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Hochbetagt und schmerzgeplagt

Die Beurteilung von Schmerzen wird bei älteren Tumorpatienten häufig durch Probleme in der Kommunikation erschwert, erklärt Dr. Christoph Gerhard, Palliativmediziner aus Dinslaken. „Schmerz ist das, was der Betroffene über Schmerzen mitteilt“, heißt die Devise. Was aber, wenn der Patient schon die Frage danach nicht versteht, z.B. aufgrund von Schwerhörigkeit oder Demenz?
Erstere lässt sich leichter überwinden, indem man langsamer und lauter spricht oder auf angeschaltete Hörgeräte achtet. Bei Dementen macht es mehr Umstände, die Beschwerden aufzudecken. Schon das Wort „Schmerz“ kann für sie unverständlich sein, denn es wird spät in der Sprachentwicklung gelernt, ergo früher als manch andere Wörter im dementiellen Abbau wieder verlernt. Manchen fällt es deshalb leichter, auf die Frage, ob etwas „wehtut“ oder „aua macht“, adäquat zu antworten.
Spezielle Schmerzskalen bei kognitiven Defiziten
Demente Patienten können zudem oft nur eine aktuelle Zustandsbeschreibung abgeben. Vergangene Schmerzen der letzten Tage haben sie oft schon wieder vergessen. Bei fortgeschrittenen kognitiven Defiziten helfen spezielle Schmerzerfassungskalen, z.B. die „Beurteilung von Schmerz bei Demenz“ (BESD, s. Tabelle).
Beurteilung von Schmerz bei Demenz | |
---|---|
Atmung (unabhängig von Lautäußerung) | 0 = normal 1 = gelegentliches angestrengtes Atmen/kurze Phasen von Hyperventilation 2 = lautes angestrengtes Atmen/lange Phasen von Hyperventilation/Cheyne-Stokes-Atmung |
Negative Lautäußerung | 0 = keine 1 = gelegentliches Stöhnen oder Ächzen/leise negative oder missbilligende Äußerungen 2 = wiederholtes beunruhigtes Rufen/lautes Stöhnen und Ächzen/Weinen |
Gesichtsausdruck | 0 = lächelnd/nichtssagend 1 = trauriger/ängstlicher/sorgenvoller Blick 2 = Grimassieren |
Körpersprache | 0 = entspannt 1 = angespanntes/nervöses Hin- und Hergehen/Nesteln 2 = starr/geballte Fäuste/angezogene Knie/sich entziehen oder wegstoßen/schlagen |
Trost | 0 = Trost nicht notwendig 1 = Ablenken oder Beruhigen gelingt durch Stimme oder Berührung 2 = Trösten, Ablenken, Beruhigen nicht möglich |
Die Deutsche Schmerzgesellschaft empfiehlt folgende Interpretation:
| |
* nach Basler HO et al. Schmerz 2006; 20: 519-526; DOI: 10.1007/s00482-006-0490-7 |
Unabhängig von einer zentralen Vorerkrankung können im Verlauf eines Tumorleidens sowohl sprachliche als auch körpersprachliche Veränderungen auftreten, z.B. durch Hirnmetastasen. Anzeichen für Schmerz mögen dann ganz anders aussehen oder klingen als vorher und man muss genau hinschauen.
Auf veränderte Mimik und Körpersprache achten
In der Körpersprache deuten möglicherweise sparsame Bewegungen oder sehr ruhiges Verhalten, abnorme oder veränderte Haltung, Schaukeln, Nesteln oder Unruhe an, dass etwas wehtut. Im Gesicht können verstärkter/verminderter Blickkontakt, Tränen, Grimassieren, angespannte Muskulatur, ängstliche Blicke, zusammengekniffene Augen oder zusammengebissene Zähne ein Zeichen für Schmerzen sein. Manche Betroffene werden auch ganz still und in sich gekehrt oder verlieren ihr Interesse an der Umgebung. Andere möchten nicht essen, wechseln häufig die Stimmung, haben Schlafstörungen, weinen, stöhnen oder seufzen.
Physisch können folgende Symptome Schmerzen anzeigen:
- Blutdruck-/Pulsänderung (-anstieg)
- veränderte, oft schnellere Atmung
- Schwitzen
- Blässe
- Übelkeit
- Veränderung von Körpertemperatur und/oder Gesichtsfarbe, marmorierte Haut
- Atrophie der betroffenen Region
- Muskelspasmen
In der Wahl von Analgetika spielen bei alten Menschen viele Faktoren eine Rolle. Wichtig sind beispielsweise potenzielle Interaktionen mit einer vorbestehenden Medikation. Zu beachten sind auch die im Alter meist eingeschränkte Nierenfunktion und ein reduzierter Lebermetabolismus. Außerdem werden Medikamente durch verminderte Herz-Kreislauf-Leistung weniger gut resorbiert und verteilt. Transdermal applizierte Medikamente nimmt das nunmehr geringer durchblutete und atrophierte Unterhautfettgewebe schlechter auf. Man sollte generell mit kleinen Dosen starten, langsam auftitrieren und eine Polypharmazie vermeiden.
Auf der WHO-Stufe 1 der Analgetika sind bei kardiovaskulären Vorerkrankungen alle NSAR kontraindiziert, zudem wirken sie nephrotoxisch. Paracetamol und Metamizol eignen sich dagegen gut, müssen aber mehrmals am Tag genommen werden. Paracetamol richtet allerdings gegen Tumorschmerzen meist nur wenig aus.
In der WHO-Stufe 2 gilt Tilidin als unproblematisch, auch bei Niereninsuffizienz. Tramadol wirkt zwar breiter gegen neuropathische Schmerzen, hat aber mehr anticholinerge Nebenwirkungen, was seinen Einsatz im Alter limitiert.
Grundsätzlich rät Dr. Gerhard dazu, bei starken Tumorschmerzen die Stufe 2 zu überspringen und direkt zu Opioiden der Stufe 3 zu greifen. Morphin ist ungünstig, da durch seine aktiven Metaboliten bei noch bestehendem Schmerz neurotoxische Nebenwirkungen wie Somnolenz, Verwirrtheit oder Myoklonien drohen. Empfehlenswert sind stattdessen Wirkstoffe mit den wenigsten aktiven Metaboliten, z.B. vollsynthetische Opioide wie Fentanyl oder halbsynthetische wie Hydromorphon und Buprenorphin. Fentanyl und Buprenorphin in transdermalen Systemen helfen auch Patienten mit Schluckstörungen, man muss aber die eventuell schlechtere Resorption und damit unzuverlässigere Wirkung im Auge haben.
Langfristig auf Pregabalin oder Gabapentin setzen
Gegen neuropathische Schmerzen können Opioide schon als Monotherapie Erfolge bringen, ansonsten setzt man auf Koanalgetika. Für die Dauertherapie eignen sich Pregabalin oder Gabapentin – die auch ihre Domäne bei neuralgiformen Beschwerden haben – sowie Antidepressiva. Laut Dr. Gerhard sollte bei ihnen die noradrenerge Komponente im Vordergrund stehen. Wenn Amitriptylin aufgrund von Kontraindikationen nicht infrage kommt, sind Duloxetin, Venlafaxin oder Mirtazapin Alternativen.
Quelle: Gerhard C. Schmerz 2022; 38: 18-22
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