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„Ich habe allen Grund, dankbar und fröhlich zu sein“

Von der Blitzdenkerin und -rednerin zur Frau, die sich nicht mehr konzentrieren kann und um Worte ringt: Diese Entwicklung durchlief Katharina von der Leyen im Herbst 2021 binnen kurzer Zeit. Bald gesellten sich heftigste Kopfschmerzen, Taubheitsgefühle und schwere Erschöpfungszustände hinzu. Die damals 57-Jährige suchte monatelang beim Hausarzt, verschiedenen neurologischen und anderen Arztpraxen Hilfe, niemand fand die Ursache. Irgendwann kippte die Journalistin bei einem Spaziergang mit ihren Hunden einfach um und schaffte es erst eine halbe Stunde später, wieder aufzustehen. Sie beschloss daraufhin, sich im Krankenhaus durchchecken zu lassen. Doch auch da gab es trotz vieler Untersuchungen wenig Klarheit. Entlassen wurde sie schließlich mit der Diagnose einer Neurosarkoidose und hoch dosiertem Kortison.
Damit wurde aber nichts besser und schließlich begab sich von der Leyen in die Neurologie im Klinikum Großhadern. Dort lief ebenfalls wieder eine schier endlose Maschinerie mit etlichen CT, MRT, Knochenmarkpunktion etc. an, ohne dass sich eine Ursache ausmachen ließ. Letztendlich, so schreibt es von der Leyen in ihrem Buch, verdankte sie die Diagnose einem jungen, ehrgeizigen Neurologen, der sich alle Befunde noch einmal vornahm und darauf kam: Es handelte sich um ein intravaskuläres großzelliges B-Zell-Lymphom (intravascular large B cell lymphoma, IVLBCL) mit einer Hauptmanifestation in der Niere und einem ZNS-Befall.
Endlich hatte das Kind einen Namen und Katharina von der Leyen ein Ziel: aktiv gegen die Krankheit vorzugehen. Selbstmitleid war noch nie ihre Sache gewesen und wurde es auch während der schwersten Krankheitsphasen nicht. Sie durchlief ihre Chemozyklen, kämpfte mit Fatigue und verlor ihre Haare – aber nie die Haltung, weder die äußere noch die innere. Statt die Glatze hinter Perücken und sich selbst unter Frotteeschlafanzügen zu verstecken, besorgte sie sich dekorative Tücher im Stile einer Romy Schneider und hübsche Nachtwäsche. Und egal, wie geschwächt sie von den Therapien war: Sie blieb im Modus des „Machens“ statt des „mit mir passiert was“, wie sie es beschreibt.
Dabei war sie nach eigenen Aussagen keine sehr gefällige Patientin, hat das Personal mit Fragen gelöchert – und genervt. Aber nur so bekam sie Antworten auf all die Fragen, die sie beschäftigten, denn im „normalen“ Klinikbetrieb bleibt während der kurzen Gespräche vieles unverständlich und beängstigend. „Meine Haltung hat entscheidend dazu beigetragen, mein Leben zu retten“, sagt von der Leyen.
Das hochaggressive IVLBCL ist mit einer Inzidenz von < 1/100.000/Jahr extrem selten, erklärt Prof. Dr. Oliver Weigert von der Onkologie und Hämatologie am LMU Klinikum München. Er selbst hat nach mehr als 20-jähriger Tätigkeit auf dem Gebiet der Lymphome fünf Fälle gesehen. Früher wurde die Mehrzahl dieser Lymphome post mortem entdeckt, heute findet man dank steigender Awareness und besserer Diagnostik etwa 80 % von ihnen bei Lebenden. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei ca. 70 Jahren, Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.
Die neoplastischen B-Zellen sitzen beim IVLBCL umgeben von Endothelzellen im Gefäßlumen und entgehen dem Immunsystem. Da ein Mangel an verschiedenen Proteasen und Rezeptoren in den Zellen die Extravasation verhindert, lagern sie sich extrem fest ab, vor allem in kleinen Kapillaren. Das kann in jedem Organ passieren, zu 30–40 % betrifft es aber die Haut, ein Drittel der Betroffenen hat eine ZNS-Beteiligung, typisch ist zudem wie im Fall von Katharina von der Leyen ein Befall der Niere.
Es gibt keine klassischen Symptome eines IVLBCL, meist fällt es durch eine B-Symptomatik auf. An die Erkrankung denken sollte man bei der Kombination von unklarem Fieber, neurologischen Symptomen und Hautveränderungen, rät Prof. Weigert.
