Im Kampf gegen Adipositas werden metabolische Eingriffe immer wichtiger

Dr. Elke Ruchalla

Durch die chirurgischen Eingriffe gewinnt der Patient drei bis vier Lebensjahre hinzu. Durch die chirurgischen Eingriffe gewinnt der Patient drei bis vier Lebensjahre hinzu. © iStock/Capifrutta

Früher bariatrische, heute metabolische Chirurgie: Der Begriffswandel verdeutlicht, dass die Eingriffe nicht nur das Gewicht, sondern den gesamten Stoffwechsel beeinflussen. Neuere Methoden haben mittlerweile bewiesen, dass sie sicher sind und das Leben erheblich verlängern.

Nun können Sie nicht jeden Patienten mit einem BMI jenseits der 25 kg/m2 zu den Kollegen aus der Chirurgie schicken. Und bevor Sie auch nur daran denken: Vergewissern Sie sich, dass keine behandelbaren Ursachen für das Übergewicht bestehen, Stichwort Hypothyreose. Derzeit gilt ein BMI ab 40 kg/m2 als Grund, das Skalpell zumindest ins Auge zu fassen. Kam es infolge der Zusatzkilos allerdings zu weiteren Erkrankungen, kann man eine OP auch ab 35 kg/m2 in Betracht ziehen, schreiben Dr. Daniel­ M. Felsenreich­ und Dr. Gerhard­ Prager­ von der Klinischen Abteilung für Allgemein-chirurgie der Medizinischen Universität Wien. Dazu zählen u.a.

Die BMI-Werte sind dabei keineswegs in Stein gemeißelt, erklären die beiden Experten. Bei Diabetes beispielsweise raten die deutschen S3-Leitlinien zu früheren Eingriffen, da Studien wiederholt gezeigt haben, dass die Remissionswahrscheinlichkeit nicht vom präoperativen BMI abhängt.

Die Knochen junger Patienten müssen ausgereift sein

Ähnliches gilt für adipöse Jugendliche. Ihre Chancen, durch ein rasches Handeln von diabetesassoziierten Komorbiditäten befreit zu werden, stehen laut den Autoren besonders gut. Behandelnde Ärzte müssen jedoch ein paar Dinge beachten: Die jungen Patienten „brauchen“ z.B. einen BMI von mindestens 40 kg/m2 und sollten knochentechnisch voll ausgereift sein.

Kommt man zu dem Schluss, dass das Abspecken für einen Erwachsenen mit ≥ 40 kg/m2 durch konservative Methoden unmöglich ist oder Begleiterkrankungen zu gravierend ausfallen, darf man ebenfalls über eine invasive Primärintervention nachdenken. Ansonsten gilt: Zunächst alle klassischen Wege versuchen, um Gewicht zu verlieren.

Wer sollte prinzipiell von einer OP Abstand nehmen? Abseits der BMI-Grenze noch Schwangere, Substanzabhängige und Patienten mit bestimmten psychischen Störungen oder fehlender Adhärenz. Denn postoperativ sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen nötig. Zudem gehören ab sofort Vit­amintabletten auf den Speiseplan. Grundsätzlich sei die Indikation aber individuell zu stellen, betonen die Fachleute.

Auch die jeweilige Methode legt der Operateur fest (s. Tabelle). Art und Ausmaß von Begleiterkrankungen spielen dabei eine Rolle, genauso wie Beruf und Alter. Ältere Menschen sind aber nicht per se von dem Eingriff ausgeschlossen. Nicht, wenn sich dadurch die Lebensqualität verbessern und Schmerzen reduzieren lassen.

