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„Ich geh’ nur einmal die Woche aufs Klo“

Eine chronische Obstipation kommt im Kindes- und Jugendalter recht häufig vor. Meist lässt sich auch nach gründlicher Suche keine organische Ursache finden, die funktionellen Formen überwiegen deutlich.
Ab einem Alter von vier Jahren können zur Diagnostik die Rom-IV-Kriterien der pädiatrischen Gastroenterologen angewendet werden. Gemäß des Kriterienkatalogs liegt eine funktionelle Obstipation dann vor, wenn die Beschwerden über mindestens einen Monat hinweg bestehen und zwei oder mehr der folgenden Kriterien erfüllt sind:
- zwei oder weniger Defäkationen in die Toilette pro Woche
- mindestens eine Inkontinenzepisode pro Woche
- Zurückhalten von Stuhl oder exzessive willkürliche Stuhlretention in der Anamnese
- schmerzhafter oder harter Stuhlgang in der Anamnese
- große Stuhlmassen im Rektum
- in der Anamnese große Stuhldurchmesser
Voraussetzung für die Diagnose ist zudem, dass sich die Symptome nach angemessener Diagnostik nicht vollständig anders erklären lassen.
Zunächst werden im Rahmen einer ausführlichen Anamnese der Beginn der Störung, die aktuelle Symptomatik, mögliche Komorbiditäten sowie Warnzeichen für eine organische Ursache (s. Kasten rechts) ermittelt. Bei Kindern ab vier Jahren können Fragebogen zur Obstipation sowie zu psychischen Symptomen und Störungen zum Einsatz kommen. Die Eltern sollten zudem ein Toiletten- oder Stuhlprotokoll führen.
Anamnestische Ursachenforschung
Die folgenden Warnsymptome in der Anamnese können auf eine organische Ursache für die chronische Obstipation hinweisen:
- später erster Mekoniumabgang (> 48 Stunden postnatal)
- Beginn der Obstipation bald nach der Geburt bzw. im Säuglingsalter
- bleistiftartiges Kaliber des Stuhls (kommt auch bei schwerer funktioneller Obstipation vor)
- primäre, anhaltende Harninkontinenz
- Gedeihstörung, Inappetenz, Erbrechen, Fieber, Ileus
- begleitende Entwicklungsstörung, verspätetes Erreichen der Meilensteine der statomotorischen Entwicklung
- Polyurie/Polydipsie
- familiäre Belastung für Morbus Hirschsprung
- blutige Stühle bei Fehlen analer Rhagaden
- galliges Erbrechen
Daneben ist eine umfassende pädiatrische und neurologische Untersuchung sowie die anale Inspektion mit Dokumentation der Position des Anus und von Hautveränderungen in der Analregion obligat. Auch hierbei gilt es, auf spezifische Warnzeichen für eine organische Ursache (s. Kasten unten) zu achten.
Alarmzeichen bei der klinischen Untersuchung
Möglicherweise liegt der Dauerverstopfung doch eine organische Ursache zugrunde. Diese Red Flags sollten unbedingt zu weiterer Untersuchung Anlass geben:
- extreme Angst bei der analen Inspektion (kommt auch bei traumatisierten Kindern mit funktioneller Obstipation vor)
- ausgeprägte abdominelle Vorwölbung (Distension)
- Schilddrüsenveränderungen
- leeres Rektum bei digitaler Untersuchung
- auffälliger Anus (Position, Stenose)
- fehlender analer Bauchhaut- oder Kremasterreflex
- lumbosakral gelegene Grübchen, Haarbüschel, Lipome
- asymmetrische Analfalte
- anale Narben, perianale Dermatitis, perianale Psoriasis, Lichen sclerosus et atrophicans
Im Rahmen der erweiterten Diagnostik wird eine Sonographie des Abdomens mit Messung des Rektumdurchmessers und Darstellung von Nieren und Harntrakt empfohlen. Eine rektale Tastuntersuchung hingegen soll zumindest bei Kleinkindern nicht routinemäßig durchgeführt werden. Denn bei Patienten mit schmerzhaften Erlebnissen in Zusammenhang mit der Defäkation kann sie das Trauma verstärken. Auch andere Maßnahmen, z.B. Laboruntersuchungen zur Kuhmilchallergie, Röntgen, MRT, Endoskopie, sollten nur bei klarer Indikation und in Absprache mit einem Spezialisten durchgeführt werden.
Basis für eine erfolgreiche Therapie der funktionellen Obstipation bildet die altersgerechte Informationsvermittlung und ein dem Tagesverlauf angepasstes Toilettentraining. Im Rahmen eines multimodalen Behandlungsprogramms sollten die Kinder und Jugendlichen sowie ihre Eltern zudem hinsichtlich einer ballastoffreichen Ernährung, angemessenen Trinkverhaltens und ausreichender Bewegung beraten werden.
In fast allen Fällen ist eine medikamentöse Therapie erforderlich. Diese beginnt mit einer Entleerung der retinierten Stuhlmassen, der sogenannten Desimpaktion. Daran schließt sich eine Erhaltungstherapie mit oralen Stuhlweichmachern und Laxanzien für mindestens sechs Monate an. Mittel der ersten Wahl ist in beiden Fällen Polyethylenglykol (PEG), auch bekannt als Macrogol. Für die Erhaltungstherapie kann als Mittel der zweiten Wahl auf die osmotisch wirksame Lactulose als Laxans zurückgegriffen werden. Bei Therapieresistenz kommen nach gründlicher Abwägung ergänzende nicht-medikamentöse Verfahren wie Neurostimulation oder Physiotherapie des Beckenbodens infrage.
Die Behandlung der chronischen Obstipation scheitert oft. Mögliche Gründe sind unter anderem eine unzureichende initiale Desimpaktion, eine zu niedrige Medikamentendosis oder mangelnde Adhärenz. Aber auch eine übersehene Grunderkrankung oder Komorbiditäten können der Therapieresistenz zugrunde liegen. Zudem sollten dann sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung, emotionale Vernachlässigung oder ein strafender Erziehungsstil als Ursache in Betracht gezogen werden.
Bei ausbleibendem Therapieerfolg sollte die Rektumweite sonographisch kontrolliert und die Therapie ggf. angepasst werden. In stark ausgeprägten und therapieresistenten Fällen können weitere, zum Teil invasive Interventionen diskutiert werden, etwa regelmäßige Darmirrigation, Botulinumtoxin-A-Injektionen oder ein chirurgischer Eingriff. Diese Maßnahmen sollten ausschließlich in Zentren mit entsprechender Erfahrung erfolgen.
Quelle: S2k-Leitlinie „Funktionelle (nicht-organische) Obstipation und Stuhlinkontinenz im Kindes- und Jugendalter“, AWMF-Register-Nr. 068-019, www.awmf.org
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