„Ich wünschte, ich würd’ morgen einfach nicht mehr aufwachen“

Dr. Angelika Bischoff

Wenn ein Arzt bei seinem Patienten Zeichen von Suizidalität wahrnimmt, sollte er das stets ansprechen. Wenn ein Arzt bei seinem Patienten Zeichen von Suizidalität wahrnimmt, sollte er das stets ansprechen. © LIGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe.com

Von den Menschen, die sich im Jahr 2022 in Deutschland das Leben nahmen, hatte fast die Hälfte im Monat zuvor ihre Hausarztpraxis aufgesucht. Mit dem richtigen Know-how haben Ärzte die Chance, Suizidalität zu erkennen – und einzugreifen, bevor es zum Äußersten kommt. 

In etwa drei Viertel der Fälle von Selbsttötungen sind es Männer, die ihrem Leben selbst ein Ende setzen. Eine besondere Gefahr besteht bei ihnen im Alter über 70 Jahre. Suizidversuche kommen hingegen überdurchschnittlich häufig bei jüngeren Frauen vor, schreibt Dr. Sandra Blumenthal, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Berlin. Bei 90 % aller Suizide liegt eine psychische Erkrankung vor, meist eine Depression. Eine depressive Episode ist somit ein starker Risikofaktor für Suizidalität. Eine Reihe weiterer Faktoren steigert die Gefahr für eine Selbsttötung, dazu gehören:

  • andere oder zusätzliche psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Alkohol- oder Substanzabusus
  • psychotische Episoden in der Vergangenheit
  • frühere Suizidversuche
  • Suizide im persönlichen Umfeld oder Medienberichte über solche Ereignisse
  • belastende Lebensereignisse

Aufmerksam auf Suizidalitätszeichen achten müsse man bei Menschen mit bestimmten Risikokonstellationen. Als Beispiel nennt Dr. Blumenthal den alleinstehenden Mann, der nach Verlust seines Arbeitsplatzes an einer Depression erkrankt und übermäßig dem Alkohol zuspricht.

Gewinnt ein Arzt den Eindruck, ein Patient könnte Selbsttötungsgedanken haben, sollte er dies stets offen und empathisch ansprechen, zum Beispiel mit folgenden Worten: „Ich verstehe, dass Ihre Situation Sie stark belastet. Sie wirken sehr niedergeschlagen auf mich. Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, ihr Leben zu beenden? Möchten Sie mir davon erzählen?“

Die Befürchtung, ein solches Nachfragen könnte den Patienten erst auf die Idee bringen, sich das Leben zu nehmen, ist unbegründet. Die meisten Patienten sind erleichtert, wenn man sie auf Suizidalität anspricht. Offenbart sich ein Patient auf diese Frage hin, muss man das sehr ernst nehmen. Ein Beziehungs- und Gesprächsangebot nach dem BELLA-Konzept (s. Kasten) kann die gedankliche Fixierung des Patienten auf den Suizid durchbrechen. 

BELLA hilft beim Gespräch

Wenn ein Patient dem Arzt gegenüber Suizidgedanken offenbart, ist konkretes Handeln geboten. Das BELLA-Konzept kann eine Hilfestellung bei der Strukturierung der notwendigen Gespräche sein:

Beziehung aufbauen
Erfassen der Situation
Linderung von Symptomen
Leute einbeziehen, die unterstützen
Ansätze zur Problembewältigung entwickeln

Das familiäre Umfeld in die Behandlung einbeziehen

Je höher die Eigengefährdung eingeschätzt wird, desto intensiver muss die Intervention ausfallen. Äußern Patienten lebensmüde Gedanken, z.B. den Wunsch am nächsten Tag nicht mehr aufzuwachen, kann man ihnen eine engmaschige Betreuung mit einer festen Terminstruktur anbieten sowie die Möglichkeit, bei Bedarf sofort einen Termin zu bekommen. Manche Probleme lassen sich durch supportive Maßnahmen entschärfen, z.B. eine Schmerztherapie, eine schlaffördernde Medikation oder eine Psychotherapie.

Äußern Patienten konkrete Suizidgedanken, ist ein Klinikaufenthalt eine Option. Als Alternative sollte man in Absprache mit dem Patienten Angehörige und eventuell den sozialpsychiatrischen Dienst einbeziehen sowie engmaschige Treffen vereinbaren. Sinnvoll ist ein kurzer Termin bereits am Folgetag, dazu fortlaufende Gespräche für die nächsten vier Wochen. Der Arzt muss signalisieren, dass es ihm wichtig ist, den Patienten wiederzusehen. Gänzlich abgeraten wird von einem sogenannten Antisuizidpakt. Eine solche Abmachung vermittelt nur scheinbare Sicherheit und überlässt den Betroffenen sich selbst. 

Klinikeinweisung auch ohne Einwilligung des Patienten

Akute Suizidalität ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gedanken und Gefühle eines Menschen nur noch um seine Selbsttötung kreisen und er bereits konkrete Vorbereitungen dafür trifft, etwa einen Abschiedsbrief schreibt oder Tabletten hortet. Ebenfalls alarmierend ist es, wenn jemand, der Suizidgedanken hatte, plötzlich unerklärlich gelöst und euphorisch wirkt. Dies kann anzeigen, dass die Entscheidung zur Selbsttötung gefallen ist und die erwartete „Erlösung“ unmittelbar bevorsteht. Bei akuter Suizidalität ist eine sofortige notfallmäßige Einweisung in eine psychiatrische Klinik indiziert, in Abhängigkeit von rechtlichen Möglichkeiten auch ohne Einwilligung des Patienten. 

Um bei konkreten Selbsttötungsgedanken oder akuter Suizidalität die Durchführung der Tat zu verhindern, können für wenige Tage, maximal zwei Wochen, sedierende Psychopharmaka wie Benzodiazepine eingesetzt werden. Geeignet ist z.B. Lorazepam in der Dosierung von 0,5–1 mg drei- bis viermal täglich. Dies entlastet den Patienten zumindest kurzfristig, indem es Angst, Anspannung und Aggression abbaut. Zusätzlich kann als schlafanstoßende Medikation 15 mg Mirtazapin oder 7,5 mg Zopiclon zur Nacht gegeben werden.

Quelle: Blumenthal S. Dtsch Med Wochenschr 2024; 149: 255-260; DOI: 10.1055/a-2229-8130


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