttgereit sein, dass die DMARD-Therapie nicht effektiv genug ist, um die Steroide zu reduzieren oder ganz abzusetzen. Er plädiert dafür, diesen Ceiling-Effekt analog zur Hypertonie durch eine Kombinationstherapie anzugehen: sehr niedrig dosierte GC plus csDMARD plus Biologikum/tsDMARD. 

Über mögliche Schäden durch eine chronische Steroideinnahme braucht man sich in den niedrigeren Dosierungen offenbar keine Sorgen zu machen. Verschiedene Studien legen dar, dass niedrig dosierte GC auch langfristig sicher sind. So scheinen maximal 5 mg/d weder die Knochendichte zu verringern noch das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse zu erhöhen. In einer weiteren Studie mit über 65-Jährigen wirkte eine tägliche Menge von 5 mg Prednisolon günstig bezüglich Kankheitsaktivität und Gelenkschäden. Zwar gab es vermehrt Nebenwirkungen, dabei handelte es sich aber vor allem um leichte Infektionen, insgesamt überwog der Nutzen der Therapie den Schaden.

GC reduzieren und am besten ganz absetzen bleibt oberstes Gebot, bekräftigte Prof. Buttgereit nochmals. Dabei lohne es sich, um jedes Milligramm zu kämpfen. Im Fall der Polymyalgia rheumatica (PMR) sind GC-sparende Therapien hilfreich. Sowohl Tocilizumab als auch Sarilumab waren in der Lage, bei PMR-Erkrankten die Menge an benötigten GC zu reduzieren. An weiteren Einsparansätzen wird vehement geforscht. Spezielle Zubereitungsformen sollen z. B. das Freisetzen von Prednisolon steuern (Modified-Release Prednisone oder Delayed-Release Prednisone), andere Wirkstoffe werden am GC-Rezeptor aktiv (selektive GCR-Agonisten und -Modulatoren, SEGRAM). 

Neu im Feld und schon mit Erfolg getestet ist die Kombinationstherapie von GC und einem HSD-1-Inhibitor, berichtete Dr. David Katz, Sparrow Pharmaceuticals. Die 11b-Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 1 (HSD-1) wandelt inaktivierte GC in aktives Cortisol um. 

HSD-1-Inhibitoren senken Glukokortikoid-Toxizität

Eine HSD-1-Inhibition senkt vor allem den intrazellulären Cortisolspiegel und soll dadurch die negativen Auswirkungen  übermäßigen Cortisols im Gewebe senken. Bei der PMR hat das schon funktioniert. In einer Studie wurden PMR-Erkrankte in vier Gruppen aufgeteilt. Gruppe 1 erhielt Placebo plus Prednisolon 10 mg/d, Gruppe 2 bis 4 den HSD-1-Inhibitor plus Prednisolon (10, 15 oder 20 mg/d). 

Es stellte sich heraus, dass durch die Zugabe des Inhibitors selbst bei einer Verdopplung der Prednisolondosis die GC-Toxizität verringert wurde – bei gleicher Effektivität. Im Vergleich zu Gruppe 1 (ohne Inhibitor) blieben sowohl die Symptome als auch die Funktion und die systemische Inflammation bei den Patientinnen und Patienten mit Inhibitor plus 20 mg Prednisolon stabil. Gleichzeitig besserten sich die Biomarker für den Knochenstoffwechsel (Calcitonin) und die Insulinresistenz. Wie gut sich die Kombi GC/HSD-1 langfristig schlägt, bleibt abzuwarten. Genauso müssen weitere Studien klären, ob auch Personen mit anderen rheumatischen Erkrankungen von diesem neuartigen Ansatz profitieren. 

Kongressbericht: European Congress of Rheumatology 2024

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Ceiling-Effekt mit Dreier-Kombi angehen. Ceiling-Effekt mit Dreier-Kombi angehen. © Oporty786 – stock.adobe.com