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Von Ballaststoffen bis Kolektomie

Ärzte definieren Obstipation hauptsächlich anhand der Stuhlfrequenz. Patienten hingegen sehen ein Problem, wenn etwas anders ist als sonst. Wenn sie Blähungen haben oder z.B. Stuhlgang zuvor jeden Tag möglich war, empfinden sie bereits eine Entleerung an jedem zweiten Tag als Verstopfung, erklärte PD Dr. Henriette Heinrich, Clarunis Universitäres Bauchzentrum Basel. Weitere Kriterien sind vermehrte Anstrengung beim Pressen, inkomplette Stuhlentleerung, harter Stuhlgang, ein Stuhlgewicht von weniger als 35 g/d und eine langsame Transitzeit über 72 Stunden. Das Spektrum der Stuhlformen reicht gemäß Bristol-Skala von Typ 1 (einzelne feste Kügelchen) bis Typ 7 (flüssig). Als Idealzustand gilt Typ 4 (wurstartig mit glatter Oberfläche). Die Rome-Definition unterscheidet Obstipation mit verlangsamtem Transit, normalem Transit und Obstruktion im Analkanal, wobei Überschneidungen möglich sind. Obstruktive Störungen können durch eine Verlegung z.B. aufgrund einer Rektozele oder eines Karzinoms entstehen oder durch eine Schließmuskelstörung.
Das billigste und zudem diagnostisch sehr wertvolle Untersuchungsinstrument in der Toolbox ist unser Zeigefinger, so die Kollegin. Allerdings nutzen ihn die allerwenigsten Kollegen. Man kann damit nicht nur den Analkanal austasten, sondern auch die Sphinkterfunktion beurteilen, indem man den Patienten bittet, zu kneifen oder zu pressen. Mit dem Finger lässt sich zudem eine anorektale Dyssynergie erkennen, wenn man nämlich spürt, dass der Patient kneift, obwohl er pressen soll. Außerdem kann man schnell feststellen, ob der Enddarm voll mit hartem Stuhl ist.
Eine Röntgenleeraufnahme hilft oft nicht weiter, betonte Dr. Heinrich. Denn auch Patienten mit viel Stuhl und Luft im Kolon hätten manchmal keinerlei Beschwerden – und umgekehrt. Was besser funktioniert, aber nicht überall verfügbar ist, sind Kapseln, die eingenommen werden müssen und während ihres Transits durch den Darm radioopake Marker für die Bildgebung freisetzen. Aus deren Verteilung und der Zeit bis zur Ausscheidung kann man auf die Dauer des Transits schließen. Die Patienten müssen allerdings zuvor ihre Laxanzien absetzen. Eine Endoskopie ist zwar essenziell, um ein Karzinom, einen Prolaps oder Mukosaschäden auszuschließen. Eine Erklärung für die Beschwerden des Patienten liefert sie jedoch meist nicht.
Will man etwas erfahren über das Zusammenspiel von Schließmuskel und Anorektum, ist eine Funktionsdiagnostik indiziert. Dazu gehört eine hochauflösende anorektale Manometrie. Sie zeigt an, wie gut der Patient kneifen kann und wie gut die Koordination zwischen Rektum und Anus funktioniert, d.h. ob die Patienten wirklich entspannen, wenn sie pressen. Wie aufschlussreich diese Diagnostik tatsächlich ist, bleibt fraglich. Im Rahmen einer Studie mit 85 obstipierten Patienten und 85 gesunden Kontrollen fanden sich in beiden Gruppen gleich viele Patienten, die das Muster einer Dyssynergie zeigten. Dr. Heinrich gab sich über das Ergebnis wenig verwundert. Denn ob ein Mensch wirklich entspannen könne – in Seitenlage auf einem Untersuchungstisch liegend, ein Manometer im Enddarm und den Arzt hinter sich sitzend, wagte sie zu bezweifeln.
Bei einer weiteren Methode, dem Ballonexpulsionstest, wird ein mit Wasser gefüllter Ballon im Enddarm platziert. Der Patient soll dann ungestört auf dem WC versuchen, den Ballon auszuscheiden. Dauert diese Aktion länger als zwei Minuten, stimmt etwas nicht mit der Entleerung – entweder strukturell oder funktionell.
Ein weiteres Tool ist die MR-Defäkografie. Theoretisch bietet sie einen guten Überblick über funktionelle oder strukturelle Obstruktionen, erläuterte die Expertin. In der Praxis gelinge es aber längst nicht jedem Patienten, der Aufforderung „und nun scheiden Sie das Kontrastmittel aus, während ich das beobachte“ nachzukommen, schon gar nicht im Liegen. Schließlich kommt noch eine MR-Proktografie infrage. Die besten Informationen liefert eine Kombination aus mehreren diagnostischen Verfahren.
Wie kann man nun einem verstopften Patienten helfen? Die Basis jeder Behandlung sind Lebensstilveränderungen. Ausreichend trinken ist prinzipiell gut, mehr als 1,5–2 Liter müssen es jedoch nicht sein. Dass viel Flüssigkeit viel hilft, ist ein urbaner Mythos, so Dr. Heinrich. Zudem können Sport und ballststoffreiche Kost die Verdauung positiv beeinflussen. Reicht das nicht aus, kommen zusätzliche Ballaststoffe ins Spiel, z.B. Flohsamenschalen oder Weizenkleie.
Liegt keine Enleerungsstörung vor, können in der nächsten Eskalationsstufe eine Reihe von Wirkstoffen den Stuhl weicher bzw. wässriger machen oder die Peristaltik erhöhen. Als erste Wahl nannte Dr. Heinrich Macrogol, Bisacodyl und Natriumpicosulfat, als zweite Wahl Lactulose und Anthrachinone. Eine Kombination der verschiedenen Präparate ist erlaubt. Was die Zufriedenheit der Patienten angeht, schneidet Bisacodyl am besten ab. Zu den neuen Therapeutika, die aufgrund von unterschiedlichen Wirkmechanismen Patienten mit hartnäckigen Symptomen helfen können, gehören Linaclotid, Lubiproston, Plecanatid und Prucaloprid.
Handelt es sich um eine Entleerungsstörung mit Dyssynergie, kann eine Biofeedbacktherapie die Symptome effektiv lindern. Auch die transanale Irrigation – ein kleiner Einlauf mit körperwarmem Wasser – bessert die Beschwerden. Mit etwas Übung kann er von den Patienten zu Hause durchgeführt werden. Die „vibrierende Pille“ ist eine Methode, die die Patienten zumindest faszinierend finden, berichtete Dr. Heinrich. Auf ihrem Weg durchs Kolon erzeugt sie Darmbewegungen. Ob sie sich auch positiv auf die Verstopfung auswirkt, ist jedoch noch offen.
Ultima Ratio für schwer beeinträchtigte Patienten ist die Kolektomie. Andere Motilitätsstörungen wie ein Reizdarmsyndrom müssen zuvor ausgeschlossen werden. Man muss außerdem wissen, dass sich Schmerzen und Blähungen nach einem solchen Eingriff nicht bessern.
Quelle: 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
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