Metabolische Eingriffe bei Adipositas
Methode
Prinzip
Anmerkungen
Sleeve-GastrektomieEntfernung eines Großteils des Magens, dadurch kann der Patient weniger Nahrung aufnehmen
  • Resorption im Dünndarm nicht beeinträchtigt
  • evtl. steigt langfristig Refluxgefahr
Y-Roux-MagenbypassKleiner Magenpouch mit dem Dünndarm „kurzgeschlossen“, Duodenum ausgeschaltet, Gallen- und Pankreassekret in tiefer gelegene Dünndarmteile geleitet. Dadurch bleibt weniger Zeit, um Nährstoffe aufzunehmen
  • kein Reflux
  • Vitaminsubstitution notwendig
  • evtl. „Spätdumping“ (Blutzucker sinkt nach kohlenhydrat-reicher Mahlzeit), jedoch gut behandelbar
Omega-Loop-Magenbypassähnlich wie bei Y-Roux-Magenbypass
  • evtl. Gallensäure-Reflux in den verkürzten Magen
SADI-S (Single ­Anastomosis Dudeno-Ileal Bypass und ­Sleeve-Gastrektomie)Duodenum ausgeschaltet wie beim Y-Roux-Magenbypass, aber blinder Verschluss, Anastomose von Magenschlauch (vgl. Sleeve-Gastrektomie) und Dünndarm direkt hinter dem Pylorus
  • noch keine Langzeitdaten
  • Vorteil: kein Dumpingsyndrom, weil Pylorus erhalten bleibt
  • evtl. steigt langfristig Refluxgefahr
verstellbares Magenband Band wird um den Magen gelegt, dessen Volumen nimmt ab
  • heute obsolet, da Komplikationsraten höher als nach anderen Verfahren

Die besten Remissionsraten eines Diabetes findet man unter den verschiedenen Bypässen. Wenn aus beruflichen Gründen auf keinen Fall Hypoglykämien auftreten dürfen – Beispiel Berufskraftfahrer –, raten die Autoren zu einem Verfahren, das den Pylorus erhält, beispielsweise eine Sleeve-Gastrektomie. Diese Methode führt weltweit gesehen die Liste der bariatrischen Eingriffe an und wird seit etwa zehn Jahren ohne Add-on durchgeführt. Bei besonders adipösen Patienten mit einem BMI von ≥ 60 kg/m2 besinnen sich die Experten allerdings noch auf jenes zweistufige Vorgehen. In solchen Fällen macht einem oft die Größe der Leber einen Strich durch die Rechnung. Daher führt man erst die Sleeve-Gastrektomie durch und schließt nach einem Gewichtsverlust einen Bypass an.

Die Hälfte des Übergewichts geht langfristig verloren

Steht die Indikation, sind Sie gefordert. Laborwerte wie Vitamine, Elektrolyte und Spurenelemente checken und ggf. schon mal mit der Substitution beginnen beispielsweise. Ebenso freuen sich die Anästhesiologen über ein paar Infos zu den Herz- und Lungenfunktionen, um das Narkoserisiko einschätzen zu können. Eine Gastroskopie klärt Hiatushernien, Ösophagitiden und Helicobacter-pylori-Besiedlung. Ebenso sollte ein Fachmann mögliche psychische Störungen klären und prüfen, ob nach der OP eine längere psychologische Begleitung notwendig ist.

Schlussendlich bleibt festzuhalten: Der Eingriff baut langfristig fast die Hälfte des Übergewichts ab. Das rechnet sich auch für das allgemeine Gesundheitssystem, resümieren die Autoren. So sinken einer österreichischen Arbeit zufolge die medizinischen Kosten für einen behandelten Patienten im Schnitt um 24 600 € über 20 Folgejahre. Und der Patient hat 3,4–3,7 Lebensjahre hinzugewonnen. 

Quelle: Felsenreich DM, Prager G. Intern Praxis 2020; 61: 568-580

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Durch die chirurgischen Eingriffe gewinnt der Patient drei bis vier Lebensjahre hinzu. Durch die chirurgischen Eingriffe gewinnt der Patient drei bis vier Lebensjahre hinzu. © iStock/Capifrutta