Das Buch
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Katharina von der Leyen: Weiter!, Verlag Kailash, ISBN-13: 978-3424632682, Euro 22,00
Verschiedene Subtypen beeinflussen die Prognose
Ein Viertel der Erkrankten weist einen rein kutanen Subtyp auf mit einem bunten klinischen Bild, z. B. palpablen livid-rötlichen Verfärbungen, einzelnen oder zusammenhängenden Plaques oder ulzerierenden Noduli. Diese Form betrifft fast nur Frauen und hat eine günstigere Prognose.
Vor allem in asiatischen Ländern beobachtet man eine besonders aggressive Unterform, den hämophagozytischen Subtyp. Er bietet typische Zeichen einer Hämophagozytose wie Fieber, Hepatosplenomegalie und Thrombozytopenie, in der Regel ist das Knochenmark mitbefallen und die Erkrankten verschlechtern sich klinisch schnell.
Mit konventioneller Bildgebung lässt sich ein IVLBCL nur schwer entdecken, hilfreicher ist ein funktionelles PET-CT. Doch selbst damit gelingt nicht unbedingt die Darstellung aller Herde. Für die sichere Diagnose ist daher eine Biopsie unverzichtbar. Sie kann auch aus nicht betroffenen Hautstellen erfolgen, denn meist finden sich schon darin pathologische Zellen. „Die Begutachtung der Proben muss durch spezialisierte Pathologinnen und Pathologen vorgenommen werden“, betont Prof. Weigert. Davon gibt es deutschlandweit nur acht. „Bei Frau von der Leyen hatten wir die Diagnose vergleichsweise schnell“, erklärt der Onkologe. Bei den ersten bekannten Fällen verging deutlich mehr Zeit, ehe das IVLBCL erkannt wurde.
In Ermangelung kontrollierter Studien zum IVLBCL orientiert sich die Therapie an anderen aggressiven B-Lymphomen. Da die Zellen eine hohe Expression von CD20 zeigen, sollte aber immer ein CD20-Antikörper mit im Boot sein. Gängig ist daher die Kombination einer Chemotherapie (z. B. CHOP: Cyclophosphamid, Hydroxydaunorubicin, Vincristin (Oncovin), Prednis(ol)on) mit Rituximab. Bei ZNS-Manifestation sollte man die Gabe ZNS-gängiger Substanzen wie hoch dosiertes Methotrexat erwägen. Durch eine Hochdosischemotherapie mit nachfolgender autologer Stammzelltransplantation kann man den Therapieerfolg festigen und das Risiko eines sekundären ZNS-Befalls senken.
Gesamtüberleben liegt nach zwei Jahren bei 50-60 %
Insgesamt besteht ein hohes Rezidivrisiko, wobei die Gefahr in den ersten ein bis zwei Jahren am größten ist, danach sinkt sie deutlich. Ein progressionsfreies Überleben (PFS) von zwei Jahren erreichen mit den initialen Therapien etwa 50–60 % der Patientinnen und Patienten, die Gesamtüberlebensrate liegt zahlenmäßig auf vergleichbarem Niveau. Schließt man eine Hochdosischemotherapie mit Stammzelltransplantation an, lässt sich die PFS-Rate nach zwei Jahren vermutlich steigern, die Evidenz dafür ist aber gering. Katharina von der Leyen hat diese Option nach reiflicher Überlegung abgelehnt. Sie wollte endlich Pause von allen Maßnahmen, „um sich wieder an ihr normales Leben heranzutasten“. Eine engmaschige Überwachung war ohnehin Pflicht, sodass bei einem Rezidiv entsprechend schnell hätte gehandelt werden können.
Anfangs ging sie mit sehr mulmigen Gefühle zu den Nachuntersuchungen, berichtet sie. Allein die Klinik wieder zu betreten, löste Angstschweiß aus. Inzwischen liegt die gefährlichste Zeit hinter ihr und sie geht mit mehr Optimismus als Angst zu den Kontrollen. „Ich habe allen Grund, dankbar und fröhlich zu sein“, schreibt sie am Ende ihres Buches. Dieses hochaggressive Lymphom überlebt zu haben, habe ihr Leben nicht besser oder leichter gemacht, resümiert sie weiter. Doch sie sei klüger geworden und könne sich selbst Mut machen.
Medical-Tribune-Bericht
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