Grippe macht anfällig für Kardiomyopathien und Infarkt

Manuela Arand

Ein deutlicher Anstieg des Ruhepulses spricht für eine kardiale Beteiligung. Ein deutlicher Anstieg des Ruhepulses spricht für eine kardiale Beteiligung. © iStock.com/Tero Vesalainen

In diesen Tagen sollten Sie auf Ihre Influenzapatienten gut Acht geben. Nicht nur, weil die Grippe selbst einen schweren Verlauf nehmen kann. Auch das akute Infarktrisiko der Betroffenen steigt beträchtlich an.

Eine aktuelle Auswertung kanadischer Krankenversicherungsdaten ergab, dass das Myokardinfarktrisiko bei Patienten mit laborchemisch bestätigter Influenza in der ersten Erkrankungswoche sechsfach erhöht war.1 Das lässt sich erklären: „Influenza induziert zwei Mechanismen, die für arteriosklerotische Komplikationen wichtig sind“, erläuterte Professor Dr. Tobias­ Welte, Chef der Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Der Entzündungsreiz verstärkt die Blutgerinnung

Zum einen kommt es zur massiven Aktivierung von Makrophagen. Diese Zellen sind koronarständig und führen im aktivierten Zustand dazu, dass die Lipidplaques in den Herzkranzgefäßen aufbrechen. Zum anderen verfügt kein anderes Virus über ein so starkes inflammatorisches Potenzial wie das Influenzavirus. Die freiwerdenden Zytokine stellen die Thrombozyten scharf und erhöhen so die Koagulabilität des Blutes.

Übrigens zeigen die kanadischen Daten, dass andere respiratorische Viren wie RSV oder Adenoviren ebenfalls das Infarktrisiko steigern, wenn auch nicht so stark, etwa um den Faktor 3. Es lohnt also in jedem Fall, Patienten mit Atemwegsinfekt im Auge zu behalten, auch wenn kein Influenzanachweis vorliegt, betonte der Kollege. Er kritisierte, dass die eigentliche Ursache für Hospitalisation und schlimmstenfalls Tod, die Influenza, meistens „untergehe“. Denn auf dem Totenschein stehe „kardiovaskuläre Komplikation“, und nicht Grippe.

Kortison bei Influenza fatal

Es ist üblich, COPD-Patienten einen Kortisonstoß zu verpassen, wenn sie eine schwere Atemwegssymptomatik entwickeln. Liegt allerdings eine Influenza vor, kann sich das fatal auswirken. In einer aktuellen Auswertung ging die Kortisongabe bei allen Subgruppen von Grippepatienten mit einer erhöhten Mortalität einher, besonders aber bei COPD als Grunderkrankung.* Für die Praxis heißt das: Wahrscheinlichkeit einer Influenza abschätzen und im Zweifelsfall aufs Kortison verzichten. Prof. Welte forderte Konsequenzen: „Wir brauchen bessere Influenzaschnelltests zu vernünftigen Preisen.“ Die derzeit verwendeten Tests haben eine Sensitivität und Spezifität von etwa 80 %. Es gibt bessere Tests, aber die sind vergleichsweise teuer (ca. 150 € pro Patient).

* Moreno G et al. Intensive Care Med 2018; 44: 1470-1482

Im Frühjahr 2018 dominierten Influenza-B-Stämme das Geschehen, zu fast 100 % war es der Stamm Yamagata, der im empfohlenen tetravalenten Impfstoff nicht enthalten war. (Seit diesem Jahr empfiehlt die STIKO die quadrivalente Vakzine mit zwei A- und zwei B-Stämmen.) Influenza-B-Viren verfügen anders als A-Viren über einen Invasionsmechanismus für Kardiomyozyten und können selbst bei jungen gesunden Menschen schwere akute Kardiomyo­pathien auslösen.

