Hymenopteren-Allergie ausgestochen

Dr. Dorothea Ranft

Kardiovaskuläre und Autoimmunkrankheiten mitunter ein Hindernis. Kardiovaskuläre und Autoimmunkrankheiten mitunter ein Hindernis. © fotolia/kozorog

Bei schweren Insektengiftallergien kann nur eine spezifische Immuntherapie weitere systemische Reaktionen verhindern. Die neue europäische Leitlinie erläutert, welche Patienten von einer Hymenopteren-SCIT profitieren und was bei dieser Behandlung zu beachten ist.

Allergien gegen Hymenopteren­gift können durch Stiche von Bienen, Wespen und bestimmte Ameisen ausgelöst werden. Die häufigste Manifestationsform ist eine gesteigerte Lokalreaktion mit einem Durchmesser > 10 cm, die länger als 24 Stunden anhält. Leichte systemische Reaktionen beschränken sich auf kutane Symptome wie Urtikaria, Hautrötung oder Angioödeme, heißt es in der neuen Leitlinie der EAACI*. Mittelschwere Reaktionen machen sich z.B. mit Schwindel, Dyspnoe und Übelkeit bemerkbar, schwere können im schlimmsten Fall einen tödlichen Schock auslösen.

Erfolgsraten zwischen 84 und 96 %

Insektengiftallergikern wird deshalb das Tragen eines Notfallsets empfohlen, das je nach Schweregrad der Stichreaktion einen Adrenalin-Autoinjektor, H1-Antihistaminika und Glukokortikoide enthält. Eine wirksame Prävention ernster Stichfolgen ist nur mit der subkutanen spezifischen Immuntherapie (SCIT) möglich.

Studien bescheinigen der SCIT eine Erfolgsrate von bis zu 84 % bei Bienengiftallergie und bis zu 96 % bei Reaktionen auf Wespengift. Sie hat sich bei Erwachsenen und Kindern als sicher und effektiv erwiesen. Todesfälle wurden bisher nicht berichtet.

Indiziert ist die SCIT ab dem Kindesalter für Patienten mit sys­temischen Stichreaktionen, die über eine generalisierte Hautbeteiligung hinausgehen. Bei Erwachsenen mit hohem Expositionsrisiko oder erheblich beeinträchtigter Lebensqualität kann sie schon bei reinen Hautsymptomen erwogen werden. Voraussetzung ist, dass die Sensibilisierung gegenüber einem bestimmten Insektengift mittels Prick­test, spezifischem IgE-Nachweis oder Basophilen-Aktivierungstest gesichert wurde. Negative Testergebnisse schließen jedoch eine Insektengiftallergie nicht automatisch aus, weshalb Patienten mit einer Anaphylaxie nach Stich besonders abgeklärt werden müssen. Zufällig entdeckte Sensibilisierungen ohne systemische Manifestationen sind keine SCIT-Indikation, betonen die Leitlinien-Autoren.

Die Immuntherapie wird heute auch Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung empfohlen, sofern diese stabil eingestellt sind. Die Einnahme von Betablockern oder ACE-Hemmern darf während der SCIT fortgeführt werden. Der Patient sollte aber über mögliche Risiken, etwa die verringerte Adrenalinwirkung unter Betablockern, aufgeklärt werden. Krebspatienten mit schwerer Insektengiftallergie können die Immuntherapie erhalten, wenn sich das Malignom in Remission oder zumindest einem stabilen Stadium befindet.

Klassisch oder Turbo?

Der Patient hat heute die Wahl: Bei der klassischen SCIT wird die Erhaltungsdosis zwar erst nach einigen Wochen bis Monaten erreicht, aber die Therapie kann ambulant erfolgen. Schneller sind Rush- und Ultrarush-Protokolle, bei denen täglich mehrere Injektionen an aufeinanderfolgenden Tagen appliziert werden. Sie sollten nur stationär durchgeführt werden, da die Nebenwirkungsrate höher ist als beim klassischen Schema. Die Nebenwirkungen hängen weder vom Schweregrad der initialen Reaktion noch vom spezifischen IgE-Spiegel oder vom Resultat im Pricktest ab.

