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Erste Erfolge bei Gliedergürteldystrophien

Zu den Gliedergürteldystrophien (LGMD) gehört eine Vielzahl von autosomal vererbten Erkrankungen, die sich in Verteilungsmuster und Manifestationsalter unterscheiden. Per definitionem handelt es sich um hereditäre primäre Muskelerkrankungen mit progredienter Schwäche vor allem der proximalen Muskelgruppen, ausgelöst durch Muskelfaserverlust, erklärte Prof. Dr. Tim Hagenacker, Universitätsmedizin Essen. Um sie von kongenitalen Myopathien abzugrenzen, wurde festgelegt, dass die betroffenen Patienten das freie Laufen als motorischen Meilenstein erreicht haben müssen. LGMD zählen zu den seltenen Erkrankungen, die Prävalenzen liegen meist zwischen 0,01 und 10/Millionen Einwohner. Zum Vergleich: Die ALS kommt auf 30 bis 80/Mio., die spinale Muskelatrophie auf 20/Mio.
In den letzten Jahren sind mehr und mehr Proteine und Gene identifiziert worden, die am Krankheitsgeschehen beteiligt sind – das eröffnet die Chance, auf genetischer Ebene ins Geschehen einzugreifen. Auf dem Weg dorthin warten jedoch noch viele Herausforderungen. Eine liegt in der hohen Masse der Muskulatur als „Gesamtorgan“, was bedeutet, dass viel Vektor benötigt wird. „Hohe Vektorlast heißt ausgefeiltes Nebenwirkungsmanagement, vor allem wenn Sie an die Muskelmasse eines Erwachsenen denken“, betonte Prof. Hagenacker.
Man muss sich daher gut überlegen, wie die Gentherapie verabreicht werden soll – intravenös, intramuskulär oder vielleicht sogar in Blutsperre selektiv in eine Extremität, um die systemische Toxizität so weit wie möglich zu reduzieren? Das funktioniert aber oft nicht, denn viele dieser Erkrankungen sind Multisystemerkrankungen, erklärte der Neurologe. „Kardiomyopathien oder Tendopathien können auftreten, die wir nicht ausblenden wollen, weil sie den Schweregrad der Erkrankung mit ausmachen.“
Es wird außerdem kein Patentrezept für alle LGMD geben, da die Proteinopathien unterschiedliche Endstrecken haben. Die Therapie muss daher für jede LGMD gesondert entwickelt werden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass Gene ganz unterschiedlicher Größe betroffen sind. Dies muss bei der Wahl des Vektors beachtet werden. Manche Gene sind schlicht zu groß, um in ein Adeno- oder Lentivirus zu passen.
Am Beispiel von drei autosomal-rezessiv vererbten LGMD demonstrierte Prof. Hagenacker, welche Fortschritte bereits erreicht sind und wie viel Arbeit noch zu leisten bleibt.
Calpainopathie
Basierend auf einem Defizit der in Skelettmuskelzellen exprimierten Protease Calpain-3 beginnt die Calpainopathie zwischen früher Kindheit und Mitte 20. Sie manifestiert sich an der unteren Extremität mit einer Schwäche von Hüftbeugern, Hüftstreckern sowie Adduktoren. Eine kardiale Beteiligung findet sich üblicherweise nicht – dies ist deshalb relevant, weil sich der CAPN3-Gentransfer per adenoassoziiertem Virus (AAV) im Mausmodell bei systemischer Applikation als kardiotoxisch erwiesen hat. Bei den Tieren ließ sich nach selektiver Genexpression im Muskel eine Verbesserung sowohl des histologischen Bildes als auch der Muskelfunktion erreichen. Der Ansatz soll weiterverfolgt werden, ist aber wohl noch nicht reif dafür, am Menschen erprobt zu werden.