Die unbemerkte Epidemie

„2018 war eines der schlimmsten Influenzajahre aller Zeiten, aber keiner hat’s gemerkt, weil alle Medien mit Donald Trump beschäftigt waren“, sagte Prof. Welte. Auf der Website des Robert Koch-Instituts lässt sich Woche für Woche die Erkrankungsaktivität als anschauliche Karte abrufen. Ende Februar 2018 färbte sich ganz Deutschland tiefrot und blieb es fast sechs Wochen lang. In der Spitze wurden wöchentlich 60 000 Fälle im Labor bestätigt, wobei die Dunkelziffer bei Influenza hoch ist – auf einen bestätigten Fall kommen fünf bis sechs unerkannte. Tatsächlich dürften sich jede Woche 350 000 Menschen neu infiziert haben. Alles in allem geht Prof. Welte davon aus, dass es im letzten Winter zwei bis drei Millionen Influenzakranke gab. Noch ein paar Zahlen:
  • 30 Milliarden Euro Zusatzkosten für Hospitalisierungen
  • 1615 direkt auf die Influenza zurückgeführte Sterbefälle
  • rund 25 000 „indirekte“ Todesfälle.
Auch hier ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen: „Wir hatten etwa 10 000 direkte Influenzatodesfälle“, vermutete Prof. Welte.

Akutes Linksherzversagen kaum in den Griff zu kriegen

„Jeder dritte Patient, den wir im letzten Jahr mit Influenza auf der Intensivstation behandeln mussten, hatte ein akutes Linksherzversagen“, berichtete Prof. Welte. Sie waren schwer zu therapieren, denn auch eine extrakorporale Membranoxygenierung verbesserte in vielen Fällen die Herzfunktion nicht.

Bei hohem Ruhepuls unbedingt körperlich schonen

Bei Patienten mit akuter Atemwegs­infektion – nicht nur Influenza – sollten Sie unbedingt die Herzfrequenz dokumentieren, riet der Kollege. Ein deutlicher Anstieg des Ruhepulses spricht für eine kardiale Beteiligung. Dann ist körperliche Schonung angesagt inklusive Sportverbot, bis sich der Ruhepuls wieder normalisiert! „Wir wissen aus skandinavischen Daten, dass Patienten, die sich zu früh wieder belasten, hochgefährdet sind für den Sekundenherztod“, betonte der Präsident der European Respiratory Society. In Schweden, wo Orientierungsläufe Volksport sind, wird dieser als typisches Phänomen in den Wintermonaten gehäuft beobachtet.

Schwangere schützen

Sie haben noch Platz auf der Liste der guten Vorsätze für 2019? Nehmen Sie diesen auf: Alle Schwangeren in Ihrer Praxis im Oktober/November gegen Influenza impfen! „Schwangere haben das höchste Risiko für eine schwere Influenzainfektion“, betonte Prof. Welte. Dafür gibt es einen Grund: Das Immunsystem shiftet von Th1 zu Th2. Deshalb kann sich das Asthma in der Schwangerschaft dramatisch verschlechtern. Th1-Lymphozyten übernehmen einen essenziellen Anteil der Grippeabwehr. Deshalb steht Schwangerschaft an Nr. 1 bei den STIKO-Empfehlungen zur Influenzaimpfung. Sie ist übrigens die einzige Impfung, die schon im ersten Trimenon erlaubt ist. „Sie schützen nicht nur die Schwangere selbst, sondern auch den Säugling, der in den ersten Monaten von den Antikörpern seiner Mutter lebt“, so der Pneumologe.

Für die Therapie verfügbar ist weiterhin der Neuraminidasehemmer Oseltamivir. Dessen Einsetzbarkeit krankt jedoch daran, dass er nur bei sehr früher Gabe binnen zwei Tagen nach Symptombeginn hilft. Als Beispiel für ein neues Wirkprinzip stellte Prof. Welte Baloxavir vor, in den USA bereits zugelassen und in Europa zur Zulassung eingereicht. Diese Substanz blockiert die RNA-Duplikation des Virus. Sie senkt so die Viruslast schneller und effektiver als Oseltamivir, was die Krankheitsdauer um 1,5 bis 2 Tage verkürzt.2 Das Problem der Studie: Da Oseltamivir als Vergleich diente, mussten die Patienten binnen 1,5 Tagen nach Symptombeginn mit der Einnahme beginnen – „wir wissen deshalb nicht, wie Baloxavir wirkt, wenn die Behandlung später einsetzt“, so Prof. Welte. Entsprechende Studien laufen in dieser Saison. 

Quellen:
1. Kwong JC et al. N Engl J Med 2018; 378: 345-353
2. Hayden FG et al. N Engl J Med 2018; 379: 913-923

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Ein deutlicher Anstieg des Ruhepulses spricht für eine kardiale Beteiligung. Ein deutlicher Anstieg des Ruhepulses spricht für eine kardiale Beteiligung. © iStock.com/Tero Vesalainen