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Gendermedizin in der Gastroenterologie
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Gendermedizin als Teilgebiet der personalisierten Medizin sollte auch in der Gastroenterologie mehr Beachtung finden. Zwar gibt es noch einen erheblichen „Gender data gap“ (spärliche Daten über weibliche Patienten), aber einiges ist bereits gut gesichert, gerade bei den Tumorerkrankungen des oberen Gastrointestinaltrakts.
Beispielsweise weiß man seit langem, dass die Inzidenz von Adenokarzinomen im oberen Magen-Darm-Trakt ungleich verteilt ist: Beim Ösophaguskarzinom liegt das Verhältnis von Männern zu Frauen bei 7 – 10 : 1, beim Magenkarzinom beträgt es 2 – 3 : 1. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sind Frauen meist jünger als Männer, schreiben PD Dr. Patrick Plum, Universitätsklinikum AöR, Leipzig, und Mitarbeitende. Die Überlebensdaten von Frauen mit Adenokarzinomen sind meist signifikant besser, was multifaktoriell bedingt sein dürfte.
Weibliche Hormone wirken möglicherweise schützend
Studien legen nahe, dass der intestinale Typ des Magenkarzinoms (Laurén-Klassifikation) mit dem männlichen Geschlecht assoziiert ist. Möglicherweise liegt das daran, dass weibliche Hormone vor dem intestinalen Typ nach Laurén schützen. Nach der Menopause steigt der Anteil des intestinalen Subtyps bei Frauen dann kontinuierlich an. Eine gute oder mäßige Differenzierung gehen meist mit dem männlichen Geschlecht und höherem Alter einher, während eine schlechtere Differenzierung oft mit weiblichem Geschlecht, jüngerem Alter, größeren Tumoren und häufigerer lymphogener Metastasierung assoziiert ist. Junge Frauen mit Karzinomen des oberen Gastrointestinaltrakts gelten als kritische Patientengruppe. Sie weisen eine typische Tumorbiologie mit schlechteren Ansprechraten und Überlebensdaten auf.
Wie sieht es bei gutartigen Erkrankungen aus?
Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD), Barrett-Ösophagus und Achalasie: Auch bei diesen Erkrankungen gibt es einige Unterschiede zwischen Frauen und Männern:
- Reflux: Männer weisen häufiger eine erosive Refluxerkrankung auf als Frauen, und sie sind zum Zeitpunkt des Auftretens rund fünf Jahre jünger als Frauen.
- Die Progressionsrate zum metaplastischen Barrett-Ösophagus ist bei Männern höher als bei Frauen. Die Inzidenz des Barrett-Ösophagus steigt bei Frauen erst im höheren Alter an, wenn die Östrogeneffekte nachlassen.
- Männer mit Achalasie weisen oft eine ausgeprägtere Dilatation des Ösophagus auf als Frauen. Doch bewirkt die operative Korrektur mittels laparoskopischer Heller-Myotomie und 180°-Semifundoplikation nach Dor bei Frauen eine deutlichere Besserung der Beschwerden als bei Männern.
Was die molekulare Klassifizierung des Magenkarzinoms und die Mikrosatelliteninstabilität anbelangt, so haben Frauen seltener EBV(Epstein-Barr-Virus)- oder CIN(chromosomal-instabil)-assoziierte Magenkarzinome, sie weisen jedoch häufiger eine hohe Mikrosatelliteninstabilität (MSI-high) auf. Eine große italienische Studie ergab für MSI-high-Magenkarzinome eine verbesserte Prognose. Eine gepoolte europäische Studie zeigte, dass MSI-high-Magenkarzinome von Männern eine signifikant schlechtere Prognose als MSI-high-Magenkarzinome von Frauen haben. MSI-Tumoren verfügen über eine hohe Immunogenität. Außerdem weiß man, dass es Unterschiede zwischen dem weiblichen und dem männlichen Immunsystem gibt. Daher hat die Mikrosatelliteninstabilität nicht nur eine prognostische Bedeutung, sondern könnte auch für das mögliche Ansprechen auf eine Immuncheckpoint-Blockade relevant sein, vermuten die Autorinnen und Autoren.
Bei Frauen: An Becken-CT denken!
Bei Patientinnen mit Magenkarzinom sollte vor der Therapie immer auch eine CT des Beckens durchgeführt werden, um die Ovarien beurteilen zu können und Krukenberg-Tumoren auszuschließen.
Ansonsten unterscheidet sich die prätherapeutische Diagnostik bei Männern und Frauen nicht (Endoskopie mit Histologie, endoluminaler Ultraschall, CT).
Unterschiede auch in Bezug auf die Therapie
Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass auch die Zuordnung zu bestimmten Therapien vom Geschlecht abhängen könnte. So erhielten einer niederländischen Studie zufolge Frauen mit metastasiertem Karzinom des oberen Magen-Darm-Trakts seltener eine Systemtherapie. Männer mit Adenokarzinom des Ösophagus werden eher neoadjuvant therapiert, während Frauen häufiger primär und offen reseziert werden. Genderspezifische Aspekte sollten in Zukunft standardmäßig in großen Studien und Leitlinien integriert werden, fordern die Autorinnen und Autoren.
Quelle: Plum PS et al. Chirurgie 2024; 95: 685-695; DOI: 10.1007/s00104-024-02158-y
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