Organbezogene Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes oder Hashimoto-Thyreoiditis stehen einer SCIT bei guter Einstellung nicht entgegen. Aktive multisystemische Autoimmunerkrankungen gelten dagegen als Kontraindikation. Auch bei Patienten mit Mastozytose hat sich die Immuntherapie als sicher und effektiv erwiesen. Kinder unter fünf Jahre sollten nur bei schwerwiegenden Symptomen und guter Compliance eine Immuntherapie erhalten. Während der Schwangerschaft wird man keine SCIT beginnen, sie kann aber bei guter Toleranz fortgesetzt werden.

Die SCIT-Toxine stehen in wasserlöslicher Form und aluminiumadsorbiert (Depotpräparate) zur Verfügung. Gereinigte Präparationen verursachen weniger lokale Nebenwirkungen als ungereinigte. Den meisten Patienten bietet die Immuntherapie mit einem Toxin genügend Schutz. Bei systemischen Symptomen auf mehrere Insektenarten, schwerer initialer Stichreaktion und doppelt positiven Allergietests auf beide Toxine, wird eine SCIT mit zwei Insektengiften empfohlen. Diese können simultan jeweils in den rechten und linken Arm appliziert werden.

Während der Immuntherapie wird eine Prämedikation mit H1-Antihistaminika empfohlen, um ausgeprägte Lokalreaktionen und ggf. systemische Symptome zu verhindern. Die Aufdosierung erfolgt entweder klassisch oder im Turbogang (s. Kasten). Die Standard-Erhaltungsdosis beträgt 100 µg. Haben Patienten auf interkurrente „Feldstiche“ oder eine Stichprovokation reagiert, sollte die Dosis auf 200 µg erhöht werden.

Laut Expertenkonsens erfolgen die Injektionen im ersten Jahr der Erhaltungstherapie alle vier Wochen, im zweiten Jahr alle sechs Wochen. Bei einer SCIT über fünf Jahre wird in den Jahren drei bis fünf ein achtwöchiger Abstand empfohlen, bei einer lebenslangen Therapie gelten zwölf Wochen Abstand als effektiv und sicher.

Lebenslange SCIT ist nicht ausgeschlossen

Die Leitlinienautoren plädieren im Allgemeinen für eine mindestens dreijährige Immuntherapie, bei Patienten mit schwerer initialer Stichreaktion sollten es fünf Jahre oder mehr sein. Eine lebenslange Immuntherapie kann man hochgradig exponierten Bienengiftallergikern empfehlen sowie Patienten mit ausgeprägter Initialreaktion oder systemischen Nebenwirkungen unter der Hyposensibilisierung. Während und nach der SCIT profitieren Patienten mit hohem Stich- bzw. Rückfallrisiko von einem Notfallset mit Adrenalinautoinjektor.

Provokation zur Erfolgskontrolle

Zur Kontrolle des Therapieerfolgs sollten sich Erwachsene möglichst einem „Probestich“ unterziehen, er liefert die zuverlässigsten Resultate. Falls dies nicht möglich ist, kann die Reaktion auf interkurrente Feldstiche als Surrogatparameter dienen. Spezifische IgE- und IgG-Titer sowie der Basophilen-Aktivierungstest eignen sich dagegen nicht zum Nachweis einer geglückten Hyposensibilisierung.

* European Academy of Allergy and Clinical Immunology
Quelle: Sturm GJ et al. Allergy 2017; online first

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Kardiovaskuläre und Autoimmunkrankheiten mitunter ein Hindernis. Kardiovaskuläre und Autoimmunkrankheiten mitunter ein Hindernis. © fotolia/kozorog