Aus dem Genbaukasten
Um dysfunktionale Proteine wiederherzustellen, überschießend synthetisierte zu reduzieren oder fehlende zu ersetzen, kommen verschiedene gentherapeutische Verfahren in Betracht. Teilweise sind sie bereits in der Praxis verfügbar, wie Prof. Dr. Benedikt Schoser, Universität München, berichtete. Auf RNA-Ebene kann die Transkription z. B. mit Antisense-Oligonukleotiden oder kleinen interferierenden RNA-Schnipseln modifiziert werden. Dadurch wird die fehlerhafte genetische Information korrigiert oder ausgeschaltet. Dazu laufen derzeit einige Studien, EMA und FDA haben bereits rund ein Dutzend Therapien zugelassen.
Aufseiten der DNA können defekte Gene per Genersatz oder Genaddition erneuert oder neue eingeführt werden. Diese Technologie findet derzeit viel Aufmerksamkeit, 18 lizensierte Wirkstoffe stehen bereits zur Verfügung.
Noch in den Kinderschuhen steckt dagegen das Gen-Editing, das zum Ziel hat, Mutationen zu reparieren. Die wenigen Studien, die aktuell laufen, finden meist ex vivo statt, so Prof. Schoser. Die Produktion von Gentherapeutika wurde in den letzten Jahren enorm verbessert und gesteigert, ebenso die Treffsicherheit, mit der sie in die Zielzellen gelangen.
Ein Problem der Genersatztherapie liegt darin, dass das Capsid der viralen Vektoren eine Reaktion des angeborenen und adaptiven Immunsystems induzieren kann, die inflammatorische Komplikationen an Leber und Herz auslösen oder den Erfolg der Therapie durch Verlust der Transgenexpression torpedieren. Steroide, T-Zell- oder B-Zell-gerichtete Immunsuppressiva werden daher zu häufigen Begleitern der Genersatztherapie.
Dysferlinopathie
Infolge einer Mutation des DYSF-Gens kommt es zu einem Mangel des Reparaturproteins Dysferlin mit langsam fortschreitender, proximaler Schwäche und Atrophie vor allem an der unteren Extremität. Atem- und Herzmuskulatur sind in der Regel nicht betroffen. Für den AAV-Vektor ist das DYSF-Gen zu groß. Im Tiermodell haben die Forscher daher zu einem Trick gegriffen und das Gen auf zwei AAV aufgeteilt. Nach Injektion werden die beiden Hälfte wieder zusammengefügt und erzeugen eine stabile Genexpression, die zu einer Verbesserung von Histologie und Funktion führt. „Das Ganze ist auch schon angewendet worden in einer Phase-1-Studie beim Menschen. Da wurde der Doppelvektor auf einer Körperseite in die Streckmuskulatur injiziert – die Teilnehmer stellten so praktisch ihre eigene Kontrolle dar“, berichtete Prof. Hagenacker.
Sarkoglykanopathien
Sie stellen infolge von Defekten im SGCG-Gen die schwerste Form der LGMD dar. Die Folgen des Mangels an einem der Membranproteine Sarkoglykan alfa bis delta manifestieren sich im frühen Kindesalter. Betroffene Patienten verlieren die Gehfähigkeit, bevor sie das 20. Lebensjahr erreichen. Sarkoglykan alfa kommt nur in quergestreiften Muskelzellen vor, die anderen Varianten auch in der glatten Muskulatur. Bei ihnen sind daher oft Herz- und Atemmuskulatur mit betroffen. Auch bei Sarkoglykanopathien gibt es therapeutische Erfolge in Tiermodellen, erste klinische Studien laufen.
„In Summe entwickelt sich das Feld sehr positiv“, befand Prof. Hagenacker. Natürlich sei es eine Herausforderung, jede Entität separat betrachten und behandeln zu müssen, zumal Genexpression nicht mit Funktionsgewinn gleichzusetzen sei und Toxizität jederzeit einen Strich durch die Rechnung machen könne. „Hier wird viel Personalisierung und Präzisionsneurologie erforderlich sein, um diese Erkrankungen effektiv zu therapieren.“
Kongressbericht: NEUROWOCHE 2022
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